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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0009
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— 8882

Tage der Taten und Leiden,

Schließt ihr euren Reihn?

Ach, bei eurem Scheiden
Treten die neuen ein.

Reiche brachen in Stücke.
Nichts ist mehr, wie es war.
Und der Menschheit Blicke
Prüfen das neue Jahr.

Tage der Taten und Träume,
Weicht und schwindet ihr nie?
Durch des Weltalls Räume
Donnert die Kriegsmelodie.

Aus den Träumen, den müden,

Ringt sich die Frage los:

Trägt es den heiligen Frieden

Als teuerste Frucht im Schoß? -p.E.

Jahreswende.

Tage der Taten und Wunden
Mollen nicht rasten und ruhn,
Kriegsdurchtobte Stunden
Reichen die Hände sich nun.

Rudolf Lavant f

Wer mit ihm näher bekannt ivurde, mit dem
Dichter Richard Crainer, der die reiche»
Schätze seiner Dichtungen aus stiller Klause
in Leipzig unter der bescheidenen Flagge
„Rudolf Lavant" in die Arbeiterwelt hinaus-
sandte. der mußte ihn liebgewinnen. Stolz
und bescheiden zugleich ivar diese Persönlich-
keit. deren feurige Gesänge Millionen von
Arbeiterherzen höher schlagen ließen, während
außerhalb Leipzigs nur wenige den Mann
selbst kannten, nicht einmal im Bilde.

Richard Cramer ivar 1845 in Leipzig ge-
boren. Sein Vater Karl Crainer war mit
Robert Blum Redakteur der „Sächsischen
Vaterlandsblätter" und war auch mit dem
bekannten Geschichtschreiber und Mitglied des
Frankfurter Parlaments. Heinrich Wuttke.
befreundet. Letzterer, der sich öffentlich zu
Lassalles Theorien bekannte, nahm das leb-
hafteste Interesse an dem begabten Knaben
und ermöglichte, daß dieser eine vortreffliche
Ausbildung erhielt. Seine spätere Stellung
gestattete ihm nicht, öffentlich für die demo-
kratischen und sozialistischen Anschauungen zu
wirken, zu denen er in seiner Umgebung bald
gelangt ivar. Aber er bewegte sich fast aus-
schließlich in sozialdemokratischen Kreisen und
erschien ostiinLeipziger Arbeiterbildungsverein,
der das Zentrum der dortigen Sozialdemo-
kratie bildete. Dort wurde Crainer mit Lieb-
knecht. Bebel und einer Menge anderer
Sozialdemokraten bekannt und befreundet.

Seine Dichtungen, in denen er den großen
Freiheitskampf des modernen Proletariats

besang, waren erst nur engeren Kreisen be-
kannt, im Leipziger Schriftstellerverein, dessen
Präsident Wuttke ivar, und in einem engeren
Zirkel von Sozialisten, dem der Rechtsanwalt
Dix, Manfred Wittich und andere ange-
hörten. Bald aber drangen sie hinaus in die
große Öffentlichkeit und erregten nicht ivenig
Aufsehen. Die klassenbewußten Arbeiter fanden
hier einen Dichter, der ihre Leiden mitfühlte
und in liefergreifenden Versen zum Ausdruck
brachte, und der sie mit feurigem Schlachtruf
in den großen Klassenkampf der Gegenwart
begleitete. Als in Stuttgart in den achtziger
Jahren der „Wahre Jacob" neu begründet
wurde, hatte Crainer die Tribüne gefunden,
von der aus er seine poetischen Ansprachen
an das arbeitende Volk richten konnte.

Als der Dietzsche Verlag zu Stuttgart 1893 in
fünf Bändchen eine Auswahl von Liedern und
Gedichten deutscher Proletarier als „Deutsche
Arbeiter-Dichtung" herausgab,wurde das dritte
Bändchen für Cramers Dichtungen bestimmt.
Es trägt den Titel: „In Reih' und Glied"
womit der Dichter sagen ivollte, daß er kein
„Außenseiter" sei. Obwohl Crainer auf die
Kinder seiner Muse stolz sein durfte, ver-
schwieg er seinen Namen und sandte sie als
„Gedichte eines Nainenlosen" hinaus. In
seinem originellen Vorivort sagte er, daß es
ihm genüge, sich seine Empfinvungen vom
Herzen geschrieben zu haben. „Der Gedanke,
ob mich die zünftige Literaturgeschichte jemals
in einein ihrer vielen Fächer mit niehr als
einer kahlen Namensnennung unterbringen
werde, hat inir nie schlaflose Stunden ver-
ursacht. Selbst um dieses magere Vergnügen
möchte ich die Perücken prellen; die Samm-
lung geht darum ohne Namen in die Welt,
und der Titel, den ich ihr gebe, möge die
Namenlosigkeit auch für den rechtfertigen, der
mit inir unter einer Fahne gefochten. Ich habe
nie mehr sein wollen, als ein einfacher Soldat
der großen Befreiungsarmee; ich habe in Reih'
und Glied gekämpft und meine Schuldigkeit
getan, und die Namen der einfachen Soldaten
werden bekanntlich nur in den Verlustlisten
genannt." Diese Worte verdienen wohl ge-
würdigt zu werden.

Cramers Schöpfungen sind gedankentiefe und
gedankenreiche Dichtungen in vollendet schöner
4111b farbenprächtiger Form.

Auch einen bedeutenden Roman: „Auf ver-
lorenem Posten" hat Crainer geschrieben; die
sozialistische Presse hat ihn häufig abgedruckt.

Für die „Leipziger Volkszeitung" hat Crainer
nianches originelle Gedicht in sächsischer Mund-
art verfaßt.

In meisterhaften und oft schwungvoll-pathe-
tischen Verse» hat er historische Ereignisse be-
sungen. So die Annahme des Sozialistengesetzes
im Reichstag; er widmete der Mehrheit die
Verse:

„Ein Brandmal stammt ans eurer Stirne,
Solang man eure Namen kennt."

Dem Fall des Sozialistengesetzes und dem
Sturze Bismarcks widmete er Verse, die sich
lange Zeit im Gedächtnis der Zeitgenossen er-
halten haben.

Wie ernst und mild dieser Dichter von seinen
Mitmenschen dachte, zeigt das schöne Gedicht
„Einsame Wanderungen", ivelches die Pracht
des nächtlichen Winters schildert, dessen Schnee-
flocken dem Dichier ins Antlitz ivehen:

„Tann Hab' ich zornig wohl und bitter
Im Schreiten vor mich hin geiacht.

Wenn ich an all den Tand und Flitter,

Der andrer einzig Glück, gedacht.

Bis mich mit ihrer Geisteslecre
Ein tiefes Mitleid überkam
Und allen Groll mir still die hehre
Tiefernste Pracht vom Herzen nahm."

Hier offenbart sich schön und groß der Dichter
echter und edler Menschlichkeit, lind so wollen
wir ihn im Gedächtnis behalten. W. B.

Die Walstatt.

Von Charles Dickens.

Vor langer, langer Zeit — es kümmert uns
wenig wann und wo in England — wurde
eine heiße Schlacht geschlagen. Sie wurde ge-
schlagen an einem langen Sommertage, als
das ivogende Gras grün war. Manche wilde
Blume, geschaffen von des Allmächtigen Hand
zu einein duftenden Pokal für den Tau, sah
an diesem Tage ihren bunten Kelch über-
schäumen von Blut und starb schandernd.
Manches Insekt, das seine zarte Farbe von
unschuldigen Blättern llnd Kleidern halte,
wurde an diesem Tage neu gefärbt von ster-
benden Menschen und bezeichnete seine hastige
Flucht mit einer unnatürlichen Spur. Der
bunte Schmetterling trug auf dem Rand seiner
Flügel Blut in die Luft. Der Bach flutete rot
dahin. Aus dem zertretenen Erdboden wurde
ein Sumpf, wo in trüben Pfützen, die sich in
den Spuren von menschlichen Füßen und
Pferdehufen gesamrnelt, die überall vorherr-
schende Farbe unheimlich in der Sonne schim-
merte.
 
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