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9484

Pfingstfrage.

Blätter rauschen. Knospen springen.
Sel'ge Vöglein Psalmen singen;

Und die leichtesten und flinksten
Sänger hoch gen Himmel schweben —
Pfingsten,

Hast du nicht noch mehr zu geben?

Golden lacht die Maienwonne.

Doch es fehlt die wahre Sonne,

Die auch Ärmsten und Geringsten
Schön und kostbar macht das Leben —
Pfingsten,

Kannst du nicht die Sonne geben?

Gieß im Rausch des Mordens, Höhnens
Aus den Geist des Weltversöhnens,

Daß die Ältsten und die Jüngsten
Dankbar ihre Hände heben!

Pfingsten,

Hast du uns nicht dies zu geben? P.E.

Wilhelm Rolb.

Unerwartet früh, in einein Klier, in dem sich die auf das
Leben gesetzten Hoffnungen meistens erst noch verwirklichen
sollen, starb in Karlsruhe der Führer der badischen Sozial-
demokratie lvilhelm Uolb. Kus einfachsten Kreisen stam-
mend, nur mit Volksschulbildung ausgestattet, hat er sich
binnen kurzem durch eisernen Fleiß und eine ungewöhnliche
Tatkraft eine bei Freund und Gegner geachtete Stellung zu
verschaffen gewußt. Km 21. Kugust 1870 in Karlsruhe ge-
boren, erlernte er das INalerhandwerk, ging aber sehr bald
in die Politik über. Erst war er Expedient, und von 1899
ab der leitende Redakteur des „Karlsruher volkssreunds".
1898 wurde er als Stadtverordneter, 1905 als Landtags-
abgeordneter, 1908 als Stadtrat in seiner Vaterstadt ge-
wählt und hat in allen Kmtern hervorragendes geleistet.
Sein Tod ist ein schwerer Verlust nicht nur für die badische,
sondern auch für die gesamte deutsche Parteibewegung, die
ihm ein ehrendes Kndenken bewahren wird.

Feldpostbriefe.

XOVII.

Lieber Maxe! In Deinen letzten Brief teilst
Du mir mit, daß Ihr Euch jetzt, da in Berlin
nicht getanzt werden darf, mit die Aufführung
eines Liebhabertheaters an Eure Sonn- und
Feiertage amüsiert; daß schon viele Proben
mit Mädchen und Gesänge stattgefunden
haben; daß zum Schluß noch eine General-

probe in die richtigen Kostüme sein wird, und
daß Ihr ein Lustspiel einstudiert, wo sie sich
zum Schluß kriegen. Zugleich erkundigst Du
Dich »ach unsere gegenwärtige Tätigkeit an
die Westfront und möchtest gerne wissen, wie
solch eine große Offensive wohl gemacht wird.

Glücklicherweise hängen diese beiden Dinge,
die Du in Deinen Brief behandelst, sehr eng
miteinander zusammen. Die Offensive ist näm-
lich ähnlich wie ein Liebhabertheater. Wochen-
lange Proben finden, ehe die eigentliche Vor-
stellung ist, hinter die Front statt, aber aller-
dings leider ohne Mädchen. Auch Gesänge
gibt es dabei nicht, obgleich mehrere von
unser» Unteroffizieren und besonders unser
Feldwebel sehr kräftige Stimmen haben. Wann
die Generalprobe ist, weiß keiner, und erst am
Abend vorher wird den Mitspielenden der
Beginn der Vorstellung angezeigt. Unsere fing
nächsten Vormittag 9 Uhr 40 Minuten an.
Die Ouvertüre wurde von die Artillerie ge-
spielt, fand aber bei das jenseitige Publikum
so wenig Beifall, daß sie dem Zuschauerraum
in große Eile und mit sichtbare Zeichen der
Abneigung verließen. Dann traten wir von die
Infanterie auf und spielten in rasche Folge
dem ersten, zweiten und dritten Akt herunter,
wobei wir die sämtlichen drei englischen Linien
überschritten. Es folgte dann die große Pause,
die sehr angenehm verlief. Wir hielten uns
während die Zeit meistens an das Büfett ans,
das von das entschwundene englische Publi-
kum sehr reichhaltig ausgestattet war. Wir
bedienten uns mit Schinken, Eiern, Butter,
Speck, Marmelade, Konserven verschiedenster
Art, fanden auch große Mengen Apfel, Apfel-
sinen, Datteln, und von Gelränken Kaffee,
Tee, Schokolade, Rotwein und Porterbier.
Besonders für Fritze Lehmann war es im rich-
tigsten Sinne des Wortes ein ununterbrochenes
Festessen. Seine Begeisterung stieg auf dem
höchsten Grad und er erklärte mir: während
der Gefechte merke man es nicht so, aber in
die Kampfpausen könne man doch sehen, daß
dieser Krieg wirklich eine große Zeit sei.

Bevor die Aufführung weiter ging, mußten
einige von die Mitspielenden aus künstlerische
Gründe ihr Kostüm wechseln. Denn in die
schlammigen Versenkungen des Trichtergelän-
des hatte die Garderobe so gelitten, daß man
sich vor die Augen eines verwöhnten Publi-
kums nicht mehr sehen lassen durfte. Glück-
licherweise standen uns für diesen Zmeck große
Vorräte von bester englischer Wollwäsche,
amerikanische Stiefel und andere funkelnagel-
neue Bekleidungsstücke zur Verfügung. Denn
die Herrschaften, denen die Sachen gehörten,
hatten ill die große Eile, mit die sie das
Theater verließen, vergessen, ihre Bekleidungs-
gegenstände mitzunehmen. Damit die Sachen
nicht umkamen, zogen diejenigen, die sie nötig
hallen, sie bis auf weiteres selber an.

Nachdem wir uns jetzt genügend gesättigt,
verpustet und zum Teil neu ausstasfiert haben,
begeben wir uns zunächst auf die Suche nach
unser entschwundenes Publikum. Sobald wir
es gefunden und uns davon überzeugt habe»,
daß es bereit ist, unsere weiteren Darbietungen
entgegenzunehmen, kann der letzte Akt begin-
nen, bei dem wir mit große Bestimmtheit auf
einen durchschlagenden Erfolg rechnen.

Du siehst- also, lieber Maxe, daß unsere
Tätigkeit bei die große Offensive sehr viel
Ähnlichkeit mit Euer Theaterspiel hat. Aber
in einige Punkte unterscheidet sie sich trotzdem.
So, seid ihr zum Beispiel sehr stolz, wenn
Eure Aufführung von das beifällige Publikum
da capo verlangt wird; wir aber verzichten
gerne auf diese Auszeichnnng, und je größer
bei uns der Erfolg war, desto weniger Aus-
sicht besteht, daß wir das Stück zu wieder-
holen brauchen. Und das Ganze ist auch wahr-
haftig kein Lustspiel, wenn wir auch sicher sind,
daß wir ihnen zum Schluß kriegen werden!

Ich hoffe, daß diese militärischen Aufklä-
rungen Deinen Wissensdurst einigermaßen
befriedigt haben, und grüße Dir bis auf wei-
teres als Dein alter Freund und

Gefreiter August Säge jun.

Garde-Grenadior,
 
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