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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0173
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9046

Die große Offensive.

Rings von allen Fronten leuchtet
Jetzt der blutige Feuerschein,
Wetter, die seit lange drohten,
Drechen über uns herein.

Ungeheure Fluten wälzen
Sich heran von Ost und West,
Doch, wie auch die Stürme toben:
Unsre Mauern halten fest.

Einsames Grab in Flandern.

Von Otto Meier.

Am Waldessaume, vom Wege ab.

Wo flüstern gespenstische Träume,

Erhebt sich einsam ein stilles Grab
Im Schatten der uralten Bäume.

Lier modert ein Lerz, das frank und stolz
Sein Teil vom Glück wollt' erhaschen.

Die Inschrift auf dem Kreuze von Lolz
Lat längst der Regen verwaschen.

Der Wind, der harsend die Wipfel durchzieht,
Erbarmt sich des Schläfers indessen;

And singt in de» Bäumen sein uraltes Lied
Vom Werden, Vergehen, Vergessen.

Loscht durch das üppig wuchernde Gras,
Daß nickend die Lalme sich biegen.

Die morgens vom blinkenden Taue naß
And abends im Schlafe sich wiegen.

Nicht schmückt die Nuhstatt die zärtliche Land,
Die streichelnd ihn einst mochte kosen.

Doch liebend umsäumt des Lügels Rand
Ein Busch der verwilderten Rosen.

So hat die Natur das einsame Grab
Vom Lärmen der Menschen geschieden; —
Nicht eine Träne fällt glitzernd hinab.

Kein Schluchzen durchzittert den Frieden.

And dennoch bringet der spielende Wind
Am Tag und zu nächtlicher Stunde
Vom trauernden Weib, vom weinenden Kind
Dem einsamen Schläfer die Kunde.

Es rauschen die Bäume im flandrischen Land;
Sie singen in mächt'gen Akkorden
Von Grüßen, die aus der Leimat gesandt.
Vom Sehne», dem nicht Erfüllung geworden.

Feldpostbriefe.

L.

Lieber Maxe! Du tadelst mir, daß ich so
lange nicht an Dir geschrieben habe, und lassest
mir zwischen Deine lieben Zeilen durchfühle»,
daß nach Deine unmaßgebliche Meinung seht
nichts Rechtes mehr im Felde los sei, und das
scheint Dir zu bekümmern. Lieber Maxe, ich
weiß ja von unsere langwierige Jugendfreund-
schaft her, daß Du immer sehr strenge An-
forderungen an Deine Nebenmenschheit gestellt
hast, und daß Du das, was Du selber nicht

Unsre teuren, heiligen Mauern,
Fest gefügt aus Fleisch und Blut,
Halten von der Heimat Fluren
Fern des Krieges Graun und Wut.

leisten konntest, mit um so größere Entschie-
denheit von andern zu erivarten pflegtest. Aber
in diesen Falle kann ich Dir beruhigen. Wir
erleben an unsere Fronte, augenblicklich so
viel, wie vielleicht noch niemals in den ganzen
Feldzug, und wenn Dir das aus die Zei-
tungen nicht klar ivird, so liegt es daran, daß
die Berichterstatter wegen die gegenwärtig
herrschende Lebensgefährlichleit nicht so dichte
ran dürfen. Sonst würden auch sie etwas zu
sehen und die Nase voll kriegen. Ich aber,
der bei alles dabei gewesen ist, kann Dir ei»
wahrheitsgetreues Lied von unsere Taten und
Strapazen singen!

Die Russen greifen uns mit die bei ihnen
landesübliche Übermacht an. tlnsere Truppen
haben sich aber an diesen Zustand schon so
gewöhnt, daß der Feind uns in die Hinsicht
nicht mehr imponieren kann. Wenn auf einen
preußischen Garde-Grenadier bloß zwei russische
Bataillone kommen, fühlen wir uns noch in
die Überzahl! Bor ihrem letzten Sturmversuch
gaben die Russen während der Artillerievor-
bereitung so viele Schüsse aus ihre schwersten
Kaliber ab, daß von die durch die Luft sausen-
den Geschosse die Sonne vollständig verdunkelt
wurde und wir uns den ganzen hellichten Tag
lang bloß mit Scheinwerfer und Taschenlater-
nen zurechifinden konnten!

DaS war aber noch gar nichts. Denn das
bißchen Gefecht spielt bei unsereinen überhaupt
keine Rolle nicht mehr. Die Hauptsache sind
die Märsche, von die sich ein ungedienter Laie
nicht die blässeste Vorstellung machen zu können
in die bedauernswerte Lage ist. Nachtmärsche
von dreißig bis vierzig Stunde» gehören zu
unser tägliches Frühstück. Dabei ist die Hitze
am Tage so knollig, daß wir alle zwei Mi-
nuten den Helm ausgießen müssen, der manch-
mal bis in die Spitze hinein mit Schweiß an-
gesüllt ist!

Das ist aber noch gar nichts. Neulich kamen
wir gegen Mittag, nachdem wir bereits zwei-
hundert Kilometer marschiert waren, durch ein
verlassenes russisches Gehöft, wo ich zu meine
freudige Überraschung an eine verschwiegene
Gartenecke ei» srischgelegtes Hühnerei fand.
Ich wollte es gerade in rohem Zustand ver-
schlingen, als der Befehl zum Angriff kam.
Daher legte ich es eiligst in meinen Helm und
stülpte ihn auf. Dann ging die Schießerei los,
die in eine unbeschreibliche Gluthitze bis gegen

UstorlulM KotnmlseiM zu Berlin

Daß das Ringen sondergleichen,

Die Millionen-Metzelei,

Daß der Kampf, der jetzt entbrannte,
Dieses Wahnsinns Ende sei!

Daß aus euren Massengrüften,

Nus dem Feld, mit Blut gedüngt,
Glück verheißend, Segen spendend,
Uns des Friedens Saat entspringt!

Abend dauerte. Jeder Mann von unsere Kom-
pagnie hat an diesem Nachmittag über hundert-
tausend Schuß abgegeben! Die Gewehrläuse
befanden sich in rotglühendem Zustande.
Schließlich wurde die befestigte Stellung, in
die die Russen sich gemütlich eingenistet hatten,
mit Hurra genommen. Zu unsere große Be-
friedigung fanden wir hier außer sehr vielen
Läusen und anderen kriegerischen Trophäen
auch einen ganzen frischgeschlachteten Ochsen
vor, den die Feinde in ihre dienstliche Eil-
fertigkeit nicht mehr hatten mitnehmen können.
Da wir barbarischen Hunger und bloß eine
Viertelstunde Zeit hatten, beschlossen wir, den
Ochsen sofort zu vertilgen. Unsere Kompagnie
legte ihre Geivehre nebeneinander auf die
Erde, und auf die Laufe, die von die furcht-
bare Schießerei noch glühend waren, wurde
der ganze Ochse gelegt. Nach einigen Sekun-
den war die eine Hälfte knusperig, und in
fünf Minuten konnte der Ochse schon serviert
werden!

Das war aber noch gar nichts. Als ich
meinen Teil von das Biefstück aufgepräpelt
hatte, wollte ich mir in dankbare Gefühle den
wohlverdientenSchweißvon dieStirnewischen.
Wie ich aber den Helin von die Kohlrübe zog,
kullerte das vergessene Hühnerei heraus, und
— was soll ich Dir sagen, lieber Maxe es
war so hart, daß ich es mit mein Seitengeivehr
nicht zerschneiden konnte.. In die Hitze des Ge-
fechts hatte sich nämlich mein Helm bis oben
mit Schiveiß angefüllt, dieser hatte sich bis
über 80 Grad Thermometerwärine erhitzt, und
das Ei hatte den ganzen Nachmittag darin
gekocht!

Ich hoffe, lieber Maxe, daß Dir diese wahr-
heitsliebenden Schilderungen befriedigen wer-
den. Sollte es wider Erivarten nicht der Fall
sei», so schreibe mir umgehend, und ich kann
Dir noch- viel mehr erzählen.

Bis dahin mit die besten Grüße, Dein alter
Schulfreund

r August Säge juit., Garde-Grenadier.

P. S. Bei dem obigen Nachmittagsgefechl
brannte die Sonnenhitze vierundzwanzig Stun-
den lang so heftig auf meine» Affen, daß die
darin befindlich gewesenen sehr guten Zigarren
leider alle zu totale Asche verkohlt sind. Viel-
leicht bist Du so gut, vermittelst eines um-
gehenden Liebespaketcs für etwas rauchbaren
Nachschub zu sorgen.

Stündlich steigt die rote Welle,

Opfer sinken ohne Zahl,

Doch durch Todes Nacht und Schrecken
Grüßt uns mild ein Hoffnungsstrahl.
 
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