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Müncheners Traum.
„Her mit der Maß und die Weißwürscht!"
m noöclfpane. sr®
Es ist so still, es ist so stumm,
Da draußen schleicht der Tod herum.
Er kommt wohl her aus Flandern,
Er kommt wohl her aus Frankenland,
Vom Donau- oder Dünastrand —
Muß lange, lange wandern!
Er klopft bald da, er klopft bald dort —
Dann löscht ein kleines Licht sofort,
Das eben noch geleuchtet.
Dann klingt wohl jäh ein wilder Laut,
Und Augen, die so klar geschaut.
Die sind vom Weh gefeuchtet.
American drinks: In der United-States-Bar im Weißen Hause zu
Washington finden die „Note-drinks“ des „Mixers" Wilson neuer-
dings eine sehr geteilte Aufnahme.
Wohl darf man hoch es rühmen Jedoch niemals vergesset
Und darf es preisen jetzt. Darüber das Gebot:
Daß man den toten Helden Gedenkt der Hinterbliebenen
Manch schönes Denkmal setzt. Und ihrer großen Not.
Wenn Krüppeln, Witwen, Waisen
Ein Dasein ist beschert,
Das ohne Rot! Dann ist auch
Der Helden Tod geehrt.
Nachdem die europäischen Neutralen es abgelehnt haben, sich Wil-
sons Aufforderung anzuschließen, hat der Präsident in einer Botschaft
dem Kongreß die Frage vorgelegt, ob es in Zukunft gestattet sein soll,
auch von „blamierten Amerikanern" zu sprechen.
Ihr getreuer Säge, Schreiner und Landstürmer.
„Stahl".
„Wir Deutsche werden jetzt zu Stahl!"
Das Work klingt täglich tausendmal.
Und wer erst noch so butterweich,
Verhärtet sich zu „Stahl" sogleich.
Zu „Stahl" wird jetzt der Gymnasiast,
Wenn seines Bartes Flaum er faßt.
Weil er nur so als „deutscher Mann"
Dem Backfisch imponieren kann.
Der Spießer wird's beim Glase Bier
Und kommt fast als ein Held sich für,
Besonders wenn mit Fäusten laut
Dazu er auf den Stammtisch haut.
Der hohe Herr Vereinsvorstand,
Wenn er ein Telegramm gesandt —
Vollkommen schien's ihm nicht, auf Ehr,
Wenn nicht das „Stahl"-Herz drinnen wär.
So klingt uns spät und klingt uns früh
Dieselbe Stahlherz-Melodie,
Und wen die Angst am meisten plagt.
Am häufigsten das Sprüchlein sagt.
Was erst ein tapfres Manneswort,
Zur Phrase sinkt's herab sofort.
Seit Vetter Hinz und Vetter Kunz
Es täglich leiert mit Gegrunz. E.Kl.
Allerhand Kriegsmärchen.
Es war einmal ein Kriegslieferant, der
betete Tag und Nacht um einen baldigen Frie-
den. Und seit der Ablehnung des deutschen
Friedensangebots durch die Entente ist er in
unheilbare Schwermut verfallen.
Es war einmal ein Großgrundbesitzer, der
nährte sich von Schivarzbrot und Wasser, um
alle Erträgnisse seiner Güter in die Stadt an
die Schwerarbeiter abliefern zu können.
Es war einmal ein Heereslieferant, der dem
Staat so billige Preise machte, daß er bis zum
Ende des Krieges bettelarm geworden war.
Lieber Jacob!
Det man in de jejenwärtije Jetzzeit nich
allens so haben kann wie in poplije Friedens-
tage, versteht sich am Rande. Um desto frei-
dijer muß eener et bejrießen, wenn er sieht,
wie de Rejierung sich bemiehen tut, uns de
jroße Zeit meeglichst schmackhaft zu machen.
Wat de Kohlrieben anbetrefft, da wundere ick
mir ja nu nich iveiter, denn mit de Kohlriebe
>var uns de Obrigkeit schon immer ieber, un
se wurde sojar eifersichlig, wenn wir Unter-
tanen ihr mit unsere privaten Kohlriebe» mal
in ihr von Jott einjesetztes Handwerk fuschen
wollten. Jetz zeigt se uns, wat se uff dieses Jebiet
fähig is, un unser Jlieck kennt keene Jrenzen.
Im iebrigen hat de oogenblickliche Verfle-
jung ja ihre unverkennbaren Schattenseiten,
un mit det Einheitsbrot kann ick mir noch
immer nich abfinden. Dieses Nahrungsmittel
hätte sojar beinahe eene laugwierije Freind-
schast zu Falle jebracht, nämlich mit meinen
Fremd Edeward, der noch immer bei'n Dö
beritzer Landsturm steht un in det kriejerische
Milljee seine jeistijen Eijentümlichkeiten uff
eene Schrecken errejende Weise weiterenl-
wickelt hat. Als ick ihm bei unser neiliches Zu-
sammensein meine Abueijung jejen det Eiu-
heitsbrot ausdrickte un zujleich ieber dem
Kohlenmangel klagte, entbleedete er sich nich,
mir foljende frivole Antwort zu jeden: „Men-
schenskind, wenn dir det Ziveckverbandsbrot
nich schmeckt un du nischt in Ofen zu stechen
hast, denn heize doch ruhig mit det'Ein-
heizbrot!" Sonne Kalauer in diese ernste
Zeit loszulassen, halte ick for 'ne unerlaubte
sittliche Verrohung, un ick habe ihn meine
diesbezügliche Weltanschauung nich vorent-
halten, worauf er mir letzten Sonnabend aus
Döberitz een zerknirschtes Kommißbrot schickte
un auf diesen Weje de diplomateschen Be-
ziehungen wieder aubahnte.
Neben de Ernährungsfrageu zeigt sich un-
sere Rejierung besonders jroß uff det Jebiet
der Verkehrsschwierigkeiten. Mit de ersten
Stadtbahnzüge friehmorjens rechtzeitig an
de Arbeitsstelle zu jelangen, war bis jetz mit
de unieberwindlichsten Unannehmlichkeiten ver-
knipft jewesen, weil de ieberfillten Wagen
dritter Klaffe selbst sor de schlanksten Kohl-
riebenjenießer keenen Platz nich mehr dar-
boten. Während sich aber det Proletarjat noch
dem Kopp darieber zerbrach, wat da zu ma-
chen sei, leeste de keenigliche Eisenbahndirexion
det Problem mit de spielendste Leichtigkeit,
indem det se dem amtlichen Rat erteilte: de
Arbeiter sollen sich Billjetts zweeter Klaffe koo-
sen — da is immer noch ville Platz! Uff die-
ses erleichtende Ei des Kolumbus waren wir
Untertanen von alleene nich jekommen, un um
so größer is jetz unsere Dankbarkeit.
So sorgt de Obrigkeit for allens, un ivir
haben nischt weiter zu tun, als wie zufrieden
zu sind. Un wenn ivir det mal nich in de
vorjeschriebeue Weise sind, denn wird ooch
diesen Jebelstand sofort abjeholsen — ver-
mittels de Zeusurbehörde.
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
lelreier Jolthilf Rauke.
an 'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
RedaltienSschlutz 5. März 1917.
Müncheners Traum.
„Her mit der Maß und die Weißwürscht!"
m noöclfpane. sr®
Es ist so still, es ist so stumm,
Da draußen schleicht der Tod herum.
Er kommt wohl her aus Flandern,
Er kommt wohl her aus Frankenland,
Vom Donau- oder Dünastrand —
Muß lange, lange wandern!
Er klopft bald da, er klopft bald dort —
Dann löscht ein kleines Licht sofort,
Das eben noch geleuchtet.
Dann klingt wohl jäh ein wilder Laut,
Und Augen, die so klar geschaut.
Die sind vom Weh gefeuchtet.
American drinks: In der United-States-Bar im Weißen Hause zu
Washington finden die „Note-drinks“ des „Mixers" Wilson neuer-
dings eine sehr geteilte Aufnahme.
Wohl darf man hoch es rühmen Jedoch niemals vergesset
Und darf es preisen jetzt. Darüber das Gebot:
Daß man den toten Helden Gedenkt der Hinterbliebenen
Manch schönes Denkmal setzt. Und ihrer großen Not.
Wenn Krüppeln, Witwen, Waisen
Ein Dasein ist beschert,
Das ohne Rot! Dann ist auch
Der Helden Tod geehrt.
Nachdem die europäischen Neutralen es abgelehnt haben, sich Wil-
sons Aufforderung anzuschließen, hat der Präsident in einer Botschaft
dem Kongreß die Frage vorgelegt, ob es in Zukunft gestattet sein soll,
auch von „blamierten Amerikanern" zu sprechen.
Ihr getreuer Säge, Schreiner und Landstürmer.
„Stahl".
„Wir Deutsche werden jetzt zu Stahl!"
Das Work klingt täglich tausendmal.
Und wer erst noch so butterweich,
Verhärtet sich zu „Stahl" sogleich.
Zu „Stahl" wird jetzt der Gymnasiast,
Wenn seines Bartes Flaum er faßt.
Weil er nur so als „deutscher Mann"
Dem Backfisch imponieren kann.
Der Spießer wird's beim Glase Bier
Und kommt fast als ein Held sich für,
Besonders wenn mit Fäusten laut
Dazu er auf den Stammtisch haut.
Der hohe Herr Vereinsvorstand,
Wenn er ein Telegramm gesandt —
Vollkommen schien's ihm nicht, auf Ehr,
Wenn nicht das „Stahl"-Herz drinnen wär.
So klingt uns spät und klingt uns früh
Dieselbe Stahlherz-Melodie,
Und wen die Angst am meisten plagt.
Am häufigsten das Sprüchlein sagt.
Was erst ein tapfres Manneswort,
Zur Phrase sinkt's herab sofort.
Seit Vetter Hinz und Vetter Kunz
Es täglich leiert mit Gegrunz. E.Kl.
Allerhand Kriegsmärchen.
Es war einmal ein Kriegslieferant, der
betete Tag und Nacht um einen baldigen Frie-
den. Und seit der Ablehnung des deutschen
Friedensangebots durch die Entente ist er in
unheilbare Schwermut verfallen.
Es war einmal ein Großgrundbesitzer, der
nährte sich von Schivarzbrot und Wasser, um
alle Erträgnisse seiner Güter in die Stadt an
die Schwerarbeiter abliefern zu können.
Es war einmal ein Heereslieferant, der dem
Staat so billige Preise machte, daß er bis zum
Ende des Krieges bettelarm geworden war.
Lieber Jacob!
Det man in de jejenwärtije Jetzzeit nich
allens so haben kann wie in poplije Friedens-
tage, versteht sich am Rande. Um desto frei-
dijer muß eener et bejrießen, wenn er sieht,
wie de Rejierung sich bemiehen tut, uns de
jroße Zeit meeglichst schmackhaft zu machen.
Wat de Kohlrieben anbetrefft, da wundere ick
mir ja nu nich iveiter, denn mit de Kohlriebe
>var uns de Obrigkeit schon immer ieber, un
se wurde sojar eifersichlig, wenn wir Unter-
tanen ihr mit unsere privaten Kohlriebe» mal
in ihr von Jott einjesetztes Handwerk fuschen
wollten. Jetz zeigt se uns, wat se uff dieses Jebiet
fähig is, un unser Jlieck kennt keene Jrenzen.
Im iebrigen hat de oogenblickliche Verfle-
jung ja ihre unverkennbaren Schattenseiten,
un mit det Einheitsbrot kann ick mir noch
immer nich abfinden. Dieses Nahrungsmittel
hätte sojar beinahe eene laugwierije Freind-
schast zu Falle jebracht, nämlich mit meinen
Fremd Edeward, der noch immer bei'n Dö
beritzer Landsturm steht un in det kriejerische
Milljee seine jeistijen Eijentümlichkeiten uff
eene Schrecken errejende Weise weiterenl-
wickelt hat. Als ick ihm bei unser neiliches Zu-
sammensein meine Abueijung jejen det Eiu-
heitsbrot ausdrickte un zujleich ieber dem
Kohlenmangel klagte, entbleedete er sich nich,
mir foljende frivole Antwort zu jeden: „Men-
schenskind, wenn dir det Ziveckverbandsbrot
nich schmeckt un du nischt in Ofen zu stechen
hast, denn heize doch ruhig mit det'Ein-
heizbrot!" Sonne Kalauer in diese ernste
Zeit loszulassen, halte ick for 'ne unerlaubte
sittliche Verrohung, un ick habe ihn meine
diesbezügliche Weltanschauung nich vorent-
halten, worauf er mir letzten Sonnabend aus
Döberitz een zerknirschtes Kommißbrot schickte
un auf diesen Weje de diplomateschen Be-
ziehungen wieder aubahnte.
Neben de Ernährungsfrageu zeigt sich un-
sere Rejierung besonders jroß uff det Jebiet
der Verkehrsschwierigkeiten. Mit de ersten
Stadtbahnzüge friehmorjens rechtzeitig an
de Arbeitsstelle zu jelangen, war bis jetz mit
de unieberwindlichsten Unannehmlichkeiten ver-
knipft jewesen, weil de ieberfillten Wagen
dritter Klaffe selbst sor de schlanksten Kohl-
riebenjenießer keenen Platz nich mehr dar-
boten. Während sich aber det Proletarjat noch
dem Kopp darieber zerbrach, wat da zu ma-
chen sei, leeste de keenigliche Eisenbahndirexion
det Problem mit de spielendste Leichtigkeit,
indem det se dem amtlichen Rat erteilte: de
Arbeiter sollen sich Billjetts zweeter Klaffe koo-
sen — da is immer noch ville Platz! Uff die-
ses erleichtende Ei des Kolumbus waren wir
Untertanen von alleene nich jekommen, un um
so größer is jetz unsere Dankbarkeit.
So sorgt de Obrigkeit for allens, un ivir
haben nischt weiter zu tun, als wie zufrieden
zu sind. Un wenn ivir det mal nich in de
vorjeschriebeue Weise sind, denn wird ooch
diesen Jebelstand sofort abjeholsen — ver-
mittels de Zeusurbehörde.
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
lelreier Jolthilf Rauke.
an 'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
RedaltienSschlutz 5. März 1917.