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9417

Vom deutschen Parlamentarismus.

Der Adler seufzk, dahin, dahin
Ist alles, Herrschaft und Gewinn!

Gemach, der Hirsch und Löwe spricht.
Mir beide sind so ohne nicht,

Und stammen aus gut deutschem Land,
Dom Neckar- und vom Isarstand.

Gelt, unsre Spätzle munden dir
Mit einem MasiKrug bayrisch Bier.

Sei stad, Gevatter, und bereit.
Wir schaffen dann die neue Zeit.

scheu, es auch bestätigte. Frau
?uis« schämte sich grenzen-
los. Hatten ihre Augen wirk-
lich so stark gelitten, daß sie
den Mann nicht mehr er-
kannten, der in neunjähriger
Vertrautheit ihnen so nahe
gewesen war? Oder war es
nur der Sturm des Gefühls,
in ihrem Herzen erweckt beim
Anblick des Bildes, der auf-
stieg und den klaren Blick
mit trübem Gewölk umzog?

Wohl, das mußte es sein:
die übermächtige Empfin-
dung hatte sich auf ihre
Augen gelegt und sie ver-
wirrt gemacht.

Am Sonntag ging Frau
Luise bald fort. Sie sprach
wieder bei der Familie vor
und bat, das Bild nochmals
genau betrachten zu dürfen.

Aus ihrem Handtäschchen
nahm sie ein kleines Käst-
chen und legte es neben sich
auf den Tisch. Dann hielt
sie das Bild so nahe an die
Augen, daß ihr die Tränen
kamen, schüttelte den Kopf
und ersuchte endlich, allein
gelassen zu werden, weil sie
zu erregt sei, im Beisein von
anderen etwas zu sehen. Die
netten Leute sahen sie mit
zweifelnden Blicken an, gin-
gen aber dann höflich aus
ihrem eigenen Zinimer.

Als die Tür hinter Luise
einschnappte, sah sie sich erst
vorsichtig um, ehe sie das
Kästchen in die Hand nahm,
den Deckel ausschlug und
eine große Lupe vor sich
stellte, wie man sie zur Un-
tersuchung kleiner Körper
gebraucht. Das vor fremden
Augen zu tun, schien ihr ganz
unmöglich. Dann rückte sie das Bild unter die
Lupe und führte die Reihen der Gesichter lang-
sam und gespannt durch das scharfe Glas.

Da, da. . . . In der vorletzten Reihe, ganz
im Hintergrund, der Mann mit dem blassen,
von erst überstandener Krankheit sprechendem
Ausdruck. Alle Schärfe des Glases sammelte
sich auf die Gestalt, die unter der Lupe wuchs
und wuchs, ans dem Nahmen trat und . . .

„August!"

'Auf den schrillen Schrei stürzten die Gast-
geber herein. Luise war vom Stuhl geglitten-
lag auf dem Boden und röchelte schwer. Man
trug sie in das Nebenzimmer, rief den Arzt
und war in hellem Aufruhr, denn das Ge-
sicht der Frau war ganz verfallen und vom
Tod gezeichnet. . . .

Der Herbst kam. Fran Luise Masching, eben
von schweren. Nervenfieber genesen, saß schmal
und zart im Winkel am Fenster. Ihre Hand
spielte mit der Lupe, und furchtsam strich der
Blick manchmal über das scharf geschliffene
Glas. Vor sich hatte sie den letzten Brief ihres
Mannes, der schloß:

„Die Lupe schließt du jetzt aber ein. Ich
will sie mir, wenn ich heinckomme, genau.be-
sehen. Das Teufelsding hätte mich bald meine
Frau gekostet. Ich habe bisher stets Granaten
für die gefährlichsten Werkzeuge des Teufels
gehalten, weil sie nie Gewißheit darüber ge-
ben, was im nächsten Augenblick sein kann.
Diese Ungewißheit ist gemein. Aber auch die
Gewißheit kann sehr gefährlich werden, auch
wenn sie aus dem Gefühl der tiefsten Liebe
gefordert wird. Das hat mir die Lupe gezeigt,
die im Schatz unserer Erinnerung immer ihren
.Platz behalten soll."

Die Ahr.

Es ist eine weithin sichtbare Uhr in einem
öffentlichen Institut. Ihre Schläge haben einen
Hellen, tönende» Klang und dringen bis zu
den letzten Häusern des kleinen Ortes. Alle
die schwingenden Pendel in den Stuben, alle
Zeiger der Taschenuhren richteten sich nach
ihr. Man wußte, daß sie irgendwie von der
Sternwarte aus reguliert werde, und daß

man also keinen Zweifel in
ihre Äußerungen zu setzen
brauche. Es war ein so köst-
lich sicheres Gefühl für alle,
die in irgendeinen, Dienste
nach der Minute leben müs-
se»; die von der Arbeit zu
bestimmter Stunde gerufen
werden, oder einen Zug be-
nutzen wollten, oder Kinder
in die Schule schicken muß-
te». Die helle, tönende Uhr
sagte es allen: Nun ist es
Zeit, auf!

Vor einigen Monaten
wurde es anders.

Zuerst schien es, als ob
ihr Räderwerk in eine heil-
lose Verwirrung geraten sei.
Ihre Zeiger deuteten etwa
auf sieben, aber ihr Schlag-
werk gab neun ratternde
Töne von sich. Sie schlug
halb, wenn es voll war,
schnarrte unbekümmert dar-
auf los, wenn es ihr gerade
einfiel, und brachte Unsicher-
heit und Ratlosigkeit über
de» ganzen Ort. Man ver-
säumte die Züge, Männer
und Frauen kamen nicht
rechtzeitig zur Arbeit, Kin-
der langten gehetzt in der
Schule an.

Einige meinten, das Welt-
system sei in Unordnung
geraten, und da die Uhr
nach de» Sternen gerichtet
werde, müsse sie sich auch
entsprechend äußern. Aber
dann hätte ma-^ivohlkeinen
Uhrmachergerufen. Gesehen
hat man ihn nicht, aber man
sah, wie die Zeiger der Uhr
gestellt wurden, und hörte,
wie sie schlug und immer
wieder schlug, bis sie end-
lich zu einem regelmäßigen
Gange gezwungen war. Aber das rechte Ver-
trauen war dahin. Mißtrauische Blicke streiflen
das Zifferblatt, und zweifelnd horchte das Ohr
auf die Schläge.

Es dauerte auch gar nicht lange, da fing
die Uhr ihr wirres Spiel von neuem an. Und
in einer Nacht, just um zwölf, brachte sie cs
noch auf sieben zitternde Schläge, gab einen
letzten, röchelnden Ton von sich und ver-
stummte ganz.

Die Uhr war tot.

Kann eine Uhr sterbe»?

Der Direktor des Instituts sagt, es scheine
unmöglich, sie wieder zu einem gesunden Leben
zu erwecken, wenn der Mann nicht wieder-
komme, der die Uhr früher dauernd in Be-
handlung hatte. Der aber befindet sich im
Kriege und hat gegenwärtig anderes zu tu».
Sein erstes Werk nach der Rückkehr aber soll
es sein, die Hellen Töne zu wecken, die dem Orte
eine so fröhliche Sicherheit spendeten. Dann
ivird auch das Vertrauen wieder da sein.

Im Orte aber ist ein geflügeltes Wort
entstanden. Fragt einer: „Wann werden wir
 
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