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6nabiosis.
Wozu?
Nie Hai des Todes Sichel
Der Läupter so viel gefällt;
Solch ungeheures Sterben
Sah niemals noch die Welt.
Vergebens magst du blättern
In der Geschichte Buch,
Noch niemals auf der Menschheit
Tat ruh'n ein solcher Fluch.
Noch nie hat so die Menschheit,
Geraten aus Rand und Band,
Zerstört, was sie geschaffen,
Mil ihrer eignen Land.
Das Band der Bruderliebe
Ward niemals noch so kraß
Allüberall zerriffen
Vom blinden Völkerhaß.
Und wähl- und ziellos wurden
Die Opfer all geweiht.
Die Besten mußlen springen
Wohl in den Riß der Zeit.
Noch niemals sah die Menschheit
So viel in Trümmer gehn.
Roch niemals tat sie ratlos
Vor solchem Rätsel stehn.
And sucht sie nach der Lösung
Auch ohne Rast und Ruh,
Sie kann nur immer fragen
And seufzen bang: Wozu? L. Flux.
o Eisen, o
Von A.L.
Der Eisenstein dachle nach.
Wie lange war er nun schon auf der
Well? Ei, das war schon eine hübsche
Weile. Weit liegen seine Gedanken wohl zurück,
unheimlich weit. Die Dinge, die man für tot
hält, haben ein langes Gedächtnis. Viel länger
als die Menschen.
Wie eine kurze Gerte schwankt das mensch-
liche Gedächtnis zwischen Wiege und Grab.
Eine kleine Strecke Weges, ein Tasten zwischen
dunklen Gängen. Eben ward es ein bißchen
Heller — da ist es schon zu Ende.
Nicht so bei den Dingen. Nicht so bei dem
Eisenstein auf dem lothringischen Erzfeld. Der'
bestrich mit seinem eisernen Gedächtnis die
versunkenen Jahrtausende, wie wir die Stun-
den. Er hatte Zeit da droben. Überhaupt, was
war dem Zeit? Ein Blinzeln seiner müden
Augenlider — und schon hatte drunten in dem
Tale ein Menschenleben seinen kurzen Zirkel
fast vollendet. Ein zweites Blinzeln - und
schon sank sein Kind ins Grab.
Des Eisensteins Denken tropfte in die Ver-
gangenheit. Und jedesmal, wenn ein Jahr-
tausend abgerollt war, gab es einen Klang,
wie wenn geschmolzene Eisentropfen in das
Wasser zischen.
„Wie ist mir denn?" sagte er, „ich lag doch
damals an die tausend Meter höher! Wie
rasch doch diese Berge schmelzen. Wie lange
wird es dauern und die Erde ist ein Tisch,
ein flacher Tisch."
Weiter lief sein Denken ins Vergangene.
Meere ebbten auf und nieder.
„Ja ja," sagte der Eisenstein langsam, und
zwischen jedem seiner Worte ward ein junger
Rein Sonnenstrahl dringt durch die düstre Mauer,
Rein froher Sang dringt in die Zwingburg ein,
Und Rettenrasseln nur verstärkt den Schauer
vor dem lebendig hier begraben sei».
Für Freiheit glaubtet ihr zu ringen,
Für die das Herz in heißer Sehnsucht schlug-
Sie wird auch euch die hehre Stunde bringen,
Oie endlich löst der Menschheit Höllenfluch.
Menschenscheitel bleich vom Alter, „ja ja, nun
sällt's mir ein, einst wiegte ich mich fein ge-
löst im Ozean. So sein war ich, daß mich die
Fische gar nicht sehen konnten. Ich aber schaute
ihre blinkenden Silberschuppen. Und als ich
müde war vom Wiegen und vom Schauen,
setzte ich mich nieder und so ward aus
mir der Eisenstein."
Und dann dachte er darüber nach, wie er
wohl in das Meer hineingekommen war. Aber
da versagte plötzlich sein Gedächtnis. Er ivußte
es nicht mehr.
,,Hm," sagte er bedenklich, „es scheint, ich
werde alt."
Und da begab es sich, daß zwischen diesen
Worten ein neuer Lebensstroni ins Tal zu
seinen Füßen schoß. Eisenhütten wuchsen aus
der Erde, Hochöfen stiegen in die Luft. Mit
Wagen fuhren sie der Eisenbergs Flanken an.
Spitzhacken senkten sich in das Gestein und
Stollen trieb man in den Leib der Berge.
Wenn der Berg die Zeit empfände wie wir
Menschen, aufgeschrien hätte er vor Schmerz.
Aber Berge fassen im Empfinden mindestens
ein Jahr zusammen. Und weil in einem Jahr
nicht nur Hacken klirren, sondern auch die
Matten grünen und die Vögel singen, kommt
selbst für aufgehackte Berge ein erträgliches
Gesamtgefühl heraus.
Brausend kam die neue Zeit auch über un-
fern Eisenstein. Dröhnend stieg die Menschen-
arbeit an den Halden aufwärts. Dampf wallte
darüber hin und ein Gewerkel war dort, daß
der Eisenstein manchmal zitterte vom
Prall der Hämmer und der Hacken.
Und eines Tages traf ihn selbst die
Hacke. In einem Bogen sprang er durch
die Luft in einen Wagen hinein zu
seinesgleichen. Dampf schleppte ihn ein
Stück durchs Land. Kleine Wagen
zogen ihn und seine Brüder zur Mün-
dung eines großen Ofens hin. Reihum
stürzte er mit Koks in einen Schlund.
Da lagen sie nun in Schichten, Koks
und Erz, und Erz und Koks, silbergrau
und schwarz und schwer. Glühend
strich erhitzter Wind darüber hin. Kalk
polterte da-u herunter- Da schmolz des
Eisensteines Herz? Es vertränke in die
Tiefe. Dabei entriß ihm rote Kohle
den Luftgesellen Sauerstoff, der sich
am Berg mit ihm verbrüdert hatte,
und gab sich selbst dafür iri die Ehe.
Funkelnd schoß die Elsenstange aus
dem Stichloch, rann durch Sand zum
Milcher und zum Stahlwerk in die
Riesenbirne. Wieder falichten heiße
Wmde durch das Eisenmeer, heulend
stieg ein Eisenlieo hinauf zum Himmel
und die kurze Kohlenehe ivurde bis
auf einen kleinen Rest zerstört.
Jetzt war er Stahl geworden. Man
goß ihn zu Zyklopeublöcken, Walzen
knirschten über seinen weißen Funkel-
leib, einmal, zweimal, dreimal. .. .
„Ist das das Ende?" dachte der Ge-
selle. Und siehe, eine blanke Schiene war
aus ihm geworden. EinSlempel brennt
ihm an der Lende und verharrfcht.
Die Schiene zieht ins Land hinaus.
Um die halbe Erde rollt sie. Sibirien
— sie ist am Ziele. Da liegt sie nun, ein
Stücklein von der Erde größtem Eiscngürtel.
Tausend Züge donnern über sie. Auf ein
paar Meter Länge rollen frohe Menschen;
rollen stille Menschen auf der Schiene, rollen
Güter ohne Zahl. Kriegeknattern über ihren
Eisenleib. Keine Ruhe ist mehr und keine Rast.
Wind und Wetter fegte über diese Schiene.
Eisig kroch's heran vom Norden. Es tat der
Rost sein schieferblättrig Maul auf. Aber still
und ruhig lag die Schiene da in einer Linie
mit den Schwestern. Nur einmal bog sie sich
ein ivenig auf in Sehnsucht nach der fernen
Heiniat — krach, ein Zug splitterte in Scherben.
Wieder rollte die verbogene Schiene über
Land. Wieder glühten Feuer um sie auf. Aus
der Schiene ward ein Träger. Aufrecht stand
er da in einen! hohen Hause. Riesenlasten
trug er spielend. An seiner Flanke ginge»
viele Menschen aus und ein.
„Für die Ewigkeit hält solch ein Eisenträger."
Eines nachts wachte er auf. Wieder fühlte
er sich von der alten Glut umflanunt. Abex
nicht im Puddelofen war es. Das Haus, mit
dem er sich verbunden hatte, brannte. Der
Eisenträger hörte Feuerhörner tuten, Wagen
rasseln, sah Hel>»e blitzen. Doch daß die Men-
schen jammerten und schrieen, das verstand
er nicht. Er glühte auf vor Lust — und kra-
chend stürzte eine Mauer hin.
Man goß ihn um. Mit anderen Metallen
schmolz man ihn zusammen. Da wurde er zur
Glocke. Die schwang und hatte eine Sprache.
Eine Sprache, die sogar für jene Menschen
6nabiosis.
Wozu?
Nie Hai des Todes Sichel
Der Läupter so viel gefällt;
Solch ungeheures Sterben
Sah niemals noch die Welt.
Vergebens magst du blättern
In der Geschichte Buch,
Noch niemals auf der Menschheit
Tat ruh'n ein solcher Fluch.
Noch nie hat so die Menschheit,
Geraten aus Rand und Band,
Zerstört, was sie geschaffen,
Mil ihrer eignen Land.
Das Band der Bruderliebe
Ward niemals noch so kraß
Allüberall zerriffen
Vom blinden Völkerhaß.
Und wähl- und ziellos wurden
Die Opfer all geweiht.
Die Besten mußlen springen
Wohl in den Riß der Zeit.
Noch niemals sah die Menschheit
So viel in Trümmer gehn.
Roch niemals tat sie ratlos
Vor solchem Rätsel stehn.
And sucht sie nach der Lösung
Auch ohne Rast und Ruh,
Sie kann nur immer fragen
And seufzen bang: Wozu? L. Flux.
o Eisen, o
Von A.L.
Der Eisenstein dachle nach.
Wie lange war er nun schon auf der
Well? Ei, das war schon eine hübsche
Weile. Weit liegen seine Gedanken wohl zurück,
unheimlich weit. Die Dinge, die man für tot
hält, haben ein langes Gedächtnis. Viel länger
als die Menschen.
Wie eine kurze Gerte schwankt das mensch-
liche Gedächtnis zwischen Wiege und Grab.
Eine kleine Strecke Weges, ein Tasten zwischen
dunklen Gängen. Eben ward es ein bißchen
Heller — da ist es schon zu Ende.
Nicht so bei den Dingen. Nicht so bei dem
Eisenstein auf dem lothringischen Erzfeld. Der'
bestrich mit seinem eisernen Gedächtnis die
versunkenen Jahrtausende, wie wir die Stun-
den. Er hatte Zeit da droben. Überhaupt, was
war dem Zeit? Ein Blinzeln seiner müden
Augenlider — und schon hatte drunten in dem
Tale ein Menschenleben seinen kurzen Zirkel
fast vollendet. Ein zweites Blinzeln - und
schon sank sein Kind ins Grab.
Des Eisensteins Denken tropfte in die Ver-
gangenheit. Und jedesmal, wenn ein Jahr-
tausend abgerollt war, gab es einen Klang,
wie wenn geschmolzene Eisentropfen in das
Wasser zischen.
„Wie ist mir denn?" sagte er, „ich lag doch
damals an die tausend Meter höher! Wie
rasch doch diese Berge schmelzen. Wie lange
wird es dauern und die Erde ist ein Tisch,
ein flacher Tisch."
Weiter lief sein Denken ins Vergangene.
Meere ebbten auf und nieder.
„Ja ja," sagte der Eisenstein langsam, und
zwischen jedem seiner Worte ward ein junger
Rein Sonnenstrahl dringt durch die düstre Mauer,
Rein froher Sang dringt in die Zwingburg ein,
Und Rettenrasseln nur verstärkt den Schauer
vor dem lebendig hier begraben sei».
Für Freiheit glaubtet ihr zu ringen,
Für die das Herz in heißer Sehnsucht schlug-
Sie wird auch euch die hehre Stunde bringen,
Oie endlich löst der Menschheit Höllenfluch.
Menschenscheitel bleich vom Alter, „ja ja, nun
sällt's mir ein, einst wiegte ich mich fein ge-
löst im Ozean. So sein war ich, daß mich die
Fische gar nicht sehen konnten. Ich aber schaute
ihre blinkenden Silberschuppen. Und als ich
müde war vom Wiegen und vom Schauen,
setzte ich mich nieder und so ward aus
mir der Eisenstein."
Und dann dachte er darüber nach, wie er
wohl in das Meer hineingekommen war. Aber
da versagte plötzlich sein Gedächtnis. Er ivußte
es nicht mehr.
,,Hm," sagte er bedenklich, „es scheint, ich
werde alt."
Und da begab es sich, daß zwischen diesen
Worten ein neuer Lebensstroni ins Tal zu
seinen Füßen schoß. Eisenhütten wuchsen aus
der Erde, Hochöfen stiegen in die Luft. Mit
Wagen fuhren sie der Eisenbergs Flanken an.
Spitzhacken senkten sich in das Gestein und
Stollen trieb man in den Leib der Berge.
Wenn der Berg die Zeit empfände wie wir
Menschen, aufgeschrien hätte er vor Schmerz.
Aber Berge fassen im Empfinden mindestens
ein Jahr zusammen. Und weil in einem Jahr
nicht nur Hacken klirren, sondern auch die
Matten grünen und die Vögel singen, kommt
selbst für aufgehackte Berge ein erträgliches
Gesamtgefühl heraus.
Brausend kam die neue Zeit auch über un-
fern Eisenstein. Dröhnend stieg die Menschen-
arbeit an den Halden aufwärts. Dampf wallte
darüber hin und ein Gewerkel war dort, daß
der Eisenstein manchmal zitterte vom
Prall der Hämmer und der Hacken.
Und eines Tages traf ihn selbst die
Hacke. In einem Bogen sprang er durch
die Luft in einen Wagen hinein zu
seinesgleichen. Dampf schleppte ihn ein
Stück durchs Land. Kleine Wagen
zogen ihn und seine Brüder zur Mün-
dung eines großen Ofens hin. Reihum
stürzte er mit Koks in einen Schlund.
Da lagen sie nun in Schichten, Koks
und Erz, und Erz und Koks, silbergrau
und schwarz und schwer. Glühend
strich erhitzter Wind darüber hin. Kalk
polterte da-u herunter- Da schmolz des
Eisensteines Herz? Es vertränke in die
Tiefe. Dabei entriß ihm rote Kohle
den Luftgesellen Sauerstoff, der sich
am Berg mit ihm verbrüdert hatte,
und gab sich selbst dafür iri die Ehe.
Funkelnd schoß die Elsenstange aus
dem Stichloch, rann durch Sand zum
Milcher und zum Stahlwerk in die
Riesenbirne. Wieder falichten heiße
Wmde durch das Eisenmeer, heulend
stieg ein Eisenlieo hinauf zum Himmel
und die kurze Kohlenehe ivurde bis
auf einen kleinen Rest zerstört.
Jetzt war er Stahl geworden. Man
goß ihn zu Zyklopeublöcken, Walzen
knirschten über seinen weißen Funkel-
leib, einmal, zweimal, dreimal. .. .
„Ist das das Ende?" dachte der Ge-
selle. Und siehe, eine blanke Schiene war
aus ihm geworden. EinSlempel brennt
ihm an der Lende und verharrfcht.
Die Schiene zieht ins Land hinaus.
Um die halbe Erde rollt sie. Sibirien
— sie ist am Ziele. Da liegt sie nun, ein
Stücklein von der Erde größtem Eiscngürtel.
Tausend Züge donnern über sie. Auf ein
paar Meter Länge rollen frohe Menschen;
rollen stille Menschen auf der Schiene, rollen
Güter ohne Zahl. Kriegeknattern über ihren
Eisenleib. Keine Ruhe ist mehr und keine Rast.
Wind und Wetter fegte über diese Schiene.
Eisig kroch's heran vom Norden. Es tat der
Rost sein schieferblättrig Maul auf. Aber still
und ruhig lag die Schiene da in einer Linie
mit den Schwestern. Nur einmal bog sie sich
ein ivenig auf in Sehnsucht nach der fernen
Heiniat — krach, ein Zug splitterte in Scherben.
Wieder rollte die verbogene Schiene über
Land. Wieder glühten Feuer um sie auf. Aus
der Schiene ward ein Träger. Aufrecht stand
er da in einen! hohen Hause. Riesenlasten
trug er spielend. An seiner Flanke ginge»
viele Menschen aus und ein.
„Für die Ewigkeit hält solch ein Eisenträger."
Eines nachts wachte er auf. Wieder fühlte
er sich von der alten Glut umflanunt. Abex
nicht im Puddelofen war es. Das Haus, mit
dem er sich verbunden hatte, brannte. Der
Eisenträger hörte Feuerhörner tuten, Wagen
rasseln, sah Hel>»e blitzen. Doch daß die Men-
schen jammerten und schrieen, das verstand
er nicht. Er glühte auf vor Lust — und kra-
chend stürzte eine Mauer hin.
Man goß ihn um. Mit anderen Metallen
schmolz man ihn zusammen. Da wurde er zur
Glocke. Die schwang und hatte eine Sprache.
Eine Sprache, die sogar für jene Menschen