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9441

Pfarrer Traub.

»Meine Herren, das preußische Dreiklassenwahlrecht lft eine gottgewollte Einrichtung . . •
daran werden Sie mit Ihren faulen Eiern nichts ändern, denn was Gott zusammensügt,

soll der Mensch nicht scheiden.«

interessieren mir wenig;
um so mehr die Abtei-
lung der „Gebrauchs-
gegenstände". Rufe der
Bewunderung erschallen
und Käufe werden im
Handumdrehen zahlreich
abgeschlossen.

Was gibt es hier?
Feuerzeuge in Form
einer Granate, patrio-
tische Bilder-Rahmen,
Zigaretten mit Mund-
stücken in verschiedenen
Landesfarben, Torten
in Form eines Eisernen
Kreuzes,derHindenburg-
kopf als Sparbüchse, als
Tintenfaß, als Kuchen-
form, als Bierseidel, als
Likörflasche, Taschen-
tücher mit Strategenköp-
fen, nationalfarbige Kon-
fektbeutel, Zigarrenab-
schneider in Form eines
Mörsergeschosses,
Schreibmappen mit felb
grauem Überzug und auf-
gepreßten Achselstücken,
Federhalter in Form
eines Gewehrs und tau-
send andere Dinge, die
ebenso sinnig und ge-
schmackvoll sind. Ja,
der Redner vorhin hatte
Recht: „Der Erfinder-
geist ruht nicht. . . ."

Eine hohe, schlanke
Frau, die wie aus einer
anderen Zeit zu stammen
scheint, geht durch die
Ausstellung. Ihre Züge
sind streng aber edel. Sie
fällt allgemein auf. Dar-
um bleibt es auch nicht

Schneesturm.

o

Vlank blinkt jeder Berg zu Tal.

Eis hält alles fest umkrallt.

Schwarze Vögel dort im Tal
ziehen kreischend um den Wald.

Stern auf Stcrnlein fällt herab,
füllen Kuppeln, Mauern, Turm.

Um ein frischgcschaufelt Grab
treibt sein Spiel der kalte Sturm.

Heißes Lieben möchte sein — —

Der Orkan fegt alles weg.

Krachend stürze» Brücken ein
und versperren Weg und Steg.

Skurmgepeitschte suchen Grund,
wo der Föhn zerwühlend weht.

Ganz verlassen, weh und wund,

Herz und Denken stille steht.

Durch die Wälder schreit der Föhn.
Heulend tanzt der Sturm im Kreis.
Suchend, starr und hungernd gehn
Mensch und Tier durch Schnee und Eis.

Tastend finden wir die Bahn,
wen» der Sturm am Fels zerbricht.
Unser Weg führt höhenan:

Frieden kündet uns das Licht. o.P.

Fastenzeit.

Carnevale! Auf deutsch: Fleisch, lebe wohl!

Das ist eine Losung, die in gewöhnlichen
Zeiten eigentlich nur in der zwölften Stunde
der Fastnacht ihre sinngemäße Berechtigung
hat. Aber seitdem uns der Krieg den Brot-
korb höher hängte und den Fettnapf zerbrach,
haben wir von aller kalendermäßigen Be-
schränkung dieser Art des Karnevals abge-
sehen und feiern zwölf Monate des Jahres
die fleischliche Enthaltsamkeit. Es ist dies das
einzige Vergnügen, das uns von den lustigen
Gaben des närrischen Prinzen übriggeblieben
ist, und es wird nur bescheiden gemindert
durch den Unisland, daß wir wöchentlich in
200 Gramm ohne oder in einein halben Pfund
mit Knochen schwelgen können. Schon iin Koch-
topf kriecht es scheu zusammen, als schäme es
sich der zu erwartenden Völlerei, und sobald

verborgeii, daß sieinuner
empörter dreinschaut, je
mehr sie sieht. Endlich
wendet sie ihr Haupt
>vie in innerem Ekel und
macht kehrt.

„Kennen Sie vielleicht
die Dame?" fragt ein
Frenider den Leiter der
Ausstellung'.

„Nein," antivortet der
entschiede».

Der neugierige Fremde
fragt noch mehrere der
Käufer und Verkäufer.
Aber niemand kennt sie.

Ta entschließt er sich,
sie anzusprechen. Eilends
folgt er ihr zum Portal,
das sie gerade durch-
schreitet.

„Verzeihung! Sie kom-
men mir so bekannt vor,"
beginnt er stockend.

Sie wendet sich um.
„Man hat inich ja vorhin
hier hoch leben lassen."

„Sie??"

»Ja. Ich bin — die
Kultur. Sagen Sie aber
dein Redner, er solle
hier meinen Namen nicht
lästern!!"

Und erhobenen Haup-
tes geht sie in das weiße
Schneegestöber, das sie
bald verhüllt.

Vorschlag.

Man sucht nach neuen
Steuern! — Das gäb' ein
schönesGeld,-wcnnman
nur könnt' das Lügen —
besteuern in der Well!

es den Teller erreicht hat, seufzt der Genießende
wehmütig: Larns vale! - und sieht sich um.
Aber es lebt schön wohl. Und niemand weiß,
daß es gewesen ist. Nur wenn es ein Stück
mit Knochen war, bleibt eine materielle Sub-
stanz zurück — als Anregung für die Phan-
tasie, die das Entschwundene dann noch ein-
mal zum Kohl genießt.

Von diesen kleinen Rückfällen in barbarische
Gewohnheiten abgesehen, haben wir dem alten
Laster der fleischfressenden Säugetiere kon-
seguent entsagt. Gewiß, es gibt Wurst und
Sülze. Ohne Marken sogar. Aber der irrt sich,
der ineint, diese Erzeugnisse des fleischerlichen
Kunstgewerbes könnten der Stillung fleisch-
licher Begierden dienen. Iß ruhig deine Sülze
und belade dich nicht mit Gewissensskrüpeln.
Du futterst nur gesäuerte Gelatine mit zer-
kleinertem Suppengrün. Und wenn du wirk-
lich einmal ein paar Moleküle einer Schwarte
darin entdecken solltest, dann sei überzeilgt.
daß hier irgendwie ein Irrtum passiert ist.

Oder Wurst. Du glaubst, naiver Zeitgenosse,
es könnte Wurst sein, weil du acht Mark vierzig
für das Pfund gezahlt hast. O du Phantast!
 
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