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Entscheidungsschlacht.
Neu in Wehen krampst sich die Welt,
Gluten lodern brandend zum Himmel,
an Ser Menschheit rasend Gewimmel
Dröhnend Kampfruf und Klage gellt.
Wie ein Wütender haust der ^To6:
Gierig rafft er die Menschengarben.
Krischen Wunden und alten Narben
Jäh entquillt hochheiliges Rot.
kaufend Geschütze brüllen mit Macht,
Streuen Untergang und verderben,
Kragen nichts nach Leiden und Sterben -
Grausig, herzlos würget die Schlacht.
Weiter geht der tosende Wahn,
Weiter das grimme, sinnlose Morden -
Vis es endlich genug geworden
Und Vernunft sich wieder bricht Bahn.
Mus den Krümmern, in Graus und Nacht,
Reichen wir dann uns wieder die Hände,
hoffend auf jene herrliche Wende,
Oie den Menschen zum - Menschen macht! Ernst Klaar.
Michaelis als Oberpräsident.
„Gott sei Dank, endlich hat man wieder seine Ruh'!"
Feldpostbriefe.
xcv.
Geliebte Eltern! Daß Euch der Krieg mit
die Zeit anfängt langweilig zu sein, über-
rascht mir sehr. Wir hier draußen an die
Front haben bis jetzt unter Langeweile nicht
zu leiden gehabt und führen ein sehr ab-
ivechslungsreiches Leben. Selbst während eines
monalelangen Stellungskrieges ereignet sich
täglich sehr viel Bemerkenswertes, und es
macht dabei keinen Unterschied, ob einer bei
die Kavallerie oder bei die Infanterie steht.
Aber auch bei die Munitionskolonne, wo der
Dienst nach das allgemeine Urteil am lang-
stieligsten zu sein pflegt, kann man vielerlei
Verschiedenes erleben, wie ich letzte Woche
selber erfahren habe.
Ich war nämlich von meine Kompagnie
weg und bei den Munitionstransport — oder
wie sie das hier nennen, bei die „Paketpost"
kominandiert. Der Abschied von die Kameraden
ivurde mir dadurch schwer gemacht, daß mein
Freund Fritze Lehmann mir unter herzbewe-
gende Klagcil egal umärmelt hielt. Ich war
mir aber nicht genau bewußt, inwieweit Fritzen
seine Zärtlichkeit durch freundschaftliche Ge-
fühle für mich oder durch Anhänglichkeit an
ein Lebensmittelpaket hervorgerusen war, das
ich am Abend vor meinen Abmarsch erhalten
hatte und natürlich in mein neues Quartier
mitnahi».
Gleich das Quartier bot eine interessante
Abwechslung. Wenn man, wie ich, in unter-
irdische französische Felsenkeller, in die Gletscher-
spalten der Karpathen, auf rumänische Ge-
treideböden und in polnische Familienbetten
gewohnt hat, so ist ein italienischer Ziegenstall
mal was anderes. Im übrigen brauchte ich
mir durch dem Geruch nicht lange genieren
zu lassen, denn kaum hatte ich mir gleich nach
meine Ankunft abends 11 Uhr in die Klappe
gelegt, als es auch schon gegen die Stalltüre
bullerte: „Alarm! SofortMunitionvorführen!"
In anderthalb Minuten stand ich in vollen
Kriegsschmuck bereit, und vorwärts ging die
Fuhre.
Ich saß mit geladenem Kuhfuß auf das
vorderste Auto und bemühte mir vergeblich,
in die Dunkelheit etwas zu sehen, denn der
Weg nach den Bahnhof, wo wir die Muni-
tion fassen sollten, führte mitten durch einen
Wald. Der Mangel bei die Artillerie muß
wohl schon sehr groß gewesen sein, denn sie
schienen die Zeit nicht mehr erivarten zu kön-
nen und hatten uns von allen Seiten drin-
gende Boten entgegengeschickt. Jeden Augen-
blick löste sich aus das Waldesdunkel plötzlich
eine Gestalt und trat auf uns zu. „Granaten?"
fragte der eine, „Feldhaubitzenmunition?" der
andere, „Schrapnell?" der dritte, „Handgra-
naten?" der vierte, „Brummer?" der fünfte.
Wir mußten sie alle abschlägig bescheiden,
denn wir waren ja erst auf dem Wege, unsere
Ladung abzuholen. Ich befand mir daher schon
ziemlich in die Übung, sobald eine Gestalt in
die Düsternis erschien, in höflich bedauernden
Ton ihre ängstliche Frage zu verneinen: „Js
nich!" „Hat sich wat!" „Den Deibel ooch!"
„Appelkuchen!" „Scheibe, mein Herze!" „Nich
in die la main!" — so ging das in einen
Bogen fort, als mir plötzlich der Klageruf
„Jullasch?" an die Ohren schlug. Ich konnte
nichts sehen, aber die Stimme kannte ich, und
ihr verzweifelter Ton drang mir bis in die
Eingeweide: „Nee, lieber Fritze Lehmann,"
rief ich zurück, „leider nich! Dem Jullasch,
dem wir bringen werden, kann selbst deine
Plauze nich verdauen!" „Aujust!" wimmerte
es noch hinter mir her, dann war auch diese
nächtliche Erscheinung aus meinen Gesichts-
kreis entschwunden.
Kaum hatte ich mir von meine freundschaft-
liche Rührung erholt, als Husschlag durch die
schweigende Nacht ertönte und plötzlich ein
Reiter vor mir hielt, der irrsinnig in das
blendende Licht von unsere Wagenlaterne
starrte. Ein Blick — und ich hatte die stra-
tegische Lage begriffen: zwei Reihen Knöpfe
am Waffenrock, auf dem Kopf ein Käppi —
das war keiner von die Unsrigen! Also den
Kuhfuß an die Backe — Wumm! — Da ging
der Gaul kopfüber und der Reiter lag im
Dreck! Das Auto hielt, ich sprang runter und
nahm dem unverletzten aber von das über-
raschende Ereignis ganz bedämelten Gefan-
genen in meine Obhut. Es war einer von
die französischen Chasseurs, der sich mit eine
Erkundungspatrouille bis hinter unsere Linie
durchgeschlängelt hatte und dann von seine
Kameraden getrennt worden war. Obgleich
er sich bloß in seine kauderwelsche Art aus-
zudrücken verstand, unterhielt ich mir doch
ganz angenehm mit ihm, und es tat mir recht
leid, als ich ihm auf dem Bahnhof an dem
Kommandanten abliefern mußte, der dann für
sein weiteres Alibi sorgte.
Ihr seht also, geliebte Eltern, daß der Krieg
im Felde nicht so langweilig ist, wie er bei
Euch zu Hause zu sein scheint. Die Haupt-
sache ist, daß man den Dienst bei das richtige
Ende anzupacken versteht: dann wird man
keinen französischen Chasseur ungepflückt lassen,
der einem am Wege blüht, und man kann
sogar aus eine Trainfuhre Honig saugen.
In welche segensreiche Lage ich mir Gott
sei Dank befinde mit die herzlichsten Grüße
und Küsse als Euer dankbarer Sohn und
Gefreiter August Säge jun.,
Garde-Grenadier.
®<3?
Aus der Zeit.
Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmen-
zweige
Standst du an des Jahrhunderts Neige —
Da kam das neue Jahrhundert ins Land
Und schlug dir den Palmenzweig aus der Land.
Übers Schlachtfeld kriecht der Tank,
Erfüllt die Luft mit Gasgestank —
Da begreift man ohne Zweifel:
Kriegsromantik ist zum Teufel.
Franzosen und Engländer wurden geschlagen.
Erlitten schreckliche Niederlagen,
Clemenceau aber war entzückt
-—-— — verrückt! A. T.
Entscheidungsschlacht.
Neu in Wehen krampst sich die Welt,
Gluten lodern brandend zum Himmel,
an Ser Menschheit rasend Gewimmel
Dröhnend Kampfruf und Klage gellt.
Wie ein Wütender haust der ^To6:
Gierig rafft er die Menschengarben.
Krischen Wunden und alten Narben
Jäh entquillt hochheiliges Rot.
kaufend Geschütze brüllen mit Macht,
Streuen Untergang und verderben,
Kragen nichts nach Leiden und Sterben -
Grausig, herzlos würget die Schlacht.
Weiter geht der tosende Wahn,
Weiter das grimme, sinnlose Morden -
Vis es endlich genug geworden
Und Vernunft sich wieder bricht Bahn.
Mus den Krümmern, in Graus und Nacht,
Reichen wir dann uns wieder die Hände,
hoffend auf jene herrliche Wende,
Oie den Menschen zum - Menschen macht! Ernst Klaar.
Michaelis als Oberpräsident.
„Gott sei Dank, endlich hat man wieder seine Ruh'!"
Feldpostbriefe.
xcv.
Geliebte Eltern! Daß Euch der Krieg mit
die Zeit anfängt langweilig zu sein, über-
rascht mir sehr. Wir hier draußen an die
Front haben bis jetzt unter Langeweile nicht
zu leiden gehabt und führen ein sehr ab-
ivechslungsreiches Leben. Selbst während eines
monalelangen Stellungskrieges ereignet sich
täglich sehr viel Bemerkenswertes, und es
macht dabei keinen Unterschied, ob einer bei
die Kavallerie oder bei die Infanterie steht.
Aber auch bei die Munitionskolonne, wo der
Dienst nach das allgemeine Urteil am lang-
stieligsten zu sein pflegt, kann man vielerlei
Verschiedenes erleben, wie ich letzte Woche
selber erfahren habe.
Ich war nämlich von meine Kompagnie
weg und bei den Munitionstransport — oder
wie sie das hier nennen, bei die „Paketpost"
kominandiert. Der Abschied von die Kameraden
ivurde mir dadurch schwer gemacht, daß mein
Freund Fritze Lehmann mir unter herzbewe-
gende Klagcil egal umärmelt hielt. Ich war
mir aber nicht genau bewußt, inwieweit Fritzen
seine Zärtlichkeit durch freundschaftliche Ge-
fühle für mich oder durch Anhänglichkeit an
ein Lebensmittelpaket hervorgerusen war, das
ich am Abend vor meinen Abmarsch erhalten
hatte und natürlich in mein neues Quartier
mitnahi».
Gleich das Quartier bot eine interessante
Abwechslung. Wenn man, wie ich, in unter-
irdische französische Felsenkeller, in die Gletscher-
spalten der Karpathen, auf rumänische Ge-
treideböden und in polnische Familienbetten
gewohnt hat, so ist ein italienischer Ziegenstall
mal was anderes. Im übrigen brauchte ich
mir durch dem Geruch nicht lange genieren
zu lassen, denn kaum hatte ich mir gleich nach
meine Ankunft abends 11 Uhr in die Klappe
gelegt, als es auch schon gegen die Stalltüre
bullerte: „Alarm! SofortMunitionvorführen!"
In anderthalb Minuten stand ich in vollen
Kriegsschmuck bereit, und vorwärts ging die
Fuhre.
Ich saß mit geladenem Kuhfuß auf das
vorderste Auto und bemühte mir vergeblich,
in die Dunkelheit etwas zu sehen, denn der
Weg nach den Bahnhof, wo wir die Muni-
tion fassen sollten, führte mitten durch einen
Wald. Der Mangel bei die Artillerie muß
wohl schon sehr groß gewesen sein, denn sie
schienen die Zeit nicht mehr erivarten zu kön-
nen und hatten uns von allen Seiten drin-
gende Boten entgegengeschickt. Jeden Augen-
blick löste sich aus das Waldesdunkel plötzlich
eine Gestalt und trat auf uns zu. „Granaten?"
fragte der eine, „Feldhaubitzenmunition?" der
andere, „Schrapnell?" der dritte, „Handgra-
naten?" der vierte, „Brummer?" der fünfte.
Wir mußten sie alle abschlägig bescheiden,
denn wir waren ja erst auf dem Wege, unsere
Ladung abzuholen. Ich befand mir daher schon
ziemlich in die Übung, sobald eine Gestalt in
die Düsternis erschien, in höflich bedauernden
Ton ihre ängstliche Frage zu verneinen: „Js
nich!" „Hat sich wat!" „Den Deibel ooch!"
„Appelkuchen!" „Scheibe, mein Herze!" „Nich
in die la main!" — so ging das in einen
Bogen fort, als mir plötzlich der Klageruf
„Jullasch?" an die Ohren schlug. Ich konnte
nichts sehen, aber die Stimme kannte ich, und
ihr verzweifelter Ton drang mir bis in die
Eingeweide: „Nee, lieber Fritze Lehmann,"
rief ich zurück, „leider nich! Dem Jullasch,
dem wir bringen werden, kann selbst deine
Plauze nich verdauen!" „Aujust!" wimmerte
es noch hinter mir her, dann war auch diese
nächtliche Erscheinung aus meinen Gesichts-
kreis entschwunden.
Kaum hatte ich mir von meine freundschaft-
liche Rührung erholt, als Husschlag durch die
schweigende Nacht ertönte und plötzlich ein
Reiter vor mir hielt, der irrsinnig in das
blendende Licht von unsere Wagenlaterne
starrte. Ein Blick — und ich hatte die stra-
tegische Lage begriffen: zwei Reihen Knöpfe
am Waffenrock, auf dem Kopf ein Käppi —
das war keiner von die Unsrigen! Also den
Kuhfuß an die Backe — Wumm! — Da ging
der Gaul kopfüber und der Reiter lag im
Dreck! Das Auto hielt, ich sprang runter und
nahm dem unverletzten aber von das über-
raschende Ereignis ganz bedämelten Gefan-
genen in meine Obhut. Es war einer von
die französischen Chasseurs, der sich mit eine
Erkundungspatrouille bis hinter unsere Linie
durchgeschlängelt hatte und dann von seine
Kameraden getrennt worden war. Obgleich
er sich bloß in seine kauderwelsche Art aus-
zudrücken verstand, unterhielt ich mir doch
ganz angenehm mit ihm, und es tat mir recht
leid, als ich ihm auf dem Bahnhof an dem
Kommandanten abliefern mußte, der dann für
sein weiteres Alibi sorgte.
Ihr seht also, geliebte Eltern, daß der Krieg
im Felde nicht so langweilig ist, wie er bei
Euch zu Hause zu sein scheint. Die Haupt-
sache ist, daß man den Dienst bei das richtige
Ende anzupacken versteht: dann wird man
keinen französischen Chasseur ungepflückt lassen,
der einem am Wege blüht, und man kann
sogar aus eine Trainfuhre Honig saugen.
In welche segensreiche Lage ich mir Gott
sei Dank befinde mit die herzlichsten Grüße
und Küsse als Euer dankbarer Sohn und
Gefreiter August Säge jun.,
Garde-Grenadier.
®<3?
Aus der Zeit.
Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmen-
zweige
Standst du an des Jahrhunderts Neige —
Da kam das neue Jahrhundert ins Land
Und schlug dir den Palmenzweig aus der Land.
Übers Schlachtfeld kriecht der Tank,
Erfüllt die Luft mit Gasgestank —
Da begreift man ohne Zweifel:
Kriegsromantik ist zum Teufel.
Franzosen und Engländer wurden geschlagen.
Erlitten schreckliche Niederlagen,
Clemenceau aber war entzückt
-—-— — verrückt! A. T.