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Erster Friedensschluß.

Durch die Seele ein Brausen gehl, Friede! Erster, zagender Schritt! Friede! Mindest an einem Ort

Erstes Dämmern des Lenzes weht, Ob auch noch nicht des Leidens quitt, Schweigt das Grauen und schweigt derMord,

Zitternd liegt über blutigem Feld Doch im Herzen ringt sich's empor Reichen sich wieder die Bruderhand

Bangend Hoffen der ganzen Welt. Wie ein jubelnder Freudenchor. Völker, die blutiger Wahn gebannt.

Sekg Jauchzen in jeder Brust, Und aus all dem blutigen Graun

Frische, quellende Lebenslust — Soll sich neu unsre Zukunft baun:

Dieser erste purpurne Schein Sonniger, wonniger, strahlender Mai,

Soll uns Künder

Berliner Straßenbild.

Feldpostbriefe.

i XCIl.

Geliebte Eltern! Also Ihr meint, nachdein
der Frieden mit die Ukraine geschlossen ist,
wird der Krieg nicht mehr allzu lange dauern,
und Ihr macht Euch jetzt Sorgen, was nach-
her aus mir werden soll. Denn wenn die
sämtlichen Jahrgänge nach Hause entlassen
werden, würde ein Mangel an Arbeitsstellen
eintreten. Mutter meint nun, ich solle mir
beizeiten als Rayonchef bei Tietz oder Wert-
heim melden, wo einer so viele Sprachen auf
einmal verstehen muh, was ich bei meinen
langjährigen Aufenthalt in die überwiegend-
sten europäischen Länder doch wohl gelernt
haben würde.

In die Tatsache selbst hat Muttern ja recht.
Ich kenne mir ins Französische, Belgische,
Flandrische, Englische, Polnische, Russische,
Livländische, Kurländische, Litauische, Gali-
zische, Ungarische, Österreichische, Griechische,
Bulgarische, Montenegrinische, Rumänische,
Serbische, Türkische, Mazedonische, Amerika-
nische und Italienische so ziemlich aus. Aber
ich glaube doch, daß ich vielleicht die Friedens-
vokabeln und -redensarten nicht so fließend
beherrschen werde, wie ich mir die kriegerische
Ausdrucksweise angeeignet habe. Denn es ist
etwas Verschiedenes, ob man einen Quartier-
wirt bemerkbar machen will, daß man etwas
zu essen oder zu trinken nötig hat, und einen
Bauern fragen, wo der Weg nach das nächste
Dorf ist, — oder ob man das Publikum bei

des Morgen sein. Der von Krieg und

Jandorff in zwei Dutzend Sprachen mitteilen
muß, daß die zurückgesetzten Zahnbürsten mit
Webefehler schon leider vergriffen sind, oder
daß augenblicklich billige Woche für baum-
fleckige Korsettschoner stattfindet. Angesichts
von solche dienstliche Verpflichtungen würde
ich mir doch sehr bald in ein unzweideutliches
Dilemma befinden.

Also werde ich mir wohl nach etwas an-
deres umsehen müssen. Und ich glaube, bei
die vielfachen Talente, die man sich auch, ab-
gesehen von die Sprachkenntnisse, in einen
bald vierjährlichen Weltkrieg angeeignet hat,
wird es mir schon gelingen, eine passende
Beschäftigung zu finden. Daß ich mir als
Amateurheilgehilfe, als Flickschneider oder
Schuster verwendbar machen könnte, versteht
sich am Rande. Aber das wäre für einen
Gefreiten von die preußische Garde keine
standesgemäße Berufstätigkeit. Ich denke an
eine glänzendere Karriere. Zum Beispiel steht
doch immer in die Zeitungen, daß die Woh-
nungsnot nach den Krieg sehr groß sein
wird. Da werden viele Leute sich glücklich
preisen, wenn einer ihnen eine passende Unter-
kunft besorgt. Und in diese Hinsicht stehe ich
groß da. Schickt mir in die Wuhlheide oder
auf die Spitze von den großen Müggelberg
— in eine gute Stunde habe ich Euch ein
pikfeines Logement für die kinderreichste Fa-
milie aus die Erde gebuddelt, wo die Trocken-
wohner sofort einziehen können! Auch Möbel-
fabrikation aus alte Kistendeckel, Ofensetzen
aus leere Konservenbüchsen, Tapeziererarbeit
aus gelesene Feldpostbriefe alles verstehe
ich in die virtuoseste Weise, und sogar in die
Klosett- und Telephonanlage nehme ich es mit
jede Konkurrenz auf! Oder wenn es damit
Essig sein sollte, so könnte ich mir vielleicht
als Küchenchef in ein feineres Restaurant ver-
mieten. Es gibt nämlich keinen noch so un-
genießbaren Gegenstand in alle drei Reiche
der Naturgeschichte, aus den ich nicht in die
kürzeste Zeit das feinste Kaisersgeburtstags-
diner für Adlon oder Borchardt Herstellen
könnte. Sogar richtige Liebeskonserven, wie
sie von patriotische Fabrikanten öfters ins
Feld geschickt werden, verstehe ich ohne ge-
sundheitliche Schädigung für die menschliche
Nahrung gebrauchbar zu machen.

Kurz und gut, geliebte Eltern, ich schmeichle
mir, daß für mir auch nach den Krieg gesorgt
sein wird. Hauptsache ist, daß der Friede
kommt! Und wenn ich dann nicht Rayonchef

Verbrechen frei! Ernst Klaar.

bei Wertheini oder unterirdischer Bauspeku-
lant oder Oberkoch ins Esplanade werde, so
steht ja meine alte Fabrik in Moabit noch,
und wenn ich mit gesunde Glieder zu Hause
komme, dann wird dort wohl noch an irgend-
eine Maschine ein Platz für mir sein. Und
wenn ich dann Mittwochs am Zahlabend im
Wahlverein meine alten Genossen wieder finde,
so werde ich zufrieden sein und mir auch als
gewesener Garde-Gefreiter über mein zivilisti-
sches Los nicht weiter beklagen. Hauptsache
aber ist, wie gesagt, der Frieden. Und zwar
meine ich nicht bloß dem äußerlichen Frieden,
sondern auch dem in die Partei. Streitereien
und Kämpfe darf es dann nicht mehr geben:
von das kriegerische Unwesen haben wir, die
wir draußen waren, die Nase voll! Wir Feld-
graue werden, das verspreche ich Euch, dafür
sorgen, daß unter die Genossen Frieden und
Freundschaft herrscht. Schafft Ihr in Berlin
man das Eurige, damit der Frieden nach außen
ebenso schnell und gründlich fertig wird!

Mit diesen aufrichtigen Wunsch grüße ich
Euch herzlichst als Euer dankbarer Sohn und
Gefreiter August Säge jun.,
Garde-Grenadier.

Glossen.

Höchstpreise sind aller Laster Anfang.

Gesetz ist mächtig, mächtiger ist —derWucher.

Zum Kriegführen gehört Geld, Geld, Geld
— zum Friedenschließen gehört Geduld, Ge-
duld, Geduld.

Biele waten freventlich durch ein Meer von
Blut und werden doch nicht „rot" davon —
nicht einmal schamrot!

Fremdwörter-Lexikon.

Makulatur — Kricgogedichte.
Zivilist — der weifte Rabe.
Abstinent — der Biertrinker.
Ethik — es war einmal.
Dementi — Wahrheits-Ersatz.
Reklamiert — kriegsbegeistert.
Neutral — auf der Lauer.
Annexion — das Hindernis.
Zensur — überflüssiges Möbel.
Illusion - Vernunft.
 
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