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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0154
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9027 -

seine Gestalt einprägen, sie trinkt seine Worte,
ivie wenn sie ihr in einem goldenen Becher
gereicht würden. Sie kann sich's kaum vor-
stellen, daß nun lange Tage, noch längere
Wochen, ja vielleicht endlose Jahre kommen
werden, in denen sie allein, verlassen, ohne
den starken, treusorgenden Genossen sein soll.
Ach, solche Schmerzen! Sie möchten schreien
und müssen stumm getragen sein.

Und der Tag des bitteren Abschieds, der
den Mann von dem Weib, den Bater von
den Kindern, den Sohn von der Mutter, den
Herrn vom Haus, Hof und Schmiede scheidet,
bricht herein. Es ist ein fröhlicher, sonniger
Tag. Die Hitze schwellt auf den Beigen, der
Staubstrom trägt silberne Sonnenflimmer.
Die Kinder spielen singend auf den Straßen,
und die Schwalben machen mit frohem Zwit-
schern Flugübungen mit ihren Jungen über
dem Markt. An der Schmiede vorüber ziehen
junge Rekruten — sie tragen bunte Büsche
und lange weiße Wedel an den Hüten — sie
singen mit schweren, rauhen Stimmen:

„Unser Hauptmann steigt zu Pferde,

Fuhrt uns in das Feld.

Siegreich woll'n wir Frankreich schlagen,
Sterben als ein tapfrer Held.

Hat uns gleich der Tod beim Kragen,
Fürchten wir uns nicht."

Das Lied bringt die Lisbeth zum Weinen.
Bis jetzt hat sie sich tapfer und stark gehalten,
nun stürzen die Tränen wie Bäche. Sie klam-
mert sich an die Brust des Mannes. „Gibt's
denn kein Erbarmen im Himmel und auf
Erden? Mußt du wirklich hinaus?"

Da sagt der Schmied sein altes, starkes
Sprüchlein: „Was sein muß, muß sein!" Dann
hebt er das zweijährige Liesel, das blondköpfige,
frische Dirnlein, empor und drückt's an sein
Herz. „Sollst werden wie deine Mutter! Und
Lisbeth — das Kind — bald's ein Bub ist —
tut's Micherl taufen lassen. Damit doch ein
neuer Michel im Hause ist — bald ich nimmer
komm. Ach, Mutter, ich weiß schon, daß du
betest." Dann ist Schluß gewesen.

Hochgereckt ist der Schmied die Straße hinab-
gegangen zum Poststall, wo die gelbe Kutsche
wartet, die ihn zur Bahn bringt. Au der Bie-
gung beim Krämerladen ist er noch einmal still-
gestanden und hat zurückgewinkt. Später ist der
Lisbeth immer zu Mute gewesen, als ob dort ein
Kreuzlein steht, bei dem sie niederknicn muß.

Nun hat das harte, schivere Leben für den
Mann begonnen. Zuerst noch eine Schießübung
auf dem großen Militärübungsplatz und dann,
enge gepfercht in Viehwügen, hinaus über
Frankreichs Grenze. Aus dem Zuge sofort
ins Gefecht, hinein in den Hexenkessel von
Granaten und Maschinengewehren, in den
tödlichen Regen von Pulver und Blei; heran
zum Erstürmen von Schanze und Wall, zum
Aufwerfen von Gräben, zum Angriff mit dem
Bajonett. Das Morden ist keine so leichte Sache
gewesen, als es schien. Da ist der Tod sein
Gefährte am Tag und zur Nacht sein Schlaf-
kamerad geworden; da hat es kaum noch Ruhe-
und Essenspausen gegeben.

Von Schlacht zu Schlacht ist er fortgerissen
worden. Wild, wild ist's zugegangen. Wenn
er durch brennende Dörfer, vorbei an ver-
wüsteten Heimstätten, über zerstampfte Acker,

durch niedergemachte Wälder gestürmt ist, hat
er an das friedliche Daheim denken müssen,
dort blühen jetzt noch die Melden im Garten.
Dort singt die Drossel im Holzkäfig, die Schaf-
herde läutet auf den abgemähten Wiesen, die
Herbstzeitlosen leuchten, Friede! erntet die
Zwetschgen und sein Weib steht mit dem Blond-
köpflein dabei. O süße Heimat! Daß alles so
bleiben könne, deshalb muß er hier streiten —
bis zur letzten Kraft!

Zuweilen bringt dem Schmied die Feldpost
einen Brief. „Wir beten alle —■ sogar das
Kleine. Keinen Augenblick lassen wir ab."
Dann ist's dem Mann, als ob weiße, sanfte
Engelsflügel seine abgemagerten Wangen be-
rühre». Ja, hager wird man da draußen —
aber die Kraft läßt nicht nach und der Wille
ist bereit zum Höchsten.

Das Höchste wird auch verlangt. Es ist
Nacht, da heißt es: Auf aus dem Graben, vor-
wärtsstürmen gegen den ahnungslosen Feind.
Aber mitten auf dem Marsche durch schlafen-
des Land treffen die Soldaten aus ein sechs-
faches Verhau von Stacheldrähten — keine
Pioniere da. „Schmiede vor!" lautet der Ruf.

Ach, der eine Hufschmied siel bei Reims —
der andere liegt im Massengrab bei Soissons
— ganz allein steht der Schmied vor seinem
Offizier. Eine Drahtschere ist da. Mit der Draht-
schere beginnt der Schmied die Stncheldrühte
zu durchschneiden. Einen nach dem andern.
Stahl knirscht auf Stahl. Die Drähte reißen
ihm die Arme auf, springen ihm ins Gesicht

Italien im Weltkrieg.

1815.

„Das Recht ist unter! Auf zum Sieg! Wir wollen
keine Verhandlungen, unsere ruhmreichen Waffen
sollen entscheiden!"

1916.

„Nicht den Mut verlieren! Wegen einiger Mißerfolge?
Die Waffen entscheiden gar nichts — die Verhand-
lungen werden uns unser Recht zurüügeben."

wie wilde Katzen, fetzen ihm die Uniform zu-
sammen, dringen auf die Brust. Wie in der
heißen Hölle steht der Schmied.

„Vorwärts, vorwärts, wir verlieren die Zeit!
Der Tag graut im Osten — vorwärts, vor-
wärts!" Fünf Stunden durch arbeitet der
Schmied. Da ist das Verhau überwunden, da
ist die Gasse für die Mannschaft frei — das
Fleisch hängt an den Händen des Schmieds
in roten Laschen herab — er hat keine heile
Stelle am Körper mehr.

„Zurück zum Verbandplatz."

Ein Marsch an zwei Stunden über Berg
und Tal, durch Grüben und Moorland. Wieder
scheint der Mond, scheint grell und unheimlich
auf Massengräber mit kleinen Kreuzen darauf,
scheint auf unbeerdigte Pferdeleichen, auf ver-
endete Kühe. Auf der Schwelle eines leerge-
brannten Hauses liegt ein totes Kind. Es ist
blond und klein — wie Lisbeth daheim. Fieber
schütteln den Mann.

Plötzlich stürzt er zusammen und bleibt be-
wußtlos liegen im einsamen Feld. Erst nach
zwei Tagen wird er gefunden und auf den
Verbandplatz geschafft. Da liegt er starr und
stumm unter dem Messer der Arzte. Er hört
nicht, wie die Schiververwundctcn um ihn
stöhnen, jammern und brüllen — bis er selbst
zu den ungeheuersten Schmerzen erwacht. Die
rechte Hand ist brandig geworden.

Sein Haupimann tritt an ihn heran und
heftet ihm das Eiserne Kreuz auf die Brust:
„Wackerer Schmied — ohne Sie wäre unser
Handstreich niemals gelungen — hundert Ge-
fangene."

Der Schmied lächelt flüchtig. „Das Kreuz
ist ehrlich verdient, Herr Hauptmann. Ich
muß sterben."

„Unsinn, Schmied, wir pflegen Sie gesund!"

„Ein Schmied ohne rechte Hand — ist kein
Schmied mehr. Lebe wohl — Lisbeth!" Das
sind die letzten Worte des Schmieds gewesen.
Dann ist das Fieber mit ihm davongerast,
hat ihn auf seinen Fittigen über hohe Berge,
durch reißende Ströme, durch siedende Meere
und kalte Schneebäder getragen, mitten in den
Sturm der Schlacht, in das Gebrüll der
Kanonen, in das Geheul des Granatfeuers,
und dazwischen hat der Schmied plötzlich mit
lauter, hallender Stimme gesungen:

„Hat uns gleich der Tod beim Kragen,
Fürchten wir uns nicht."

Da haben alle aufgehorcht. Es klang so
geisterhaft.

Schließlich hat das Fieber den Sterbenden
leise und sanft im Juratale der Heimat lan-
den lassen. Da war der Strom dunkel, da
blühten die Gärten und strahlten die smarag-
denen Naabwiesen, da flogen die blauen Falter
über die Waldlichtung und die Eberesche leuch-
tete blutigrot am Stationenweg, der aufwärts
führt zum Pestkirchlein St. Vitus.

Der Schmied stand wieder am Amboß, und
der Stahl schlug Funken unter seinen gewaltig
wuchtenden Hammerschlägen. Die Blasebälge
rauschten, und draußen stampften die schweren,
derben Ackergäule, die er beschlagen wollte.

Auch dieses Bild seines Lebens verrann.
Schließlich hörte er in weiter Ferne eine leise,
milde, alte Stimme — die Stimme der greisen
Mutter: „Breit aus die Flügel beide!" Und
mit der Vorstellung ging er hinüber.
 
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