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9424 . •

Schulen und Schüsse.

Bolkuianu sitzt am tfcineu Tisch des Untcrstandes und rechnet:
tnmdcrtlausend Lire, zweihunderttausend Lire, dreihunderttausend Lire.

Alle zehn Minuten lassen die Italiener ein schweres Geschütz
los, jedes Geschoß kostet fast zehntausend Lire!

„Wenn sie damit etwas fiir ihr Land getan hätten! Zehntausend
Lire einer kleinen Ortschaft zu geben! Was die damit alles machen
kann. Jeder Schuß eine Schule! lind Licht wäre ins Gehirn der
Massen gekominen. Gestern sechzehn Stunden, vorgestern sechzehn
Stunden, heute schon vier Stunden Schwergeschützfeuer. Seit drei
Tagen schon dreieinhalb Millionen Lire!"

Bolkmann rechnet und murmelt: „Sinnloses Geschehen!"

Oder ist es gar nicht so sinnlos? Bolkniannn denkt und rechnet!

tJolef Lnitpold i»> „Her, tm Eisen".)

o Rat. o

Sofern du, Mensch, ein Hamster bist,

Geneigt zu Heimlichkeiten,

Latz ab von deiner gierigen List
Und meide Fettigkeiten.

Dein Tun ist antisozial,

Wie könnt' es dich erfrischen?

Und, abgesehn von der Moral,

Uanu man dich auch erwischen.

Vas kluge des Gesetzes wacht
Und blitzt in alle Taschen.

Hast du's auch noch so schlau gemacht,

Mal wird's dich überraschen.

Ts zaubert aus dem Rucksack tief
Die Butter und die Tier.

Sei sicher: einmal geht es schief,

Und alles holt der Geier.

Pakete, Uörbe, Risten, ach!

Da drehe dich und wende
Noch so geschickt; das Ungemach
Führt's in verkehrte Hände.

Was nützt es, datz die Lippe murrt,

Der Staat lätzt sich nicht flachsen.

Und ob dein Bauch rebellisch knurrt -
Man wird dich doch verknacksen.

Drum, Hamster, laß das Hamstern sein!

Doch kannst du's nicht, mein Lieber,

Dann richte auf „Tngros" dich ein
Und mach es wie die Schieber.

Waggonweis zieh dir zu Gemüt
Was man kaum wagt zu träumen;

Venn auch das schärfste kluge sieht
Den Wald oft nicht vor Bäumen! <£ec.

Der Krieg im Winkel.

Kleine Bilver aus der Krlegszeit
von Karl Bröger.

Die Henne in der Straßenbahn.

Gestern stieg am Bahnhof eine Frau
(keine Dame) in die Straßenbahn. Das
wird wohl schon öfter der Fall gewesen sein.
Aber diese Frau hatte etwas aus dem Arm,
ivas man gewöhnlich in der Straßenbahn nicht
auf dem Arm hat: eine gutgenährte, hoheits-
voll um sich äugende Henne.

Wir anderen beguckten das munter blin-
zelnde Federvieh mit viel Teilnahme. Ich
für meine» Teil fühlte sogar ein angenehmes
Kitzeln in der Magengegend. So ist der
Mensch nun einmal.

Die Frau löste für sich einen Fahrschein
und gab ihren Zehner ab. Die Schaffnerin
besah das Geldstück, runzelte die Stirn und
schien angestrengt über etwas nachzudenken.
Dann markierte sie noch einen Fahrschein und
reichte ihn der Hühnerbesitzerin hin, die zu-
nächst nicht recht begriff. „Für die Henne muß
gezahlt iverden. Die gilt als Person."

Der salomonische Entscheid der Schaffnerin
weckte allgemeine Heiterkeit. Nur die Henne
nahm gar keine Notiz davon. Ihr schien es
ganz selbstverständlich, daß sie eine Person
war.

„Ja, aber ich Hab' sie doch auf dem Schoß.
Es dürfen doch auch Kinder bis zu sechs Jahren
frei fahren." Diesen ganz vernünftigen Ein-
wand machte die Frau halb im Scherz, denn
sie hielt schon den Zehner bereit. Die Schaff-
nerin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Und wen» Sie die Henne in die Tasche
stecke», bezahlt muß dafür werden!" Also be-
kam die Henne ihren ordnungsgemäße» Fahr-
schein, was ihr wieder höchst selbstverständlich
schien.

Moral der Szene: Eine Henne ist sonst eine
Henne. Fährt sie aber Straßenbahn, so wird
eine Person daraus. Gründet noch niemand
eine Straßenbahn für Hühner?

Ersatz-Essen.

Es lebe die Wissenschaft! Sie vollbringt
mehr Wunder, als sich der festeste Glaube je
träumen ließ.

Unsere natürlichen Nahrungsmittel schwin-
den mit der Dauer des Krieges mehr und
mehr. Fleisch, Butter, Ei, Ol ... bald werden
es nur noch Worte sein aus einer verschol-
lenen Sprache. Alber es gibt noch Menschen-
freunde in der Welt. Mit aufrichtigem Kummer
haben sie gleich uns bemerkt, daß Fleisch und
Ei, Fett und Ol immer weniger werden. Da-
gegen muß etwas geschehen.

Alles in der Welt läßt sich ersetzen. Wozu
hat man sonst die Wissenschaft? Das Ei zum
Beispiel ist innen gelb. Es gibt noch andere
gelbe Dinge, die zwar von keinem Huhn gelegt
sind, von denen man aber mit gutem Ge-
wissen beschwören kann, daß sie eben gelb si»d-

Gestern ist meine Frau auf den glän-
zenden Gedanken verfallen, einmal so
ein ganzes Mittagessen aus lauter Er-
satzmitteln zu bereiten. Bon ihrem Stand-
punkt aus kann ich das verstehen. Man
bekommt die Jagd auf Lebensmittel all-
gemach satt.

Es gab also zunächst eine Gewürz-
suppe „Ideal". Wahrscheinlich so be-
namst, weil nichts dahintersteckt. Wie
bei den meisten Idealen!

Zweiter Gang: ein Kuchen, zu dem
der Eiersatz „Chantecleer" verwendet
wurde. Chantecleer heißt jener berühmte
Hahn, den Edmond Rostand einst auf
die europäischen Bühnen gebracht hat.
Chantecleer krähte nun zwar den Tag
herrlich an, aber Eier wird er so wenig
gelegt haben wie seine minder berühmten
Artgeuossen. Gebacken war der Kuchen
in dem Fettersatz „Hindenburg". Ich
mußte an die Juchtenstiefel der Russen
denken, denn so ähnlich roch dieser „Hin-
denburg". Der Geruch war wirklich zum
Ausreißen, wodurch die Marke wahr-
scheinlich gerechtfertigt werden soll.

Zuletzt erquickten wir uns an einem
Salat, der mit dem Olersatz „Salatfix"
übergossen war. Dieser Ersatzstoff war
mit so viel Diskretion erzeugt, daß er
sich überhaupt nicht bemerkbar machte,
was dem braven Fabrikanten hoch an-
zurechnen ist.

Daun zählten wir zusammen, was die
verschiedenen Genüsse gekostet hatten,
und kamen auf eine Summe, die un-
gefähr dreimal so groß war, als wenn
ivir wirkliche Eier, wirkliche Butler und
ivirkliches Öl verwendet hätten.

Wir berieten uns über dieses Ergebnis
ernsthaft, und meine Frau kam zu dem
Entschluß, ihre Wasserleitung in Zu-
kunft selbst auszunützen. Ich sollte in
einem Farbgcschäft nur einige Päckchen Farb-
stoff kaufen.

Ihre» Hoheit — die Verkäuferin.

Sie ist sonst immer ein nettes, liebenswür-
diges Mädchen gewesen, das auf gute Um-
gangsformen hielt und sich nie erlaubte, einem
Kunden auch nur ein unhöfliches Wort zu sagen.
Sorgfältig packte sie einst die Einkäufe zusam-
men, verschnürte das Paket und überreichte es
dem Käufer mit niedlichem Knicks. Bei alter
Kundschaft ließ sie es sich nicht nehmen, sie
bis an die Tür zu begleiten und freundlichen
Abschied zu bieten. . . .

Heute ist sie nicht wieder zu erkennen.

Du willst Käse kaufen. Früher hat sie im
Alugenblick fünf verschiedene Sorten herge-
zählt und dir mit wohlgesetzten Worte» auch
noch das und jenes beiläufig empfohlen. Heute
gibt sie sich gar keine Mühe damit. Mit Achsel-
zucken wird deine Frage erledigt, und wenn
du deinen Wunsch bescheiden zu wiederholen
wagst, kann es geschehen, daß sie dir hoheits-
voll den Rücken wendet.

Ja ja, das nette Mädchen ist wie umge-
wandelt. Mit der Seltenheit ihrer Waren ist
das Bewußtsein des eigenen Wertes in ihr
gestiegen. Sie weiß heute, daß sie eine Persön-
lichkeit ist, und teilt als Gnade aus, was vor-
 
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