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3m Steuerlaboratorium.
„Mit diesem Arkanum decken wi^ die Kälfte der Kriegskosten."
herselbstverständlicheDienft-
leistnng war. Sorgfältig siebt
sie den Kreis, für den sie über-
haupt noch zu spreche» ist.
Hoheiten müssen doch auf
gewählten Umgang sehen.
Hoheit hat auch ihre Stim-
mungen. Zwang legt sie sich
nach keiner Richtung hi»
auf. — Es fordert viel Vor-
sicht, Takt und Geschicklich
keit, die Klippen der hoch-
herrschaftlichen Laune zu um-
schiffen und die 100 Gramm
Käse zu erhalten, die man zu
seines Leibes Nahrung und
Notdurft gerade braucht.
Längst wissen kluge Men
schenkenner, wie Jhro Ho-
heit — die Verkäuferin zu
nehmen ist. Sie begegnen ihr
mit ausgesuchter Liebens-
würdigkeit und vermeiden
ängstlich jede» Umstand, der
sie die Gunst des hohe» We-
sens kosten könnte.
Gelegentlich machen sie
auchnoch die Erfahrung, daß
Jhro Hoheit — die Verkäu-
ferin noch das nette, liebens-
würdige Mädchen sein kann,
das sie einmal war. Aber
immer nur für Augenblicke,
dann kommt wieder die Prin-
zessin zum Vorschein, die
nach Belieben Gnade und
Gunst verteilt.
Himmeldonnerwetter! Ja,
wann hört der Krieg auf?
In Freude sterben.
Don A. Titus.
Der alte Kulisch stand in seinem achtund-
neunzigsten Lebensjahr. Mehr als zwei Drittel
seines Lebens hatte er, lebendig begraben, in
dem sibirischen „Totenhause" zngebracht. Er
besaß eine unverwüstliche Gesundheit, und
nur diese hatte es möglich gemacht, daß er
bei seinen furchtbaren Schicksalen ei» so hohes
Alter erreichen konnte. Wo Zehntausende den
Qualen der „Verschickung" erlegen waren, da
hatte er allein sich aufrecht erhalten. Nicht
tvenig hatte dazu beigelragen, daß sein treues
Weib ihm in die Verbannung gefolgt war.
Er war noch zu Zeiten des Zaren Niko-
laus I., des Oberhenkers von Europa, in
Moskau ein behäbiger Kleinbürger gewesen,
der eine» gewinnreichen Handel betrieb. Seine
Verheiratung mit einer liebenswürdigen jungen
Russin stand bevor. Eine sorgenlose und früh-,
liche Zukunft iväre ihnr beschieden gewesen,
wen» er ein alltäglicher Mensch gewesen wäre.
Aber von seinem Vater hatte er einen glühen-
den Freiheitsdrang ererbt. Die Ideen der
großen französischen Revolution, die nach dem
Feldzug Napoleons von 1812 durch französische
Gefangene in Rußland verbreitet worden
ivaren, hatten de» Vater erfaßt und den Sohn
mit unwiderstehlicher Sehnsucht nach Befreiung
des eigenen Volkes aus den Ketten und Banden
des Zarismus erfüllt, und die Polizei wendete
ihm infolge seiner freimütigen Äußerungen
bald ihre besondere Aufmerksamkeit zu.
Eines Tages - es war zu Anfang der
fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts —
ivard er nebst einer kleinen Gruppe ähnlich
gesinnter Männer als Verschwörer plötzlich
verhaftet und auf administrativem Wege nach
Sibirien verschickt. Seiner Braut, die erklärte,
nicht ohne ihn leben zu können, ward gestattet,
ihn nach Sibirien zu begleiten, ivas er als
eine besondere Gnade betrachten mußte. Nach-
dem sie alle Leidensstationen der unmensch-
lichen Beförderung nach Sibirien überstanden,
kamen sie endlich in dem kleinen abgelegenen
Orte an, wo sie künftig leben sollten. Dort
wurden sie getraut und führten das elende
Leben der Verbannten, über das sie ihre Liebe
emporhob.
Aber die Sehnsucht nach Freiheit ließ sich
nicht zähmen. Kulisch beschloß, ausdem„Toten-
hause" zu entfliehen auf dem Wege, der schon
so manchen „Verschickten" in die Kulturwelt
zurückgeführt hat. Er hoffte, China und von
da Nordamerila zu erreichen, und so entflohen
sie eines Tages bei günstiger Gelegenheit. Aber
die zarte junge Frau hatte ihre Kräfte über-
schätzt. Von einem heftigen Fieber befallen,
konnte sie sich nicht weiterschleppen. Der ver-
zweifelnde Gatte knieteneben
ihr, als die verfolgenden Ko>
saken erschienen. Die junge
Frau starb vor Aufregung
und Erschöpfung, und Ku-
lisch wurde nach seinem Ver-
bannungsort zurückgebracht.
Dort wurde alsbald die Ka-
torga über ihn verhängt, das
heißt, er mußte in den Minen
arbeiten.
Dort blieb er nun Jahr-
zehnte hindurch, und seine
eiserne Gesundheit trotzte
den Qualen, llberanstren-
gungen und Entbehrungen,
während anderedavon völlig
zermürbt wurden. Er ge-
wöhnte sich daran, sein Leben
schweigend zu verbringen.
Nur einmal leuchtete es in
seinem Gesicht auf, als die
Sträflinge davon sprachen,
daß der Zar Alexander II.
bei einem Attentat umgekoin-
men sei.
Nikolaus I., Alexander II.
und AlexanderIII.waren aus
der Welt gegangen, und Ku-
lisch arbeitete noch weiter in
der Katorga. Aber er ward
allgemach alt und stumpf,
und die „milde" Regierung
Nikolaus' II. gönnte ihm
endlich etwas Ruhe. Begna-
digt wurde der „Verbrecher"
nicht, denn man konnte ihm
den Fluchtversuch nicht ver-
gessen, aber es ward ihm
eine verfallene Hütte ange-
wiesen, wo er ein „Gnaden-
brot" erhielt, wie man es
einem Hunde gibt. Er war ganz apathisch ge-
worden und vegetierte nur noch. Auf keine
Frage gab er Antwort, auch dem Popen nicht,
der ihn zu trösten kam.
Die weltgeschichtlichen Ereignisse waren an
ihm vorübergegangen, ohne daß er den ge-
ringsten Anteil nahm. Der Türkenkrieg von
1877, der Japanische Krieg — alles interessierte
ihn nicht im mindesten, wenn andere Ver-
bannte davon sprachen. Als die Revolution
von 1005 kam und man von Verfassung und
Duma sprach, horchte er auf, aber er schüttelte
nur den Kopf und blieb schweigsam wie zuvor.
Es kam der März von 1017. Jubelnd be-
richteten die Schicksalsgenossen dem lebens-
müden Greise davon. Etwas belebten sich
seine Züge, aber er schüttelte immer wieder
das kahle Haupt. Er glaubte nicht mehr an
eine erfolgreiche russische Revolution.
Da eines Tages stürmten sie herein, und
einer schrie freudestrahlend: „Kulisch! Wir
werden frei!" Er schüttelte wieder nur das
Haupt.
Aber sie schrien: „Der Zar Nikolaus ist als
Gefangener in Sibirien angekommen!"
Da durchfuhr es den Alten wie ein Blitz-
strahl. Er stieß eine» furchtbaren Schrei aus
und rief: „Es gibt noch eine Vergeltung!"
Alsdann sank er zusammen. Die Freude
hatte ihn getötet.
3m Steuerlaboratorium.
„Mit diesem Arkanum decken wi^ die Kälfte der Kriegskosten."
herselbstverständlicheDienft-
leistnng war. Sorgfältig siebt
sie den Kreis, für den sie über-
haupt noch zu spreche» ist.
Hoheiten müssen doch auf
gewählten Umgang sehen.
Hoheit hat auch ihre Stim-
mungen. Zwang legt sie sich
nach keiner Richtung hi»
auf. — Es fordert viel Vor-
sicht, Takt und Geschicklich
keit, die Klippen der hoch-
herrschaftlichen Laune zu um-
schiffen und die 100 Gramm
Käse zu erhalten, die man zu
seines Leibes Nahrung und
Notdurft gerade braucht.
Längst wissen kluge Men
schenkenner, wie Jhro Ho-
heit — die Verkäuferin zu
nehmen ist. Sie begegnen ihr
mit ausgesuchter Liebens-
würdigkeit und vermeiden
ängstlich jede» Umstand, der
sie die Gunst des hohe» We-
sens kosten könnte.
Gelegentlich machen sie
auchnoch die Erfahrung, daß
Jhro Hoheit — die Verkäu-
ferin noch das nette, liebens-
würdige Mädchen sein kann,
das sie einmal war. Aber
immer nur für Augenblicke,
dann kommt wieder die Prin-
zessin zum Vorschein, die
nach Belieben Gnade und
Gunst verteilt.
Himmeldonnerwetter! Ja,
wann hört der Krieg auf?
In Freude sterben.
Don A. Titus.
Der alte Kulisch stand in seinem achtund-
neunzigsten Lebensjahr. Mehr als zwei Drittel
seines Lebens hatte er, lebendig begraben, in
dem sibirischen „Totenhause" zngebracht. Er
besaß eine unverwüstliche Gesundheit, und
nur diese hatte es möglich gemacht, daß er
bei seinen furchtbaren Schicksalen ei» so hohes
Alter erreichen konnte. Wo Zehntausende den
Qualen der „Verschickung" erlegen waren, da
hatte er allein sich aufrecht erhalten. Nicht
tvenig hatte dazu beigelragen, daß sein treues
Weib ihm in die Verbannung gefolgt war.
Er war noch zu Zeiten des Zaren Niko-
laus I., des Oberhenkers von Europa, in
Moskau ein behäbiger Kleinbürger gewesen,
der eine» gewinnreichen Handel betrieb. Seine
Verheiratung mit einer liebenswürdigen jungen
Russin stand bevor. Eine sorgenlose und früh-,
liche Zukunft iväre ihnr beschieden gewesen,
wen» er ein alltäglicher Mensch gewesen wäre.
Aber von seinem Vater hatte er einen glühen-
den Freiheitsdrang ererbt. Die Ideen der
großen französischen Revolution, die nach dem
Feldzug Napoleons von 1812 durch französische
Gefangene in Rußland verbreitet worden
ivaren, hatten de» Vater erfaßt und den Sohn
mit unwiderstehlicher Sehnsucht nach Befreiung
des eigenen Volkes aus den Ketten und Banden
des Zarismus erfüllt, und die Polizei wendete
ihm infolge seiner freimütigen Äußerungen
bald ihre besondere Aufmerksamkeit zu.
Eines Tages - es war zu Anfang der
fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts —
ivard er nebst einer kleinen Gruppe ähnlich
gesinnter Männer als Verschwörer plötzlich
verhaftet und auf administrativem Wege nach
Sibirien verschickt. Seiner Braut, die erklärte,
nicht ohne ihn leben zu können, ward gestattet,
ihn nach Sibirien zu begleiten, ivas er als
eine besondere Gnade betrachten mußte. Nach-
dem sie alle Leidensstationen der unmensch-
lichen Beförderung nach Sibirien überstanden,
kamen sie endlich in dem kleinen abgelegenen
Orte an, wo sie künftig leben sollten. Dort
wurden sie getraut und führten das elende
Leben der Verbannten, über das sie ihre Liebe
emporhob.
Aber die Sehnsucht nach Freiheit ließ sich
nicht zähmen. Kulisch beschloß, ausdem„Toten-
hause" zu entfliehen auf dem Wege, der schon
so manchen „Verschickten" in die Kulturwelt
zurückgeführt hat. Er hoffte, China und von
da Nordamerila zu erreichen, und so entflohen
sie eines Tages bei günstiger Gelegenheit. Aber
die zarte junge Frau hatte ihre Kräfte über-
schätzt. Von einem heftigen Fieber befallen,
konnte sie sich nicht weiterschleppen. Der ver-
zweifelnde Gatte knieteneben
ihr, als die verfolgenden Ko>
saken erschienen. Die junge
Frau starb vor Aufregung
und Erschöpfung, und Ku-
lisch wurde nach seinem Ver-
bannungsort zurückgebracht.
Dort wurde alsbald die Ka-
torga über ihn verhängt, das
heißt, er mußte in den Minen
arbeiten.
Dort blieb er nun Jahr-
zehnte hindurch, und seine
eiserne Gesundheit trotzte
den Qualen, llberanstren-
gungen und Entbehrungen,
während anderedavon völlig
zermürbt wurden. Er ge-
wöhnte sich daran, sein Leben
schweigend zu verbringen.
Nur einmal leuchtete es in
seinem Gesicht auf, als die
Sträflinge davon sprachen,
daß der Zar Alexander II.
bei einem Attentat umgekoin-
men sei.
Nikolaus I., Alexander II.
und AlexanderIII.waren aus
der Welt gegangen, und Ku-
lisch arbeitete noch weiter in
der Katorga. Aber er ward
allgemach alt und stumpf,
und die „milde" Regierung
Nikolaus' II. gönnte ihm
endlich etwas Ruhe. Begna-
digt wurde der „Verbrecher"
nicht, denn man konnte ihm
den Fluchtversuch nicht ver-
gessen, aber es ward ihm
eine verfallene Hütte ange-
wiesen, wo er ein „Gnaden-
brot" erhielt, wie man es
einem Hunde gibt. Er war ganz apathisch ge-
worden und vegetierte nur noch. Auf keine
Frage gab er Antwort, auch dem Popen nicht,
der ihn zu trösten kam.
Die weltgeschichtlichen Ereignisse waren an
ihm vorübergegangen, ohne daß er den ge-
ringsten Anteil nahm. Der Türkenkrieg von
1877, der Japanische Krieg — alles interessierte
ihn nicht im mindesten, wenn andere Ver-
bannte davon sprachen. Als die Revolution
von 1005 kam und man von Verfassung und
Duma sprach, horchte er auf, aber er schüttelte
nur den Kopf und blieb schweigsam wie zuvor.
Es kam der März von 1017. Jubelnd be-
richteten die Schicksalsgenossen dem lebens-
müden Greise davon. Etwas belebten sich
seine Züge, aber er schüttelte immer wieder
das kahle Haupt. Er glaubte nicht mehr an
eine erfolgreiche russische Revolution.
Da eines Tages stürmten sie herein, und
einer schrie freudestrahlend: „Kulisch! Wir
werden frei!" Er schüttelte wieder nur das
Haupt.
Aber sie schrien: „Der Zar Nikolaus ist als
Gefangener in Sibirien angekommen!"
Da durchfuhr es den Alten wie ein Blitz-
strahl. Er stieß eine» furchtbaren Schrei aus
und rief: „Es gibt noch eine Vergeltung!"
Alsdann sank er zusammen. Die Freude
hatte ihn getötet.