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— 9496

Die rote Zahne.

flm I. INai wurde auf der russischen Botschaft in Berlin
die rote Lahne gehißt.

kopfschüttelnd stehe ich vor diesem Fakt,

von Unmut teils und teils von Furcht gepackt —

Ich, Rentier Meier, kjausbejitzer und

Tin deutscher Mann von gut zweihundert Pfund.

Mich macht so leicht nichts in den Beinen schiaff,

Hier aber war ich einfach gänzlich baff:

vie rote Fahne, flatternd Unter'n Linden!

Ich sah's, erschrak und glaubte zu erblinden.

Sonst machten Sozis wohl inal den versuch
Und hißten irgendwo ein rotes Tuch,

Doch dies geschah dann heimlich in der Nacht,
Und früh am Morgen ward's herabgebracht,
fjier weht es frech am Tage hin und her -
va frage ich: wo bleibt die Feuerwehr?!

Und wo die Polizei mit Spieß und Sabel?

Und niemand hört auf meinen zorn'gen Schnabel.

Ich bin gewiß ein Mensch von Toleranz;

Hier aber fehlt mir das verstehste ganz,

Und wie Rassandra prophezeie ich:

Die Folgen dieser Tat sind fürchterlich!

Gestattet ihr den Russen jenen Brauch,

Gefällt er schließlich manchen Deutschen auch.
Und dann - was hilft's euch dann, sich zu er-
bosen?

Rch, spürtet ihr's wie ich in euren Hosen! (Lee.

Äelden der Äeimat.

Skizze von P. E.

Die Stimmung am Stammtisch der Wein-
wirtschast „Zum goldenen Hirsch" war glän-
zend. Der „Rote" war gut und nicht
zu teuer für die Mehrzahl der An-
wesenden. Die anfängliche Erregung
über die einzelnen strategischenPläne,
die jeder für die allein richtigen hielt
und die eine ziemlich scharfe Dis-
kussion entfesselt hatten, war all-
mählich jenem bekannten Hochgefühl
gewichen, das nach gutem Trunk ein-
zutreten pflegt.

„Nun wollen wir auf unsere Hel-
den draußen trinken," schlug der
Amtsrichter vor. Alles stimmte ju-
belnd ein. Man war dicht daran,
ein Telegramm an Hindenburg vor-
zuschlagen.

Da trat der junge Lehrer, der
noch nicht lange am Ort war, ein
und setzte sich mit tiefem Gruß be-
scheiden an das Ende des Tisches.

„Na, so spät?" fragte der Apo-
theker.

„Ich war noch im Jndustriedorf
drüben."

„Wollen Sie Munitionsarbeiter
werden? Das könnte Ihnen so pas-
sen, ein Heidengeld für nichts ein-
zuheimsen! Sie wollen wohl auch
unter die Kriegsgewinnler gehen?"

Ein Hagel von Neckereien prasselte
auf den Ankömmling nieder.

Der Lehrer blieb aber ernst.

„Ach, meine Herren," begann er
endlich, „das,Heidengeld', das die
Leute da drüben verdienen, ist sauer
verdient. Manchmal ist es sogar zu
teuer erworben, meine ich."

„Ja, umsonst ist der Tod," lachte der Apo-
theker.

„Eben daran dachte ich auch," fuhr der Lehrer
ernst fort. „Ich komme nämlich von einem
Toten dort drüben.".

„Ein.Unglücksfall?"

„Ja."

Auf seinem Abendspaziergang war derLehrer
nach dem Dorf gegangen und war einer alten
Frau begegnet, die er von seiner früheren Tätig-
keit her kannte. Sie hatte still vor sich hin ge-
weint und konnte ihm erst nach langem Zö-
gern Rede und Antwort stehen. Ihr junger
Sohn, ein blasser, schwächlicher Mensch, der
in der Munitionsfabrik Stellung gefunden
hatte, war mittags, wahrscheinlich in einem
Schwächeanfall, in die Räder der Maschine
gesunken und dort zermalmt worden. Nun
stand sie allein da.

Einen Augenblick teilte sich die tiefe Er-
schütterung des Lehrers, der sein Erlebnis er-
zählte, den Zuhörern mit.

„Ein Einzelfall," sagte endlich der Apo-
theker, „das beweist nichts."

Die anderen wollten ihm mit einem ge-
wissen Gefühl der Erleichterung zustimmen;
aber der Lehrer siel ein: „Kein Einzelfall,
Herr Apotheker! Leider nicht. Ich habe zufällig
heute den Bericht des Reichsversicherungs-
amts, also einer amtlichen Stelle, gelesen.
Danach hat es im Jahr 1916 in der deutschen
Industrie fast zehntausend Tote gegeben."

„Nicht möglich!"

Der Lehrer nahm ein Zeitungsblatt vor.
„Genau sind es 9951 Tote und 103184 Schwer-

verwundete. Gemeldet waren im ganzen über
600000 Unfälle."

„Das klingt ja wie ein Bericht vom Schlacht-
feld," murmelte der Doktor.

„Ganz richtig. Vom Schlachtfeld der Ar-
beit. Sie sehen, auch dort gibt es Blut und
Wunden. Und ich meine: Die unvergleichlichen
Helden da draußen in allen Ehren, — aber
wir wollen darüber nicht vergessen, daß es
auch Helden in der Heimat gibt, die wie jene,
nur rühmloser, für das Vaterland sterben."

Und als er jetzt sein Glas leerte, sah es aus,
als leerte er es auf all diese ungenannten,
ungekannten Helden in den Fabriken, de»
Hütten und Bergwerken.. ..

Als der Lehrer gegangen war, sagte der
Apotheker: „Weiß der Teufel, mir schmeckt der
Wein nicht mehr!"

„Man sollte in diesen Zeiten nicht soviel von
den Toten reden," meinte der Förster. „Das
bringt einen ja um alle Siegesstimmung!"

„Sehr richtig," erklang es ringsum. Und
ärgerlich spülten sie die Verstimmung hinunter,
um sich wieder ungehindert strategischen Plä-
nen widmen zu können... .

o Brot, o

Von Max Banhel, Musketier.

In den Argonnen kamen die Aktiven oft zu
uns und baten um Brot. Neben unserem Lager
war ein Friedhof am kahlen Hang aufgebaut:
Granatsalven schrien über die Gräberreihen,
Regen verwusch die Holzkreuze, Schlammbäche
gurgelten an ihnen vorbei und kein Grün und
kein Gras wuchs auf den armen
verlassenen Hügeln.

Wenn auf Fille Morte Minen-
zauber tobte und Berg und Tal in
einem schrecklichen Schrei zerbrachen,
gab es immer Tote; und manchmal
mußten auch wir die jungen, zer-
rissenen Leiber ausgraben. Zeltbah-
nen umschlossen und verhüllten die
blutigen Glieder, entsetzlich verstüm-
melt, und die dunklen Gräber des
Friedhofs verschlangen tausendfälti-
ges Schicksal, in eins geballt: zerfetzt
und tot. Den überlebenden blieb
die Qual.

Wir lagen im Arbeitsdienst und
waren nicht mehr wie das Kriegs-
gerät in unseren Händen. Wir wur-
den stumpf und gleichgültig, ja oft
wünschten wir uns den schnellen
Tod, der uns von allem befreien
würde, oder wir ersehnten Krankheit
und Wunde, um dem grausamen
Einerlei des Tages mit der ver-
bissenen Not zu entrinnen. Wir
waren alle aus einer anderen Welt
mit fiebernden Augen und fiebern-
dem Herzen, und das Leben lag ab-
geschlossen und wohlverwahrt wie
ein köstliches Geschmeide hinter dem
Eisen- und Feuervorhang der Front.

Und so starben wir vielfältigen
Tod und unser Sein war eine einzige '
schmerzhafte Wunde.

Die Feldpost brachte Nahrung des
Leibes und Nahrung des Geistes.
Die vielen Bauern in unserer Kom-

Llnsicheres Brot.

&

„Na nu, was machst du für ein trübseliges Gesicht, alter Freund?"

„Bin schon wieder stellenlos. Meine Lust am Reisen verführte mich, bei einem
Diplomaten Stellung zu nehmen, und bin nun mit ihm wieder entlassen worden."

wir können wieder liefern: ttautsky, Ethik und materialistische Geschichtsauffassung.EMR
 
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