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9488 •-

Erlösung.

Seele, meine Seele,
bist mit Blut bedeckt,
dumpfes Schlachkgeschweele
hat dich arg geschreckt:

Stahl, der soll verroste»,

Qual zu Grabe gehn,
aufgepflanzt im Osten
Friedensfahnen wehn.

Qualmerstickte Kehle,

Angriff, Sturm und Schrei,
Seele, meine Seele,
mach dich endlich frei!

In die Gräberhütte,
in die tiefste Nacht
grüßt des, Lebens Fülle
und des Lebens Pracht.

Tritt aus dunklen Toren!

Wie das Leben glüht!

Keiner ist verloren,
der sich ernsthaft müht.

Würgt dich, arme Kehle
die Erinnerung?

Seele, meine Seele,
du bist ewig jung!

Max Barchel, Musketier.

Auch ein Leld.

Von Karl Bröger.

Adolf Klemm hätte der glücklichste Mensch
von der Welt sein können. Warum? Ist es
ein Glück, als Mann nichts mit diesem Krieg
gemein zu haben, der seit bald vier Jahren
die Welt verwüstet? Hunderttausend Männer,
die dem Krieg ins Gesicht schauten, sind be-
reit, eine solche Frage unbedingt und schran-
kenios zu bejahen.

Adolf Klemm war verwachsen. Mit zu wei-
chen Knochen auf die Welt gekommen, hatte
er seit fünfundzwanzig Jahren Zeit, für die
Sünden des leichtblütigen Vaters zu büßen
und nachzudenken über die seltsame Forde-
rung des vierten Gebots: Du sollst Vater und
Mutter ehren. Ein Höcker und hoffnungslos
verbogene Beine sind eine etwas seltsame
Mahnung zur kindlichen Liebe.

Auf seiner kleinen Schreibstube saß der Ver-
wachsene tagaus tagein und erfüllte gehorsam
die Pflichten seines bescheidenen Amtes. Als
der Krieg die Männer aufrief, ging er an
Adolf Klemm achtlos vorüber. Er konnte nur
gesunde llnd lotrecht gewachsene Männer
brauchen. Mit Krüppeln fängt der Krieg nicht
an. Er hört aber damit auf.

Immer stiller wurde es um Adolf Klemm.
Ein Freund nach dem andern rollte nach Westen,
Osten oder Süden und schrieb bei guter Laune
einen kurzen Gruß an den kleinen, buckligen
Adolf, der jeden Morgen auf seinen Drehstuhl
kletterte und den Kopf über Akten gebeugt bis
zum Abend schrieb.

So stand Adolf Klemm neben den Ereig-
nissen. Sie kamen nur gedruckt zu ihm oder
in Freundesbriefen, aus denen ein Schauer
von der über alles Begreifen furchtbaren
Wirklichkeit der Zeit wehte.

Adolf Klemm war im Grunde gar nicht die
beschauliche Natur, als die ihn sein körper-
licher Zustand erscheinen ließ. Er war leiden-

Urlaub.

Es muß ein Traum gewesen sein
aus Liebeslust und Sehnsuchkspein. —

So schwer ja webke das Leben nimmer
die Tage!

Ich aber krage
lief in mir drinnen
lichkgolünen Schimmer
von Glück und Minnen.

Es muh ein Traum gewesen sein
aus Liebessehnen und Einsamsein. —

Nie webte das Leben so Hellen Schein
dem Dunkel der Nacht!

Nie hält' ich gedacht,
daß Frauenhände so weich sein können,
daß Frauenaugen so tief und rein,
daß junge Frauenlippen so brennen.

Nie hält' ich gedacht,
daß Frauenlachen

so wunschlos, so glücklich, so reich kann machen.
Nie schritt ich so kraftfroh dem jungen Tag
entgegen, so trotzig dem »Komme, was mag!«
Nie trank mein Herz so lichten Glanz,
so sonniges Glück in sich hinein,
ward Leben und Lieben zum lichten Tanz —
es muß ein Traum gewesen sein. •-

Kurt Heilbut, im Felde.

schriftlich an den Ereignissen beteiligt, folgte
den Schlachten mit gespannten Sinnen und
empfand das Auf und Ab der Stimmungen
stark und innig.

Alle Bekannten bemutterten ihn gern. Er
lebte unter gutherzigen Leuten, deren einfachem
Sinn das unverschuldete Schicksal des Krüp-
pels ehrwürdig war. Doch Adolf Klemm war
seit dein Krieg aus einmal empfindlich gewor-
den für alle, auch die schonendsten Hinweise
auf seinen körperlichen Zustand. Sonst hatte
er nichts gegen Rücksichten gehabt, die man
ihm erwies. Jetzt störten sie ihn nur.

„Bist du nicht auch ein Mann? Trotz
deines Höckers und der Krummbeine,
für die du nichts kannst? Warum be-
handeln sie dich nicht wie einen Mann?"

Diese Gedanken wälzte Adolf Klemm
öfters und wurde nicht fertig damit.
Er konnte sehr gereizt und übellaunig
sein, wenn das Gespräch auf Muste-
rungen und Diensttauglichkeit kam und
dabei in bester Absicht sein Glück ge-
priesen wurde, daß er gewiß nicht
unter die Räder kommen würde.

Er war schon zum Soldaten nicht
tauglich. Daran lag ihm auch eigentlich
nicht zu viel. Über den Krieg hatte er
seine eigenen Gedanken, die durchaus
nicht mit der allgemeinen Ansicht über-
einstimmten. Krieg ist Unsinn, denn er
macht aus Menschen Leichen und Krüp-
pel. Was aber ein Krüppel ist, wußte
keiner besser als er selbst, der für sein
Gebreste gar nichts konnte.

Aber sie sollten ihn nicht abseits
stellen, jetzt, wo jeder Mann notwen-
dig und nützlich ist. Er war nicht zum
Soldaten geschaffen und konnte nicht
mit der Waffe in der Hand dienen.
Doch gab es denn nur Waffendienst?

Als Adolf Klemm sich freiwillig zur Sani-
tätsarbeit meldete, schüttelte der leitende Arzt
den Kopf. Es gab schwere Arbeit. Das Aus-
laden und Verbringen der Opfer in die La-
zarette verlangte kräftige Arme. Adolf Kleinm
verwies darauf, daß er zu diesen Arbeiten ja
nicht brauchbar sei, daß es aber auch andere
Arbeiten genug gäbe. Schreibereien und Nacht-
wachen, Begleitungen und allerhand Dienst,
der Geduld und ein gütiges Herz verlangt.
Der Arzt folgte erstaunt der eindringlichen
Beredsamkeit des Gesuchstellers und versprach,
die Sache zu überlegen.

AdolfKlemm tut schon seitMonatenDienst.
Sein Amt hat er beibehalten. Seine Nächte
widmet er dem Werk seiner freien Neigung,
schreibt für die Sanitätsabteilung, wacht bei
Schwerverletzten und führt Blinde bei ihren
ersten Ausgängen an Sonn- und Feiertagen.
Sein Gesicht ist schmal geworden, und die
Augen liegen tiefer als sonst in ihren Höhlen.
Die Arbeit stellt an seinen verwachsenen Kör-
per gewichtigen Anspruch.

Wenn wir uns — selten genug — treffen,
dann erzählt mir Adolf von seinen Eindrücken
und Erlebnissen. Er hat eine hinreißende Art,
in ganz schlichten und einfachen Worten zu
berichte». Auf dem Grund seiner Rede schim-
mert die große, stille Freude, daß er einen
Platz in der Zeit gefunden hat, die keinen
Mann entbehren darf.

Adolf Klemm fühlt sich dem Leid der Welt
und seiner Linderung so verwoben, daß er
alle Rücksichten auf das eigene Befinden zu-
rückstellt.

Dieser Tage ist er zusammengeklappt. Ich
habe ihn gestern im Krankenhause besucht. Er-
lag ganz still und friedlich in den Kissen und
lächelte zufrieden, als ich nach seinem Zustand
fragte. Bald wird es wieder so weit sein.
Dann geht es wieder an die Arbeit.

Als ich ging, drückte ich Adolf Klemms Hand
wärmer als sonst. Es gibt nicht viele Hände,
von denen heute Gutes ausgeht.
 
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