9472
Hundsfötter.
Skizze von P. E.
i.
„Bravo, bravo!" rief Kommerzienrat
Goldspur aus,unbekümmert um diever-
wunderten Blicke seiner Umgebung.
DerArtikel, den er las, war aber auch
zuschneidig.Erbehandeltedas unpatrio-
tische, vaterlandsfeindliche Streiken der
Arbeiter und erinnerte an das bekannte
Wort eines Generals von den „Hunds-
föttern". „Bravo!" sagte Goldspur noch
einmal, nur etwas leiser.
„Herr Kommerzienrat werden ans
Telephon gewünscht —"
Noch in gehobener Stimmung legte
er das Hörrohr an. Aber die Ange-
stellten, die an ihren Pulten hockten,
merkten an den Ausrufen des Chefs sehr bald,
daß seine Stimmung fiel wie das Thermo-
meter in diesen kalten Lenztagen.
„Nicht zufrieden? . . ." hörte man. „Ja, er-
lauben Sie mal: die Dividende. . . wie sag-
ten Sie? ... 35 zu wenig? . . . morgen Sit-
zung? . . . Gut, gut. . . Na, Sie werden doch
nicht? .. . Warten Sie nur ab . . . Einen
besseren Generaldirektor können Sie mit Aze-
tylen suchen. Schön. Auf Wiedersehen!"
Als Goldspur sich in sein Privatzimmer zu-
rückbegab, schwitzte er sichtbarlich. Und er
hatte auch Grund dazu: sie, das heißt die
Aktionäre drohten damit, ihn nicht zum Ge-
neraldirektor der Munitions-Aktiengesellschaft
zu machen, da er zu schlapp sei und zu wenig
herauswirtschafte. Es war keine Zeit zu ver-
lieren. Diese Undankbaren, denen er Millio-
nen zu verdienen gegeben hatte, waren wie
hungrige Wölfe, deren Appetit sich durch den
Fraß nur vergrößerte.
In dieser Nacht schlief Kommerzienrat Gold-
spur nicht. . .
2.
Die Versammlung der Aktionäre war stark
besucht. Man merkte, daß der Gegenstand
interessierte. Goldspur sah dort so manchen
Börsenjobber, aber auch sehr elegante Gestalten,
die mit dem „Semiten" sonst nichts zu tun
haben wollten, außer beim — Geldverdiene».
Er sah Orden und Träger hoher.Namen und
Titel. Sie alle folgten gespannt seinen Aus-
führungen.
Er erntete Beifallsgemurmel, als er von
der listigen Verschleierung der Verdienste der
Munitions-Aktiengesellschaft sprach, wodurch
man der Öffentlichkeit Sand in die Augen
streute. Die Kapitalsverschiebungen, die das
Kapital der Gesellschaft vervierfacht hatten,
ohne daß man „oben" eingreifen konnte, waren
weniger nach dem Herzen der Zuhörer.
„Bar Geld wollen wir sehen," rief einer
und erntete starken Beifall.
„Aber bedenken Sie doch, die Regierung!"
„Die Regierung kann uns sonst was!" Es
ging zu wie beim Bund der Landwirte.
Da spielte Goldspur seinen letzten Trumpf
aus: „Dann, meine Herren, bleibt uns nichts
übrig, als von den Arbeitern zu lernen und
durch Streikandrohung höhere Bezahlung un-
serer Produkte zu verlangen. Meine Herren,
was unsere Arbeiter können, können wir auch!"
Stürmisches Bravo und viel Händeklatschen
folgte. Goldspur griff in die Tasche, wo er
Einsames Leidehaus.
Lerche überm Schlachtfeld.
Eine Lerche, jubelnd im Limmelsblau —
Drunten verwüstet die weite Au.
Lärmend krächzen und lungern die Naben
Am de» dräuenden Schützengraben.
Menschen hausen, verschlammt, verdreckt,
Tief in dem Erdengrund versteckt.
In der Geschütze wildem Gebrülle
Lähmende, lastende Grabesstille.
Vor der Verwundeten Klageschrei
Jäh verstummt jede Melodei.
And nun plötzlich das Lerchenlied,
Während drunt' das Verderben zieht!
Lerche, jubelst den Frühling ein —
Wird nicht balde auch Friede sein?
Ernst Klaar.
die Aufstellung der zu erwartenden Dividen-
den hatte, und zog dabei ein dort vergessenes
Zeitungsblatt hervor. Gedankenlos las er die
Überschrift des Artikels, der ihn gestern so
entzückt: „Strecker sind Hundsfötter ..."
Einen Augenblick zögerte er. „Unsinn," dachte
er. „Das gilt doch nur für Arbeiter!"
3.
Drei Wochen später.
Goldspur las entgeisterten Blicks einen ein-
geschriebenen Brief der Munitions-Aktienge-
sellschaft. Die Buchstaben tanzten vor seinen
Augen: „Wie Sie aus dem Parlamentsbericht
ersehen, hat Ihr bodenloses Ungeschick unsere
Aktiengesellschaft und damit unsere Dividen-
den aufs schwerste gefährdet. Wir erklären
hiermit ausdrücklich, daß wir mit dem ver-
brecherischen Gedanken eines Streiks in sol-
cher Zeit nichts zu tun haben und daß jede
— auch die gerichtliche — Verantwortung auf
Sie als den Urheber allein zurückfällt-"
Goldspur machte ein unsäglich dummes
Gesicht.
Die Öffentlichkeit war mächtiger gewesen
und die Felle waren fortgeschwommen, und
er saß in der Tinte, er, dessen schlauen Ein-
fall damals alle bewundert hatten, die heute
hörbar von ihm abrückten .. .
Wütend ballte er den Brief zusammen, und
er sagte nur ein Wort, das Wort jenes Streik-
artikels: „Hundsfötter!!!"
Neue Bauernregeln.
Kräht der Hahn tm April auf dem Mist,
Kommt der Friede oder er bleibt, wo er ist.
Zeigt fich der Höchstpreis zu früher Zeit,
Verschwinden die Gemüse weit und breit.
Bleibt der Frühling trocken oder naß. —
Füllt er dem Bauer» Scheune und Faß.
Kommt der Hamster früh ans dem Bau,
Stirbt dem Bauern die fetteste Sau....
Wohnungsnot.
Skizze von Paulus.
Franz Grützmann sah sein Gegen-
über mit unverhohlenem Arger an.
Das war bereits der fünfte, der ihn
heute belästigte. Wenn das so weiter
ging, würde es mit dem Familienspaziergang
heute gar nichts mehr werden. Aber was
wollte man machen, wenn man Stadtverord-
neter war und Grund hatte, sich populär zu
machen?
„Also, was wünschen Sie, mein Lieber?"
fragte er so freundlich wie möglich.
„Kurz gesagt, Herr Stadtverordneter, ich
finde keine Wohnung in der Stadt."
„Ja, warum sind Sie denn ausgezogen?"
Die Frage klang vorwurfsvoll.
„Ich bin gar nicht ausgezogen, obwohl mir
die Wohnung für meine Arbeitsstelle recht
unpraktisch liegt. Der Wirt hat selber ge-
kündigt."
„Da wird er wohl Ursache gehabt habe»,
he?"
„Gewiß hatte er Ursache," entgegnete der
andere lächelnd. Er fand einen Mieter, der
fünfzig Prozent mehr zahlte, als ich bei meinem
bescheidenen Einkommen zahlen kann. Das war
der Grund, mich und meine Familie auf die
Straße zu setzen."
„Das ist wohl nicht der richtige Ausdruck,"
ereiferte sich Franz Grützmann, und er hielt
dem andern einen richtigen Vortrag über die
Leiden und Lasten eines Hausbesitzers.
„Da wundere ich mich bloß, daß es immer
noch Leute gibt, die sich mit dem Hausbesitz
abplagen," sagte der Besucher. „Na, ich sehe
jedenfalls: es ist nicht zu ändern und ich kann
mit den Meinen bei Mutter Grün wohnen,
wenn die Stadt mir nicht doch noch hilft."
„Die Stadt! Die Stadt! Sie sind bereits
der fünfte aus meinem Bezirk, der das for-
dert. Aber niemand kann mir Antwort auf
die Frage geben: Wo soll die Stadt die Woh-
nungen hernehmen?" Er lächelte sehr über-
legen.
„Das ist die Sache der Stadtväter, meine
ich."
Franz Grützmann überhörte die unziemliche
Redensart. „Suchen Sie nur. Sie werden
schon noch etwas finden, mein Lieber!" Und,
den Besucher jovial auf die Schulter klopfend,
komplimentierte er ihn hinaus.
Denn es war schon halb vier, und seine
Mathilde hatte schon zweimal den Kopf ins
Arbeitszimmer gesteckt, nach ihm ausschauend.
„Nun können wir gehen," sagte er. Und
Familie Grützmann zog los.
Nach kurzer Fahrt mit der Straßenbahn
kamen sie in den Schloßpark, der in Früh-
lingsschmuck prangte.
Hundsfötter.
Skizze von P. E.
i.
„Bravo, bravo!" rief Kommerzienrat
Goldspur aus,unbekümmert um diever-
wunderten Blicke seiner Umgebung.
DerArtikel, den er las, war aber auch
zuschneidig.Erbehandeltedas unpatrio-
tische, vaterlandsfeindliche Streiken der
Arbeiter und erinnerte an das bekannte
Wort eines Generals von den „Hunds-
föttern". „Bravo!" sagte Goldspur noch
einmal, nur etwas leiser.
„Herr Kommerzienrat werden ans
Telephon gewünscht —"
Noch in gehobener Stimmung legte
er das Hörrohr an. Aber die Ange-
stellten, die an ihren Pulten hockten,
merkten an den Ausrufen des Chefs sehr bald,
daß seine Stimmung fiel wie das Thermo-
meter in diesen kalten Lenztagen.
„Nicht zufrieden? . . ." hörte man. „Ja, er-
lauben Sie mal: die Dividende. . . wie sag-
ten Sie? ... 35 zu wenig? . . . morgen Sit-
zung? . . . Gut, gut. . . Na, Sie werden doch
nicht? .. . Warten Sie nur ab . . . Einen
besseren Generaldirektor können Sie mit Aze-
tylen suchen. Schön. Auf Wiedersehen!"
Als Goldspur sich in sein Privatzimmer zu-
rückbegab, schwitzte er sichtbarlich. Und er
hatte auch Grund dazu: sie, das heißt die
Aktionäre drohten damit, ihn nicht zum Ge-
neraldirektor der Munitions-Aktiengesellschaft
zu machen, da er zu schlapp sei und zu wenig
herauswirtschafte. Es war keine Zeit zu ver-
lieren. Diese Undankbaren, denen er Millio-
nen zu verdienen gegeben hatte, waren wie
hungrige Wölfe, deren Appetit sich durch den
Fraß nur vergrößerte.
In dieser Nacht schlief Kommerzienrat Gold-
spur nicht. . .
2.
Die Versammlung der Aktionäre war stark
besucht. Man merkte, daß der Gegenstand
interessierte. Goldspur sah dort so manchen
Börsenjobber, aber auch sehr elegante Gestalten,
die mit dem „Semiten" sonst nichts zu tun
haben wollten, außer beim — Geldverdiene».
Er sah Orden und Träger hoher.Namen und
Titel. Sie alle folgten gespannt seinen Aus-
führungen.
Er erntete Beifallsgemurmel, als er von
der listigen Verschleierung der Verdienste der
Munitions-Aktiengesellschaft sprach, wodurch
man der Öffentlichkeit Sand in die Augen
streute. Die Kapitalsverschiebungen, die das
Kapital der Gesellschaft vervierfacht hatten,
ohne daß man „oben" eingreifen konnte, waren
weniger nach dem Herzen der Zuhörer.
„Bar Geld wollen wir sehen," rief einer
und erntete starken Beifall.
„Aber bedenken Sie doch, die Regierung!"
„Die Regierung kann uns sonst was!" Es
ging zu wie beim Bund der Landwirte.
Da spielte Goldspur seinen letzten Trumpf
aus: „Dann, meine Herren, bleibt uns nichts
übrig, als von den Arbeitern zu lernen und
durch Streikandrohung höhere Bezahlung un-
serer Produkte zu verlangen. Meine Herren,
was unsere Arbeiter können, können wir auch!"
Stürmisches Bravo und viel Händeklatschen
folgte. Goldspur griff in die Tasche, wo er
Einsames Leidehaus.
Lerche überm Schlachtfeld.
Eine Lerche, jubelnd im Limmelsblau —
Drunten verwüstet die weite Au.
Lärmend krächzen und lungern die Naben
Am de» dräuenden Schützengraben.
Menschen hausen, verschlammt, verdreckt,
Tief in dem Erdengrund versteckt.
In der Geschütze wildem Gebrülle
Lähmende, lastende Grabesstille.
Vor der Verwundeten Klageschrei
Jäh verstummt jede Melodei.
And nun plötzlich das Lerchenlied,
Während drunt' das Verderben zieht!
Lerche, jubelst den Frühling ein —
Wird nicht balde auch Friede sein?
Ernst Klaar.
die Aufstellung der zu erwartenden Dividen-
den hatte, und zog dabei ein dort vergessenes
Zeitungsblatt hervor. Gedankenlos las er die
Überschrift des Artikels, der ihn gestern so
entzückt: „Strecker sind Hundsfötter ..."
Einen Augenblick zögerte er. „Unsinn," dachte
er. „Das gilt doch nur für Arbeiter!"
3.
Drei Wochen später.
Goldspur las entgeisterten Blicks einen ein-
geschriebenen Brief der Munitions-Aktienge-
sellschaft. Die Buchstaben tanzten vor seinen
Augen: „Wie Sie aus dem Parlamentsbericht
ersehen, hat Ihr bodenloses Ungeschick unsere
Aktiengesellschaft und damit unsere Dividen-
den aufs schwerste gefährdet. Wir erklären
hiermit ausdrücklich, daß wir mit dem ver-
brecherischen Gedanken eines Streiks in sol-
cher Zeit nichts zu tun haben und daß jede
— auch die gerichtliche — Verantwortung auf
Sie als den Urheber allein zurückfällt-"
Goldspur machte ein unsäglich dummes
Gesicht.
Die Öffentlichkeit war mächtiger gewesen
und die Felle waren fortgeschwommen, und
er saß in der Tinte, er, dessen schlauen Ein-
fall damals alle bewundert hatten, die heute
hörbar von ihm abrückten .. .
Wütend ballte er den Brief zusammen, und
er sagte nur ein Wort, das Wort jenes Streik-
artikels: „Hundsfötter!!!"
Neue Bauernregeln.
Kräht der Hahn tm April auf dem Mist,
Kommt der Friede oder er bleibt, wo er ist.
Zeigt fich der Höchstpreis zu früher Zeit,
Verschwinden die Gemüse weit und breit.
Bleibt der Frühling trocken oder naß. —
Füllt er dem Bauer» Scheune und Faß.
Kommt der Hamster früh ans dem Bau,
Stirbt dem Bauern die fetteste Sau....
Wohnungsnot.
Skizze von Paulus.
Franz Grützmann sah sein Gegen-
über mit unverhohlenem Arger an.
Das war bereits der fünfte, der ihn
heute belästigte. Wenn das so weiter
ging, würde es mit dem Familienspaziergang
heute gar nichts mehr werden. Aber was
wollte man machen, wenn man Stadtverord-
neter war und Grund hatte, sich populär zu
machen?
„Also, was wünschen Sie, mein Lieber?"
fragte er so freundlich wie möglich.
„Kurz gesagt, Herr Stadtverordneter, ich
finde keine Wohnung in der Stadt."
„Ja, warum sind Sie denn ausgezogen?"
Die Frage klang vorwurfsvoll.
„Ich bin gar nicht ausgezogen, obwohl mir
die Wohnung für meine Arbeitsstelle recht
unpraktisch liegt. Der Wirt hat selber ge-
kündigt."
„Da wird er wohl Ursache gehabt habe»,
he?"
„Gewiß hatte er Ursache," entgegnete der
andere lächelnd. Er fand einen Mieter, der
fünfzig Prozent mehr zahlte, als ich bei meinem
bescheidenen Einkommen zahlen kann. Das war
der Grund, mich und meine Familie auf die
Straße zu setzen."
„Das ist wohl nicht der richtige Ausdruck,"
ereiferte sich Franz Grützmann, und er hielt
dem andern einen richtigen Vortrag über die
Leiden und Lasten eines Hausbesitzers.
„Da wundere ich mich bloß, daß es immer
noch Leute gibt, die sich mit dem Hausbesitz
abplagen," sagte der Besucher. „Na, ich sehe
jedenfalls: es ist nicht zu ändern und ich kann
mit den Meinen bei Mutter Grün wohnen,
wenn die Stadt mir nicht doch noch hilft."
„Die Stadt! Die Stadt! Sie sind bereits
der fünfte aus meinem Bezirk, der das for-
dert. Aber niemand kann mir Antwort auf
die Frage geben: Wo soll die Stadt die Woh-
nungen hernehmen?" Er lächelte sehr über-
legen.
„Das ist die Sache der Stadtväter, meine
ich."
Franz Grützmann überhörte die unziemliche
Redensart. „Suchen Sie nur. Sie werden
schon noch etwas finden, mein Lieber!" Und,
den Besucher jovial auf die Schulter klopfend,
komplimentierte er ihn hinaus.
Denn es war schon halb vier, und seine
Mathilde hatte schon zweimal den Kopf ins
Arbeitszimmer gesteckt, nach ihm ausschauend.
„Nun können wir gehen," sagte er. Und
Familie Grützmann zog los.
Nach kurzer Fahrt mit der Straßenbahn
kamen sie in den Schloßpark, der in Früh-
lingsschmuck prangte.