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Der Maigedanke.
Immer wieder grünt die Welt.
Leben mutz sich neu entfalten,
Tod kann keinen keim Zerspalten,
der ein Dlühn umschlossen hält.
Zwischen allem ächlachtengraus
rollt die 5onne ihre Dahnen,
schwenkt sie ihre goldnen Lahnen
leuchtend über jedes Haus.
Oeift weicht nicht aus seiner 5pur.
Nichts kann seinen weg verschütten.
Über alle armen Hütten
unsichtbar flammt dieser 5chwur:
„brüderlich und gleich und frei!
wir, von gleichem Leid geschlagen,
wollen unsre Sehnsucht tragen
in den frieden, in den Mai." ßan Bröger.
Der vielseitige Wilson.
„Meine Küche ist sehr abwechslungsreich, vor
einigen Wochen servierte ich den Europäern Frie-
de n s in a n n a , heute bringe ich ihnen Kriegs-
gulasch." ,,
Feldpostbriefe.
XGVI.
Geliebte Miete! Wie Du weißt, befinde ich
mir seit vierzehn Tage an die Westfront und
habe an die hiesigen weltgeschichtlichen Vor-
stöße mit großen Erfolg als Korporalschafts-
führer teilgenommen. Unter mein Kommando
befand sich auch unser Fritze Lehmann aus
die Ackerstraße, und Du kannst daher seine
Eltern vollständig beruhigen und ihnen sagen,
daß ihre Befürchtungen von wegen allzu über-
triebene Heldentaten ihres Sohnes nicht zu-
treffen und ihm das Eiserne Kreuz bisher
noch zu keine Tollkühnheiten nicht angestiflet
hat. Vielmehr ist er ganz der alte geblieben,
und leider ist auch in seinen Appetit keine
Linderung nicht eingetreten.
Das erste Ende von unfern hiesigen Vor-
marsch führte durch das sogenannte Trichter-
gelände, von das Du Dir eine richtige Vor-
stellung machen kannst, wenn Du Dir das
Tempelhofer Feld denkst, bevor das Zeitalter
der Bauspekulation anfing. Bloß daß es nicht
eben, sonder», wie sein Name sagt, von zahl-
reiche trichterförmliche Löcher unterbrochen ist
und sich daher weniger für eine Frühjahrs-
parade, als für sehr peinliche Kletter- und
Rutschpartien eignet. Das Logement findet
hier in unmöblierte Erdlöcher statt, aber die
Ernährungsverhältnisse stehen vollkommen auf
die Höhe von Berlin, indem Du in jeden
Granatirichter mindestens soviel Wurst, Butter
und Käse finden kannst wie in eine Berliner
Lebensmiltelhandlung.
Fritze Lehmann befand sich natürlich an-
dauernd in einem sehr geschwächten Leibes-
und Geisteszustand. Ich suchte ihm, soweit es
möglich war, auf andere Gedanken zu bringen,
und benutzte dem bevorstehenden hundertsten
Geburtstag von Karl Marxen, um ihm über
diesen seine Lehren einigermaßen zu instruieren.
Auf einen kurzen Palrouillengang war ich
gerade dabei, ihn klar zu machen, daß mit die
fortschreitende Kultur die menschliche und tie-
rische Kräfte immer mehr von die Maschinen-
kräfte besiegt iverde», ivas Fritze nicht zugeben
wollte. In diesen Augenblick sauste an uns
ein französisches Stabsauto vorbei, und eine
Viertelstunde später kam eine deutsche Husaren-
patrouille angeschrammt, die das Auto einzu-
holen suchte. Aber so sehr sie sich auch an-
strengte, das Auto war schneller als sie, und
in kurze Zeit verschwand es am Horizont auf
Nimmerwiedersehen. „An dieses bedauerns-
werte Beispiel, lieber Fritze," sagte ich, „kannst
du dir davon überzeugen, daß Karl Marx
recht hat: die Maschinenkraft in das Auto
besiegt die vereinigten menschlichen und tie-
rischen Kräfte von die Hufarenpatrouille, und
weg sind die französischen Stabsoffiziere!"
Aber Fritze, der für politische Fragen leider
gar kein Verständnis nicht hat, wollte diese
Wahrheit nicht einsehen und schlug große Töne
an: „Was du in deine Zahlabende gelernt
hast, da kannst du mir noch lange nicht mit
imponieren. Ich bin in de» Konfirmations-
unterricht gegangen, und da weiß ich, daß
hoch über alle Maschinenkräfte und alle Körper-
kräfte die Kraft des menschlichen Geistes steht!
Mögen jene noch so stark sein: mit die Macht
der Seele bezwingst du sie alle! Die Macht
der Seele triumphiert über-" Wumm-
bumm! ging es plötzlich neben uns, und —
klatsch! — lag mein Fritze jämmerlich auf den
Bauch. Ein paar Schritte links war eine von
unsere Mörserbatterien in dem Acker einge-
graben und schoß gerade einen Bogenschuß.
Man konnte ihn nur sehen, wenn man direkt
daneben stand. Der unverhoffte Schreck hatte
Fritzen samt alle seine Seelenkräste rettungs-
los umgeschmissen. Er war jetzt sehr kleinlaut
und versuchte nicht mehr, Karl Marxen mit
seine unverdauten Konsirmationseriunerungen
zu widerlegen.
Seit längere Zeit schon haben wir nun das
Trichtergelände glücklich hinter uns und be-
finden uns wieder in bebaute menschliche Ge-
filde. Die Quartiergelegenheiten sind hier
manchmal sehr fein, und auch über die Ver-
pflegung braucht man nicht klagen, weil die
Eingeborenen bei ihren unvorhergesehenen
raschen Abschied nicht mehr imstande waren,
alles zu unfern Empfang zu verungenieren.
Seit meinen letzten Aufenthalt an die fran-
zösische Front vor drei Jahren hat sich auch
sonst manches zum Vorteil geändert: es gibt
zum Beispiel keine Franktireure nicht mehr,
mit die wir damals viel Beschäftigung hatten.
Mit die Flöhe dagegen ist es so geblieben wie
es war und wie es an alle Fronten gleich ist.
Wir liegen gewöhnlich drei Mann auf eine
Matratze, und da verteilen sie sich so einiger-
maßen. Aber ein bis zwei Dutzend kommen
doch auf jeden. Am besten ist es, wenn man
Fritze Lehmann zum Schlaskameraden hat,
denn dem seine Natur lockt das Ungeziefer
auf eine wunderbare Weise an: sie gehen alle
auf ihm, und wir andern bleiben ungestört.
Ich fragte ihm neulich, ob er mit die Macht
seiner Seele nicht einmal einen Floh über-
wältigen könnte, aber da wurde er so falsch,
daß ich für unsere langjährige Freundschaft
fürchtete und ihm von jetzt ab mit diese Bla-
mage in Ruhe lasse.
Also, geliebte Rieke, beruhige Fritzen seine
Eltern: er hat bei die ganze westliche Offen-
sive außer Flohstiche bisher keine Verwundung
nicht empfangen. Sobald sie ihm ein Freßpaket
geschickt haben, wird er wohl selber schreiben;
vorher ist er zu schwach dazu.
Indem ich Dir bis auf weiteres herzlichst
grüße und küsse, bin ich Dein getreuer Bräu-
tigam und
Gefreiter August Säge jun..
Garde-Grenadier.
Der Maigedanke.
Immer wieder grünt die Welt.
Leben mutz sich neu entfalten,
Tod kann keinen keim Zerspalten,
der ein Dlühn umschlossen hält.
Zwischen allem ächlachtengraus
rollt die 5onne ihre Dahnen,
schwenkt sie ihre goldnen Lahnen
leuchtend über jedes Haus.
Oeift weicht nicht aus seiner 5pur.
Nichts kann seinen weg verschütten.
Über alle armen Hütten
unsichtbar flammt dieser 5chwur:
„brüderlich und gleich und frei!
wir, von gleichem Leid geschlagen,
wollen unsre Sehnsucht tragen
in den frieden, in den Mai." ßan Bröger.
Der vielseitige Wilson.
„Meine Küche ist sehr abwechslungsreich, vor
einigen Wochen servierte ich den Europäern Frie-
de n s in a n n a , heute bringe ich ihnen Kriegs-
gulasch." ,,
Feldpostbriefe.
XGVI.
Geliebte Miete! Wie Du weißt, befinde ich
mir seit vierzehn Tage an die Westfront und
habe an die hiesigen weltgeschichtlichen Vor-
stöße mit großen Erfolg als Korporalschafts-
führer teilgenommen. Unter mein Kommando
befand sich auch unser Fritze Lehmann aus
die Ackerstraße, und Du kannst daher seine
Eltern vollständig beruhigen und ihnen sagen,
daß ihre Befürchtungen von wegen allzu über-
triebene Heldentaten ihres Sohnes nicht zu-
treffen und ihm das Eiserne Kreuz bisher
noch zu keine Tollkühnheiten nicht angestiflet
hat. Vielmehr ist er ganz der alte geblieben,
und leider ist auch in seinen Appetit keine
Linderung nicht eingetreten.
Das erste Ende von unfern hiesigen Vor-
marsch führte durch das sogenannte Trichter-
gelände, von das Du Dir eine richtige Vor-
stellung machen kannst, wenn Du Dir das
Tempelhofer Feld denkst, bevor das Zeitalter
der Bauspekulation anfing. Bloß daß es nicht
eben, sonder», wie sein Name sagt, von zahl-
reiche trichterförmliche Löcher unterbrochen ist
und sich daher weniger für eine Frühjahrs-
parade, als für sehr peinliche Kletter- und
Rutschpartien eignet. Das Logement findet
hier in unmöblierte Erdlöcher statt, aber die
Ernährungsverhältnisse stehen vollkommen auf
die Höhe von Berlin, indem Du in jeden
Granatirichter mindestens soviel Wurst, Butter
und Käse finden kannst wie in eine Berliner
Lebensmiltelhandlung.
Fritze Lehmann befand sich natürlich an-
dauernd in einem sehr geschwächten Leibes-
und Geisteszustand. Ich suchte ihm, soweit es
möglich war, auf andere Gedanken zu bringen,
und benutzte dem bevorstehenden hundertsten
Geburtstag von Karl Marxen, um ihm über
diesen seine Lehren einigermaßen zu instruieren.
Auf einen kurzen Palrouillengang war ich
gerade dabei, ihn klar zu machen, daß mit die
fortschreitende Kultur die menschliche und tie-
rische Kräfte immer mehr von die Maschinen-
kräfte besiegt iverde», ivas Fritze nicht zugeben
wollte. In diesen Augenblick sauste an uns
ein französisches Stabsauto vorbei, und eine
Viertelstunde später kam eine deutsche Husaren-
patrouille angeschrammt, die das Auto einzu-
holen suchte. Aber so sehr sie sich auch an-
strengte, das Auto war schneller als sie, und
in kurze Zeit verschwand es am Horizont auf
Nimmerwiedersehen. „An dieses bedauerns-
werte Beispiel, lieber Fritze," sagte ich, „kannst
du dir davon überzeugen, daß Karl Marx
recht hat: die Maschinenkraft in das Auto
besiegt die vereinigten menschlichen und tie-
rischen Kräfte von die Hufarenpatrouille, und
weg sind die französischen Stabsoffiziere!"
Aber Fritze, der für politische Fragen leider
gar kein Verständnis nicht hat, wollte diese
Wahrheit nicht einsehen und schlug große Töne
an: „Was du in deine Zahlabende gelernt
hast, da kannst du mir noch lange nicht mit
imponieren. Ich bin in de» Konfirmations-
unterricht gegangen, und da weiß ich, daß
hoch über alle Maschinenkräfte und alle Körper-
kräfte die Kraft des menschlichen Geistes steht!
Mögen jene noch so stark sein: mit die Macht
der Seele bezwingst du sie alle! Die Macht
der Seele triumphiert über-" Wumm-
bumm! ging es plötzlich neben uns, und —
klatsch! — lag mein Fritze jämmerlich auf den
Bauch. Ein paar Schritte links war eine von
unsere Mörserbatterien in dem Acker einge-
graben und schoß gerade einen Bogenschuß.
Man konnte ihn nur sehen, wenn man direkt
daneben stand. Der unverhoffte Schreck hatte
Fritzen samt alle seine Seelenkräste rettungs-
los umgeschmissen. Er war jetzt sehr kleinlaut
und versuchte nicht mehr, Karl Marxen mit
seine unverdauten Konsirmationseriunerungen
zu widerlegen.
Seit längere Zeit schon haben wir nun das
Trichtergelände glücklich hinter uns und be-
finden uns wieder in bebaute menschliche Ge-
filde. Die Quartiergelegenheiten sind hier
manchmal sehr fein, und auch über die Ver-
pflegung braucht man nicht klagen, weil die
Eingeborenen bei ihren unvorhergesehenen
raschen Abschied nicht mehr imstande waren,
alles zu unfern Empfang zu verungenieren.
Seit meinen letzten Aufenthalt an die fran-
zösische Front vor drei Jahren hat sich auch
sonst manches zum Vorteil geändert: es gibt
zum Beispiel keine Franktireure nicht mehr,
mit die wir damals viel Beschäftigung hatten.
Mit die Flöhe dagegen ist es so geblieben wie
es war und wie es an alle Fronten gleich ist.
Wir liegen gewöhnlich drei Mann auf eine
Matratze, und da verteilen sie sich so einiger-
maßen. Aber ein bis zwei Dutzend kommen
doch auf jeden. Am besten ist es, wenn man
Fritze Lehmann zum Schlaskameraden hat,
denn dem seine Natur lockt das Ungeziefer
auf eine wunderbare Weise an: sie gehen alle
auf ihm, und wir andern bleiben ungestört.
Ich fragte ihm neulich, ob er mit die Macht
seiner Seele nicht einmal einen Floh über-
wältigen könnte, aber da wurde er so falsch,
daß ich für unsere langjährige Freundschaft
fürchtete und ihm von jetzt ab mit diese Bla-
mage in Ruhe lasse.
Also, geliebte Rieke, beruhige Fritzen seine
Eltern: er hat bei die ganze westliche Offen-
sive außer Flohstiche bisher keine Verwundung
nicht empfangen. Sobald sie ihm ein Freßpaket
geschickt haben, wird er wohl selber schreiben;
vorher ist er zu schwach dazu.
Indem ich Dir bis auf weiteres herzlichst
grüße und küsse, bin ich Dein getreuer Bräu-
tigam und
Gefreiter August Säge jun..
Garde-Grenadier.