S544
Daheim.
Die Treppe draußen knarrt,
der Schritt ist mir bekannt.
Ich schlag in meines Freundes Land,
er kommt von weiter Fahrt.
Vorüber ging der Brand,
vorbei ließ ihn der Tod.
Die Augen blank, die Wangen rot,
kommt er ins' Vaterland.
Es klingt ihm wunderbar
das Auferstehungslied.
So feierlich wird sein Gemüt,
wie es ihm niemals war.
Gefangen hält ihn ganz
der Leimat liebe Macht.
Das Traumbild einer fernen Nacht
liegt da im Sonnenglanz.
O dieses Wiedersehnl ...
Quillt nun aus seiner Brust
mit einem Wort die Lebenslust:
Wie ist die Leimat schön! e.'p.
o Wahnsinn, o
Bon Maximilian.
Ein Leichenzug geht an meinem Fen-
ster vorbei.
Ich habe den Toten gekannt. Seine
Art zu leben und den Kampf um seine Liebe.
Unser Zusammentreffen war nur ein flüch-
tiges. Nur ein einziges Mal sahen wir uns.
Und das war ohne irgendeine bemerkenswerte
Äußerlichkeit. Dann verlor man sich wieder.
Sah sich noch einmal nur von weitem an
einem anderen Ort. Die Welt ist ja so klein.
Nun sehe ich ihn heute zum dritten- und
letztenmal. Da liegt er zwischen schwarzen
Sargbrettern, die mit Blumen und Krän-
zen reichlich und bunt überdeckt sind.
Ein Schutzmann geht gewichtig ge-
messenen Schrittes dem Trauerzug vor-
aus. Kinderfolgen. Feldgraue Verwun-
dete, die aus dem Lazarett der kleinen
Stadt zur Leiche kommandiert worden.
Der Kirchenchor folgt und Leidtragende
mit schwarzglänzenden Rohrhüten auf
dem Kopfe und altmodisch zugeschnit-
tenen Gehröcken. Viele Frauen und
Jungfrauen in tiefschwarzen Schleiern.
Veteranen von siebzig mit zwei wallen-
den trauerumflorten Vereinsfahnen und
viel bunten Ordensbändern an der stolz-
geschwellten Männerbrust.
Eine dörfliche Blechmusik spielt den
Chopinschen Trauermarsch. Armer Cho-
Fran Sorge.
terie. Ein feindlicher Volltreffer in die Bat-
terie. Er wurde verschüttet und im letzten
Augenblick — der Tod des Erstickens saß ihm
schon in der Kehle — wurde er ausgegraben.
Doch schon war die Nacht überihn gekommen.
Und mit ihr ein glückliches Lächeln in seinen
Zügen, das ich nie vorher bei ihm gesehen.
Stolz und aufrechten Hauptes ging er im
Irrenhaus umher .. . stolz wie ein Spanier.
Zuerst dünkte er sich, Hindenburg zu sein.
pin! Auch das Lied vom „guten Kame-
raden" muß durch die im Sonnenlicht
hellblinkenden Messingblasrohre hin-
durch. Warum hat aber auch die Metall-
sammelstelle nicht gerade dieses Messing
beschlagnahmt?
Sonnengold liegt über dem Gottes-
acker. Der lehnt sich an einen Bergab-
hang an, so daß die Grabdenkmale der
oberen Gräberreihe die Stadt der noch
Lebenden überschauen.
Das Schicksal des Toten ist ein im
Krieg fast alltägliches. Kanonier im
Westen bei einer schweren Mörserbat-
Die Land.
Von Max Barthel, tm Felde.
Ruhende Land,
Sonne flammt auf dir und dem Land.
Ruhende Land, gelassen und leer,
bald bist du wieder Faust und trägst das Gewehr.
Aber in dieser Stunde will ich deine Schuld vernichten
und will dir das Märchen der Zukunft dichten,
wo du das Laar deiner Liebsten streichelst
und dem Spiel ihrer reifen Brüste schmeichelst.
Wenn der Tag beginnt
und die Nacht wie rieselnder Sand verrinnt,
hebst du dich hart
in dem donnernden Lärm der Gegenwart
und schmiedest der Stunden rohes Gefüge
zum funkelnden Ring.
Schiffe und Wagen, aufbrausende Züge,
grausende Schächte und sausende Flüge
mitten in Sonne und Limmel hinein.
Land, die sich zur tätigen Arbeit ausspreitet,
Land, die das Brot der Erde bereitet,
Land, die du Werke auf Werke hinbaust —
Sonne, die deine Narben umbadet,
hat dich gesegnet, hat dich begnadet....
Ruhe nun, Land, bald bist du wieder mordende Faust.
wrrrtyTJxxnxcaxxm&rrrxxnxc&x
Dann König von Bayern. Und wenige
Tage vor seinem Ableben, als der Wahn
seinehöchsteHöhe erreicht hatte, behaup-
tete er, Kaiser von Deutschland zu sein.
Seine Anverwandten kannte er nicht
mehr. Seine Frau, die ihm vordem das
höchste Glück aus Erden war, wies er
bei einem Besuch rauh von sich. „Was
ivill dies Weib?" brüllte er fle an.
Dann aber lächelte er glückhaft . . .
herablassend seinem Wärter zu. Mit
diesem Lächeln ging er ein in die Ewig-
keit. Der Krieg war nichts für seine-
zarten, mitempfindenden Nerven.
Gibt es nicht auch für uns alle, die
wir das Hinschlachten von Hunderttau-
senden schaudernd miterleben müssen,
Augenblicke, Sekunden und Minuten,
in denen wir zu allem, was den Krieg
angeht, schroff nein sagen möchten?
Und ist es uns dann nicht zumute, als
ob sich der Wahnsinn des Krieges an
uns emporkrallen würde... uns über-
fluten ... geistig verschütten würde?
Der Kinderchor singt ein Loblied auf
den Heldentod. Der Pfarrer preist Gott
in der Höhe und seinen unerforschlichen
Ratschluß. Der Sarg wird an Seilen
in die Erdgrube Hinabgelaffen. In das
Gebet des Pfarrers hinein zwitschert
eine Amsel hoch oben im Gezweigs
einer Silberpappel. Akazien blühen düfte-
schwer. Samtene Stiefmütterchen leuchten auf
den Gräbern auf. Fliederdolden öffnen wonne-
gierig ihre Kelche. Und Vergißmeinnicht.
Die Musik spielt wieder ein Lied.
Die Trauerversammlung geht auseinander
... nach allen vier Himmelsrichtungen. Wenige
Schritte hinter mir gehen die Musiker und mit
ihnen der Dirigent des Kirchenchors. Die lachen
und scherzen, als wenn es zu einer Hochzeit
ginge. Dazwischen flötet der Herr Diri-
gent vom Kirchenchor: „Wo trinken
wir eins?"
Die Amsel aber singt lustig und mun-
ter, als wenn die Welt nur eitel Freude
wäre, ihr Liedchen zu Ende. Was küm-
mern sie auch die Balgereien der Mensch-
heit? Die Blumen duften noch einmal
so schwer. Sonnenringelkreise spielen mit
den Kräuselwellen des kleinen Flusses,
der am Friedhof vorüberfließt. Bienlein
summen wonnetrunken von Blüte zu
Blüte. Die buntfarbigen Blumen der
Wiese am Fluß recken sich der Sonne
entgegen.
In der Natur ist Lust und Freude.
Nur die Menschen treiben mitten im
Wahn gegenseitiger Vernichtung.
O . . . könnte man sich doch wie Zau-
berer in alten Märchenbüchern in ein
Bienlein oder in eine Wiesenblume oder
einen Sonnenstrahl verwandeln, damit
man nichts vom Kriege erführe!
Oder wäre ich doch die Amsel hoch
oben im Gezweige der Silberpappel!
Ich hätte so laut gezwitschert, daß der
Kirchenchor mitten im Loblied des Helden-
todes stecken geblieben wäre. Und der
Herr Pfarrer vor lauter Amselschlag
vergessen hätte, Krieg und Gott in
einem Atemzug zu lobpreisen....
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Daheim.
Die Treppe draußen knarrt,
der Schritt ist mir bekannt.
Ich schlag in meines Freundes Land,
er kommt von weiter Fahrt.
Vorüber ging der Brand,
vorbei ließ ihn der Tod.
Die Augen blank, die Wangen rot,
kommt er ins' Vaterland.
Es klingt ihm wunderbar
das Auferstehungslied.
So feierlich wird sein Gemüt,
wie es ihm niemals war.
Gefangen hält ihn ganz
der Leimat liebe Macht.
Das Traumbild einer fernen Nacht
liegt da im Sonnenglanz.
O dieses Wiedersehnl ...
Quillt nun aus seiner Brust
mit einem Wort die Lebenslust:
Wie ist die Leimat schön! e.'p.
o Wahnsinn, o
Bon Maximilian.
Ein Leichenzug geht an meinem Fen-
ster vorbei.
Ich habe den Toten gekannt. Seine
Art zu leben und den Kampf um seine Liebe.
Unser Zusammentreffen war nur ein flüch-
tiges. Nur ein einziges Mal sahen wir uns.
Und das war ohne irgendeine bemerkenswerte
Äußerlichkeit. Dann verlor man sich wieder.
Sah sich noch einmal nur von weitem an
einem anderen Ort. Die Welt ist ja so klein.
Nun sehe ich ihn heute zum dritten- und
letztenmal. Da liegt er zwischen schwarzen
Sargbrettern, die mit Blumen und Krän-
zen reichlich und bunt überdeckt sind.
Ein Schutzmann geht gewichtig ge-
messenen Schrittes dem Trauerzug vor-
aus. Kinderfolgen. Feldgraue Verwun-
dete, die aus dem Lazarett der kleinen
Stadt zur Leiche kommandiert worden.
Der Kirchenchor folgt und Leidtragende
mit schwarzglänzenden Rohrhüten auf
dem Kopfe und altmodisch zugeschnit-
tenen Gehröcken. Viele Frauen und
Jungfrauen in tiefschwarzen Schleiern.
Veteranen von siebzig mit zwei wallen-
den trauerumflorten Vereinsfahnen und
viel bunten Ordensbändern an der stolz-
geschwellten Männerbrust.
Eine dörfliche Blechmusik spielt den
Chopinschen Trauermarsch. Armer Cho-
Fran Sorge.
terie. Ein feindlicher Volltreffer in die Bat-
terie. Er wurde verschüttet und im letzten
Augenblick — der Tod des Erstickens saß ihm
schon in der Kehle — wurde er ausgegraben.
Doch schon war die Nacht überihn gekommen.
Und mit ihr ein glückliches Lächeln in seinen
Zügen, das ich nie vorher bei ihm gesehen.
Stolz und aufrechten Hauptes ging er im
Irrenhaus umher .. . stolz wie ein Spanier.
Zuerst dünkte er sich, Hindenburg zu sein.
pin! Auch das Lied vom „guten Kame-
raden" muß durch die im Sonnenlicht
hellblinkenden Messingblasrohre hin-
durch. Warum hat aber auch die Metall-
sammelstelle nicht gerade dieses Messing
beschlagnahmt?
Sonnengold liegt über dem Gottes-
acker. Der lehnt sich an einen Bergab-
hang an, so daß die Grabdenkmale der
oberen Gräberreihe die Stadt der noch
Lebenden überschauen.
Das Schicksal des Toten ist ein im
Krieg fast alltägliches. Kanonier im
Westen bei einer schweren Mörserbat-
Die Land.
Von Max Barthel, tm Felde.
Ruhende Land,
Sonne flammt auf dir und dem Land.
Ruhende Land, gelassen und leer,
bald bist du wieder Faust und trägst das Gewehr.
Aber in dieser Stunde will ich deine Schuld vernichten
und will dir das Märchen der Zukunft dichten,
wo du das Laar deiner Liebsten streichelst
und dem Spiel ihrer reifen Brüste schmeichelst.
Wenn der Tag beginnt
und die Nacht wie rieselnder Sand verrinnt,
hebst du dich hart
in dem donnernden Lärm der Gegenwart
und schmiedest der Stunden rohes Gefüge
zum funkelnden Ring.
Schiffe und Wagen, aufbrausende Züge,
grausende Schächte und sausende Flüge
mitten in Sonne und Limmel hinein.
Land, die sich zur tätigen Arbeit ausspreitet,
Land, die das Brot der Erde bereitet,
Land, die du Werke auf Werke hinbaust —
Sonne, die deine Narben umbadet,
hat dich gesegnet, hat dich begnadet....
Ruhe nun, Land, bald bist du wieder mordende Faust.
wrrrtyTJxxnxcaxxm&rrrxxnxc&x
Dann König von Bayern. Und wenige
Tage vor seinem Ableben, als der Wahn
seinehöchsteHöhe erreicht hatte, behaup-
tete er, Kaiser von Deutschland zu sein.
Seine Anverwandten kannte er nicht
mehr. Seine Frau, die ihm vordem das
höchste Glück aus Erden war, wies er
bei einem Besuch rauh von sich. „Was
ivill dies Weib?" brüllte er fle an.
Dann aber lächelte er glückhaft . . .
herablassend seinem Wärter zu. Mit
diesem Lächeln ging er ein in die Ewig-
keit. Der Krieg war nichts für seine-
zarten, mitempfindenden Nerven.
Gibt es nicht auch für uns alle, die
wir das Hinschlachten von Hunderttau-
senden schaudernd miterleben müssen,
Augenblicke, Sekunden und Minuten,
in denen wir zu allem, was den Krieg
angeht, schroff nein sagen möchten?
Und ist es uns dann nicht zumute, als
ob sich der Wahnsinn des Krieges an
uns emporkrallen würde... uns über-
fluten ... geistig verschütten würde?
Der Kinderchor singt ein Loblied auf
den Heldentod. Der Pfarrer preist Gott
in der Höhe und seinen unerforschlichen
Ratschluß. Der Sarg wird an Seilen
in die Erdgrube Hinabgelaffen. In das
Gebet des Pfarrers hinein zwitschert
eine Amsel hoch oben im Gezweigs
einer Silberpappel. Akazien blühen düfte-
schwer. Samtene Stiefmütterchen leuchten auf
den Gräbern auf. Fliederdolden öffnen wonne-
gierig ihre Kelche. Und Vergißmeinnicht.
Die Musik spielt wieder ein Lied.
Die Trauerversammlung geht auseinander
... nach allen vier Himmelsrichtungen. Wenige
Schritte hinter mir gehen die Musiker und mit
ihnen der Dirigent des Kirchenchors. Die lachen
und scherzen, als wenn es zu einer Hochzeit
ginge. Dazwischen flötet der Herr Diri-
gent vom Kirchenchor: „Wo trinken
wir eins?"
Die Amsel aber singt lustig und mun-
ter, als wenn die Welt nur eitel Freude
wäre, ihr Liedchen zu Ende. Was küm-
mern sie auch die Balgereien der Mensch-
heit? Die Blumen duften noch einmal
so schwer. Sonnenringelkreise spielen mit
den Kräuselwellen des kleinen Flusses,
der am Friedhof vorüberfließt. Bienlein
summen wonnetrunken von Blüte zu
Blüte. Die buntfarbigen Blumen der
Wiese am Fluß recken sich der Sonne
entgegen.
In der Natur ist Lust und Freude.
Nur die Menschen treiben mitten im
Wahn gegenseitiger Vernichtung.
O . . . könnte man sich doch wie Zau-
berer in alten Märchenbüchern in ein
Bienlein oder in eine Wiesenblume oder
einen Sonnenstrahl verwandeln, damit
man nichts vom Kriege erführe!
Oder wäre ich doch die Amsel hoch
oben im Gezweige der Silberpappel!
Ich hätte so laut gezwitschert, daß der
Kirchenchor mitten im Loblied des Helden-
todes stecken geblieben wäre. Und der
Herr Pfarrer vor lauter Amselschlag
vergessen hätte, Krieg und Gott in
einem Atemzug zu lobpreisen....
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