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— 9456

März.

Oer letzte Nlärzenschnee schmilzt tief in
Uckerrinnen.

Lrdschollen dampfen;

Oie braune Uckcrkrume atmet Uuferstehn.

Zugochsen stapipfen,

Stumpfsinnig reißt der Pflug der Erde
breite Wunden.

Oie erste Lerche schraubt sich jubelnd in
die Lüfte,

Lichtsieg verbündend!

Lin neuerwachtes Leben sprießt und lacht.

Natur ergründend

Entschlüpfen silbergraue Kätzchen brau-
nen Knospen.

So schreit' ich jauchzend, froh im jungen
Lenzesfrieden ...

Wahnsinn! Im Frieden?

Granaten wühlen wild im Leib der Mutter
Erde .. .

Und so verschieden

Klingt Lerchensang vom Sausen, pfeifen
der Schrapnelle!

Und Minen springen hüpfend zwischen
Menschenleiber ...

Jugend zerfetzend ...!

von aufgeplatztenweidenknospen tropfet
Blut . . .

wildglühend, hetzend,

Zerreißen Brüder sich im wilden Toten-
tanz« ! Robert.

Schwestern.

Von L. P.

Wenn die Fabrik die vielen Arbeitsmenschen
zum Feierabend hergab, sah man regelmäßig
bei der Straßenbiegung fünf, sechs schwarz-
gekleidete Frauen aus dem wallenden Men-
schenstrom ausscheiden. Auf dem kleinen Platz
vor den massiven Mietskasernen wartete eine
auf die andere. Zuerst kam immer die jüngere
Blondine, eine schlanke, zarte Figur. Nachher
folgten die anderen. Ohne viele Worte, ganz
gegen die allgemeine Art der Frauen, be-
grüßten sie sich und gingen dann schweigend
straßenaufwärts. So kamen und gingen sie alle
Tage, die fünf, sechs Frauen. Manchmal schaute
ihnen wohl die Neugierde nach. Sie gaben sich
durchaus nicht so, als wollten sie alle Blicke
auf sich ziehen. Man gewann bei ihrer Be-
gegnung vielmehr den Eindruck, als wären
sie am liebsten unter sich allein.

Die in der Mitte hob kaum den Kopf. Die
andere neben ihr hielt den Kopf hoch, wie ge-
zwungen, und sah immer mit starren Blicken,
als wollte sie die weitesten Fernen erschauen.

Die dritte der Frauen ging etwas vornüber
gebeugt und an ihren Schläfen schimmerten
trotz der kaum dreißig Jahre schon kleine
Streifen Silberhaare.

Wieder eine andere aus der kleinen Gruppe
griff in kleinen Zwischenräumen immer wieder
an die Stirne und strich einigemal darüber
weg, als wollte sie etwas Lästiges, Quälen-
des, Schmerzendes forthaben. Dann ließ sie
die Hand schwerfällig sinken und suchte eine
Stütze an ihrer Nachbarin.

Ganz still und wortlos war das kleine,
schwarze Frauchen nebenan, stumm und be-

Zerrissen.

Von Josef Luitpold.

Wie sehr das Ohr ins Weite lauscht
Nichts mehr, worin Verbrüd'rung rauscht.

Was gestern Volk zu Volk noch band.

Es liegt zerstückt am Straßenrand.

(Aus »Lerz im Eisen-.)

scheiden. In ihren großen, dunklen Augen
schimmerte es öfter wie verhaltene Tränen.

Durch die schmächtige Figur der zarten
Blondine ging ruckweise von Zeit zu Zeit ein
kaum merkliches Erzittern. Die anderen Frauen
aber stützten sie.

So gingen sie miteinander heimwärts. Tag
um Tag. Am Morgen stand die große Schlanke
an der niederen Haustüre, sah empor zun>
Fenster der Kollegin, zog die Glocke bei der
anderen Freundin und so gingen sie zur Fabrik.

In ihrem Gang lag etwas Schleppendes.
Als ob sie gemeinsam eine schwere Last tragen
müßten. Alle Tage, einen wie den andern.

Sie gaben einander Stütze und Halt, die
fünf, sechs Frauen, waren zueinander wie
rechte Schwestern. Das Schicksal traf jede von
ihnen schwer, dort, wo es am tiefsten schmerzt
und am längsten blutet. Was eine von ihnen
allein zu Boden drücken wollte, gemeinsam
suchen sie es nun leichter zu tragen.

Frage.

Es ächzt die Welt in Blut und Wunden,
Allwärts ein Stöhnen nnd Geschrei —

Und will noch immer nicht gesunden.

Obwohl Millionen riefst empfunden.

Wie sehr dies Wahn und Torheit sei.

Noch immer herrscht der alte Glaube,

Noch immer geht der alte Trug:

Wohl lieblich fei die Friedenstaube,

Doch besser, wer zu Mord und Raube
Den Nebenmcnschen ntederschlug.

Wann werden lichtre Zeiten flammen.

Wo Freiheit nur und Wahrheit gilt.

Wo alles Unrecht wir verdammen

Und Hatz und Zwietracht bricht zusammen

Im frisch begrünten Leuzgefilds Ernst Maar.

Milliarden-Wunder.

Skizze von P. E.

Haus Zielow quälte sich redlich mit
seinem Artikel ab.

Er war Nachtredakteur und benützte
die stille Zeit, die zwischen der Auf-
nahme der einzelnen Telegramme und
Telephon-Mitteilungen lag, dazu, um
ein Feuilleton über die Wulider, die
der Krieg mit sich brachte, zu verfassen.
Es sollte recht interessant werden, und
er schwitzte förmlich vor Eifer.

Die Zahlenwunder des Kriegs hatten
es ihm angetan: die Milliarden, die
der Krieg kostete und noch kosten würde.
Wer hätte je an solche Leistungen ge-
dacht? Wie stolz konnte das alte Eu-
ropa — das feindliche wie das befreun-
dete—sein, daß es diese Hunderte von
Milliarden aus seinem Füllhorn her-
ausströmen lassen konnte!

Hans Zielow, der ein guter Mathe-
matiker war, rechnete dem Leser vor,
wann zum Beispiel ein Pfennig auf
Zins und Zinseszins hatte angelegt
werden müssen, damit der letzte „Mil-
liarden-Segen", die fünf Milliarden
der französischen Kriegsentschädigung,
herausgckommen wäre. Er kam auf die
Zeit der Kreuzzüge und der Hohen-
staufen: sechs Jahrhunderte hätte der
Pfennig wuchern müssen! Das gab
einen ungefähren Begriff von der Be-
deutung einer Milliarde. Bedeuteten
die Hunderte Milliarden dieses Kriegs
nicht in der Tat ein Wunder, das
an die Wunder deS Himmels grenzte? Da
kam ihm eine kleine, ganz in Vergessenheit
geratene Broschüre unter die Hände: „Die
Utopien des Sozialismus". Er kannte sie:
haarscharf wurde dort nachgewiesen, daß die
kulturellen Forderungen der Sozialisten ja sehr
schöne Träume, aber eben nur — Träume seien.
Denn ihre Unerfüllbarkeit zeigte sich schon,
wenn Man nur die Kostensrage stelle: woher
sollten die Staaten das Geld dafür nehmen?

Hans Zielow sah die angeführten Zahlen
an: es handelte sich um Hunderte von Mil-
lionen, nicht um Milliarden wie heute. Da-
für wären über Europa Gartenbaustädte ver-
streut gewesen. Jeder hätte dann einen Anteil
an der alten Mutter Erde gehabt, alle Schulen
und Universitäten wären ihrer Fesseln ledig,
alle Sorge hörte auf. Ein gesundes, kerniges
Geschlecht wuchs heran.. . .

„Nein," dachte er, „so stolz kann Europa
am Ende nicht einmal auf seine Milliarden-
Wunder sein, wenn es damit nur Kriege führen
und nicht Segen stiften kann. Wie kam es doch
nnr, daß zu den Kulturaufgaben in keinem
Lande das Geld vorhanden war?"

Das Telephon schrillte. Es kam die Meldung
vom Abschluß des Friedens mit der Ukraine.
Hans Zielow hatte nun viel zu schreiben. .. .

Als er morgens fortging, sah er fast ver-
wundert seinen angefangenen Artikel liegen.
„Das blutige Milliarden-Wunder hört bald
auf," dachte er, „vielleicht kommt nun das
andere. Wir wollen's abwarten!"

Und lächelnd warf er das Manuskript in
den Papierkorb.
 
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