9464
Ostern im Osten.
Skizze von P. E.
Im Garten des russischen Guts-
hauses wagen sich die ersten Schnee-
glöckchen hervor, hie und da leuchtet
eine Krokosblüte golden auf. Und
drüben, im halbzerschossenen, von
Granaten zum Krüppel gemachten
Wäldchen blühen die ersten Veilchen.
Max Riedel sieht es mit stillem
Behagen, während er, auf das Ge-
wehr gestützt, die Gefangenen be-
wachte, die am Straßenbau beschäf-
tigt sind. Viel zu bewachen ist da
nicht. An Ausreißen denkt keiner,
noch weniger an Widerstand. Sie
wissen ja alle, daß der Friede ge-
schlossen ist und daß sie bald heim
dürfen.
Wie anders war das damals ge-
wesen, als die Hetzpeitsche des Hasses
die Völker aufeinander jagte! Max-
Riedel sah dunkle Bilder der Ver-
gangenheit aufsteigen.
. . . Auf ostpreußischen Chausseen
zogen endlose Wagenreihen mit den
flüchtenden Bewohnern der Grenz-
städte ins Innere des Landes, Wagen
auf Wagen, oft ganze Gemeinden
in kilometerlangen Reihen. Lange
Leiterwagen und kleine Bauern-
wägelchen, beladen mit dem nötig-
sten, in aller Eile zusammengerafften
Hausrat, etwas Lebensmittel für
Mensch und Vieh, Betten und Stroh.
Eine junge Mutter, den Säugling
an der Brust, suchte verzweifelt ihr
zweites Kind. Kühe, die nicht ge-
molken werden konnten, mit vollen
Eutern, brüllten vor Schmerz. Rus-
sische Granaten schlugen in Lötzen
ein, noch häufiger freilich in den
Löwentin-See und brachten — Nah-
rung. Denn Tausende von kleinen
und großen Fischen kamen getötet
an die Oberfläche und wurden teil-
weise gefischt. Max Riedel sah wie-
der die Dörfer in der Runde brennen.
Er hörte wieder das Pfeifen der
Gewehrgeschosse und das eigentüm-
liche Aufklalschen beim Auftreffen
auf Mauern. Er sah wieder die grauenvollen
Bilder der verwüsteten, geplünderten Häuser:
die zertrümmerten Möbel, die herausgerissenen
Schatullen, die gemordeten Bewohner. Er
spürte wieder die Mordswut des Kampfes,
den dumpfen Drang nach Vernichtung, der in
den ivilden Kämpfen des Ostens gerast hatte.
Haß, wahnsinniger, Opfer heischender Haß....
Und nun? Aus der Ferne tönen wohl noch
Schüsse. Aber es sind nur Übungsschüsse, nicht
gefährlicher als auf dem Scheibenstand in
heimatlichen Garnisonen.
Eine alte Frau — er kennt sie nur unter
dem Namen „Matuschka" (Mütterchen), den
die russischen Gefangenen ihr gaben — kommt
langsam zu dem deutschen Wachtposten. Sie
hat ein Ei in der Hand — weiß der Teufel,
wo sie es aufgetrieben hat? —, ein richtiges
Ei. Und sie hält es ihm hin, während über
ihr welkes, leidgefurchtes Gesicht ein rühren-
Eutenbergs 460. Todestag
am 24. Februar 1918.
(Nach R-chel.)
vierhundert Fahr heut sind es, da gingest du dich ruhn!
Doch die du der Welt gegeben, die Waffen ruhten nicht, -
Noch immer währt die Fehde des Dunkels mit dem Licht!
Die Schatten, die geschlagen bis hinter der Hölle Tor,
Sie wagten sich, sie wagen sich immer noch hervor!
Noch wogen im Rampf die Massen, die feindlichen hin und her, -
Noch immer muß uns helfen, o Meister, deine Wehr!
Schreckbilder allerorten! Und ist es nicht von Rom,
So droht von andrer Stelle Phantom noch auf Phantom!
In diesen letzten Tagen ist es des Mönches Geist,
Des alten Pulvermönches, den es zu bannen heißt!
Tr eilt von Volk zu Voitze, geschäftiger als je;
Tr möchte die Welt beherrsche», das Land und auch die See!
Nur auf Zerstörung sinnt er: auf riesig Stahlgeschoß,
Ruf rascheste Uugelsendung, auf eisernen Schiffskoloß!
Tin Pulverturm die Erde!' Und alles für „Macht" und „Ruhm"!
Und alles wider die Freiheit, das freie Menschentum!
Ruf, Gutenberg, zu Hilfe! Den Willen der Mönches brachst
Du einmal schon! Daß wieder du Kühn ihn brechen magst!
(Aus Zreiligrath; Prolog znm 4M. Todestag Kutenbergs.)
des Lächeln geht. Max Riedel wehrt ab. Er
will das Geschenk nicht. Er weiß, daß die
Alte selber fast nichts zu beißen und zu brechen
hat. Aber mit Beharrlichkeit drängt sie es auf
und sie sagt: „Christas woskress!“ („Christ ist
auferstanden"). Es ist der russische Ostergruß.
Und nun weiß Max Riedel plötzlich: mor-
gen ist Ostern! Gedankenlos hat er es heute
früh auf dem Abreißkalender in der Kanzlei
gelesen und nicht weiter darüber nachgedacht.
Die Russin, die sich wie ihre Landsleute in
den besetzten Gebieten in diesen Jahren an
die deutsche Zeitrechnung gewöhnt hat, weiß
es besser: „Christas woskress!"
Max Riedel ist etwas verlegen. Er weiß
nichts zu erwidern. Er denkt nun: Ostern Hat
plötzlich Hier einen Sinn bekommen! Seit drei
Jahren hat es keinen niehr gehabt. Das Auf-
erstehungssest der Natur findet hier wieder
Menschen, die die Weihe der Frühlingszeit
verstehen können, die nicht mehr um-
nebelt und umdüstert sind von Ge-
danken des Hasses und der Ver-
nichtung.
Während er das Ei unschlüssig in
der Hand dreht, treten ihm Tränen
in die Augen: er denkt an die Hei-
mat, an Frau und Kind. Vielleicht
kommt er bald nach Hanse. Vielleicht
weckt der uralte Ostergedanke, der
älter als alle Religionen ist, auch
im Westen die Gefühle der Mensch-
lichkeit und löst die Betäubung des
Kriegswahnsinns. . ..
Die richtige Antwort auf den rus-
sischen Osterwunsch weiß er nicht.
„Dank, Matuschka!" sagt er nur und
drückt der lächelnden Alten die Hand.
Und in diesem Augenblick gibt
Nicht der deutsche Landwehrmann
der russischen Bauernfrau die Hand,
— zwei Völker reichen sich verstehend
die Bruderhand, hinweg über esst
Blutmeer des Hasses!
„Feuer auf den Frack."
«Was wollten die Sozialdemokraten tun?
Das Gros ihrer Wähler stand im Feld und
bekam Feuer auf den Frack." (Leiterkoitl)
». Oldenburg-Januschau.
Der Junker Elard von Ianuschau
— liebt König, Vaterland und de»
Radau. — Er hat manches kräftige
Wörklein gesprochen — und keins
hat je nach Rosen gerochen. — Jüngst
hat er breitbeinig in Berlin — von
der Bündlertribüne ins Land ge-
schrien: — „Was will es denn
machen, das rote Pack? — Sie
kriegen ja Feuer auf den Frack!"
Dies Wort, es rühre keiner daran,
— dies Wort, wir wollen es laffen
stahn. — Run wissen wir von der
Etsch bis zum Bett: — Äerr Elard
ist gar ein tapferer Äeld. — Er lässt
die Katze aus dem Sack. — „Sie
kriegen ja Feuer auf den Frack!"
Der Junker Elard von Ianuschau
— liebt König, Vaterland und den
Radau. — Er liebt die Kugel, die
ihn nicht trifft, — und schreibt eine
klare, deutliche Schrift. — Er ist
ein frommer, kerniger Christ — And liebt je-
den Feind, der erschossen ist. — „Was will
es denn machen, das rote Pack? — Sie kriegen
ja Feuer auf den Frack!" Gicks.
Aus der Zeit.
Wohin du auch magst wandeln
Auf dieses Krieges Spur,
Lörst überall du sprechen
Von Nahrungsmitteln nur.
Das sollst du nicht bespötteln.
Denn es hat tiefen Sinn,
Es liegt ei» geistiger Aufschwung
Für unsere Zeit darin.
Denn mancher Schwergelehrte
Begreift erst jetzt geschwind.
Wie wichtig für die Völker
Die Nahrungsmittel sind.
Ä. 4.
Ostern im Osten.
Skizze von P. E.
Im Garten des russischen Guts-
hauses wagen sich die ersten Schnee-
glöckchen hervor, hie und da leuchtet
eine Krokosblüte golden auf. Und
drüben, im halbzerschossenen, von
Granaten zum Krüppel gemachten
Wäldchen blühen die ersten Veilchen.
Max Riedel sieht es mit stillem
Behagen, während er, auf das Ge-
wehr gestützt, die Gefangenen be-
wachte, die am Straßenbau beschäf-
tigt sind. Viel zu bewachen ist da
nicht. An Ausreißen denkt keiner,
noch weniger an Widerstand. Sie
wissen ja alle, daß der Friede ge-
schlossen ist und daß sie bald heim
dürfen.
Wie anders war das damals ge-
wesen, als die Hetzpeitsche des Hasses
die Völker aufeinander jagte! Max-
Riedel sah dunkle Bilder der Ver-
gangenheit aufsteigen.
. . . Auf ostpreußischen Chausseen
zogen endlose Wagenreihen mit den
flüchtenden Bewohnern der Grenz-
städte ins Innere des Landes, Wagen
auf Wagen, oft ganze Gemeinden
in kilometerlangen Reihen. Lange
Leiterwagen und kleine Bauern-
wägelchen, beladen mit dem nötig-
sten, in aller Eile zusammengerafften
Hausrat, etwas Lebensmittel für
Mensch und Vieh, Betten und Stroh.
Eine junge Mutter, den Säugling
an der Brust, suchte verzweifelt ihr
zweites Kind. Kühe, die nicht ge-
molken werden konnten, mit vollen
Eutern, brüllten vor Schmerz. Rus-
sische Granaten schlugen in Lötzen
ein, noch häufiger freilich in den
Löwentin-See und brachten — Nah-
rung. Denn Tausende von kleinen
und großen Fischen kamen getötet
an die Oberfläche und wurden teil-
weise gefischt. Max Riedel sah wie-
der die Dörfer in der Runde brennen.
Er hörte wieder das Pfeifen der
Gewehrgeschosse und das eigentüm-
liche Aufklalschen beim Auftreffen
auf Mauern. Er sah wieder die grauenvollen
Bilder der verwüsteten, geplünderten Häuser:
die zertrümmerten Möbel, die herausgerissenen
Schatullen, die gemordeten Bewohner. Er
spürte wieder die Mordswut des Kampfes,
den dumpfen Drang nach Vernichtung, der in
den ivilden Kämpfen des Ostens gerast hatte.
Haß, wahnsinniger, Opfer heischender Haß....
Und nun? Aus der Ferne tönen wohl noch
Schüsse. Aber es sind nur Übungsschüsse, nicht
gefährlicher als auf dem Scheibenstand in
heimatlichen Garnisonen.
Eine alte Frau — er kennt sie nur unter
dem Namen „Matuschka" (Mütterchen), den
die russischen Gefangenen ihr gaben — kommt
langsam zu dem deutschen Wachtposten. Sie
hat ein Ei in der Hand — weiß der Teufel,
wo sie es aufgetrieben hat? —, ein richtiges
Ei. Und sie hält es ihm hin, während über
ihr welkes, leidgefurchtes Gesicht ein rühren-
Eutenbergs 460. Todestag
am 24. Februar 1918.
(Nach R-chel.)
vierhundert Fahr heut sind es, da gingest du dich ruhn!
Doch die du der Welt gegeben, die Waffen ruhten nicht, -
Noch immer währt die Fehde des Dunkels mit dem Licht!
Die Schatten, die geschlagen bis hinter der Hölle Tor,
Sie wagten sich, sie wagen sich immer noch hervor!
Noch wogen im Rampf die Massen, die feindlichen hin und her, -
Noch immer muß uns helfen, o Meister, deine Wehr!
Schreckbilder allerorten! Und ist es nicht von Rom,
So droht von andrer Stelle Phantom noch auf Phantom!
In diesen letzten Tagen ist es des Mönches Geist,
Des alten Pulvermönches, den es zu bannen heißt!
Tr eilt von Volk zu Voitze, geschäftiger als je;
Tr möchte die Welt beherrsche», das Land und auch die See!
Nur auf Zerstörung sinnt er: auf riesig Stahlgeschoß,
Ruf rascheste Uugelsendung, auf eisernen Schiffskoloß!
Tin Pulverturm die Erde!' Und alles für „Macht" und „Ruhm"!
Und alles wider die Freiheit, das freie Menschentum!
Ruf, Gutenberg, zu Hilfe! Den Willen der Mönches brachst
Du einmal schon! Daß wieder du Kühn ihn brechen magst!
(Aus Zreiligrath; Prolog znm 4M. Todestag Kutenbergs.)
des Lächeln geht. Max Riedel wehrt ab. Er
will das Geschenk nicht. Er weiß, daß die
Alte selber fast nichts zu beißen und zu brechen
hat. Aber mit Beharrlichkeit drängt sie es auf
und sie sagt: „Christas woskress!“ („Christ ist
auferstanden"). Es ist der russische Ostergruß.
Und nun weiß Max Riedel plötzlich: mor-
gen ist Ostern! Gedankenlos hat er es heute
früh auf dem Abreißkalender in der Kanzlei
gelesen und nicht weiter darüber nachgedacht.
Die Russin, die sich wie ihre Landsleute in
den besetzten Gebieten in diesen Jahren an
die deutsche Zeitrechnung gewöhnt hat, weiß
es besser: „Christas woskress!"
Max Riedel ist etwas verlegen. Er weiß
nichts zu erwidern. Er denkt nun: Ostern Hat
plötzlich Hier einen Sinn bekommen! Seit drei
Jahren hat es keinen niehr gehabt. Das Auf-
erstehungssest der Natur findet hier wieder
Menschen, die die Weihe der Frühlingszeit
verstehen können, die nicht mehr um-
nebelt und umdüstert sind von Ge-
danken des Hasses und der Ver-
nichtung.
Während er das Ei unschlüssig in
der Hand dreht, treten ihm Tränen
in die Augen: er denkt an die Hei-
mat, an Frau und Kind. Vielleicht
kommt er bald nach Hanse. Vielleicht
weckt der uralte Ostergedanke, der
älter als alle Religionen ist, auch
im Westen die Gefühle der Mensch-
lichkeit und löst die Betäubung des
Kriegswahnsinns. . ..
Die richtige Antwort auf den rus-
sischen Osterwunsch weiß er nicht.
„Dank, Matuschka!" sagt er nur und
drückt der lächelnden Alten die Hand.
Und in diesem Augenblick gibt
Nicht der deutsche Landwehrmann
der russischen Bauernfrau die Hand,
— zwei Völker reichen sich verstehend
die Bruderhand, hinweg über esst
Blutmeer des Hasses!
„Feuer auf den Frack."
«Was wollten die Sozialdemokraten tun?
Das Gros ihrer Wähler stand im Feld und
bekam Feuer auf den Frack." (Leiterkoitl)
». Oldenburg-Januschau.
Der Junker Elard von Ianuschau
— liebt König, Vaterland und de»
Radau. — Er hat manches kräftige
Wörklein gesprochen — und keins
hat je nach Rosen gerochen. — Jüngst
hat er breitbeinig in Berlin — von
der Bündlertribüne ins Land ge-
schrien: — „Was will es denn
machen, das rote Pack? — Sie
kriegen ja Feuer auf den Frack!"
Dies Wort, es rühre keiner daran,
— dies Wort, wir wollen es laffen
stahn. — Run wissen wir von der
Etsch bis zum Bett: — Äerr Elard
ist gar ein tapferer Äeld. — Er lässt
die Katze aus dem Sack. — „Sie
kriegen ja Feuer auf den Frack!"
Der Junker Elard von Ianuschau
— liebt König, Vaterland und den
Radau. — Er liebt die Kugel, die
ihn nicht trifft, — und schreibt eine
klare, deutliche Schrift. — Er ist
ein frommer, kerniger Christ — And liebt je-
den Feind, der erschossen ist. — „Was will
es denn machen, das rote Pack? — Sie kriegen
ja Feuer auf den Frack!" Gicks.
Aus der Zeit.
Wohin du auch magst wandeln
Auf dieses Krieges Spur,
Lörst überall du sprechen
Von Nahrungsmitteln nur.
Das sollst du nicht bespötteln.
Denn es hat tiefen Sinn,
Es liegt ei» geistiger Aufschwung
Für unsere Zeit darin.
Denn mancher Schwergelehrte
Begreift erst jetzt geschwind.
Wie wichtig für die Völker
Die Nahrungsmittel sind.
Ä. 4.