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Schichtwechsel.
An der Spree.
Breitbeinig steht der Abend
über der Stadt. Er greift in
die braungoldenen Rauch-
fahnen der Fabrikessen, zieht
Striche und Streifen her-
aus, die er über das Him-
melsblau wischt, und tupft
dazwischen weiße Spritzer
auf den tiefen Horizont.
Laulos schwingt das rie-
sige Fabriktor in den Angeln.
Ein Menschenstrom flutet in
das steinerne Bett der Vor-
stadtstraße. Biele Mädchen
und Frauen gehen in dem
Strom. Stumpf und matt
sind ihre Augen. Alles Feuer
der Jugend ist den Maschi-
nen zugeflossen, die Fresser
sind und nicht allein aus
Kesseln und Motoren gesät-
tigt werden können.
Hin und her flutet die
Masse, scheinbar sinnlos und
doch gelenkt von verborge-
ner Macht. Gruppen, die
rasch aus der Fabrik gehen,
kreuzen den Weg von Grup-
pen, die langsam das hohe
Tor durchschreiten, das ge-
schwärzt ist von Rauch und
Ruß und in dessen Metall
der Massenschritt von Tau-
senden schlummert. Schicht-
wechsel! Die Schichten be-
grüßen sich mit Neck- und
Scherzworten, doch ein fei-
nes Ohr überhört den Ton
von müder Unlust nicht, der
in den Worten mitschwingt.
Die Menschen der neuen
Schicht kennst du sofort. Sie gehen langsam,
zögernd wie in träumerischem Schlendern, denn
ihre Gedanken laufen auf anderem Weg als ihre
Füße. Ungerührt von Lust und Leid gähnt das
Fabriktor. Es bereitet einen Weg dem großen
Ausgleich der Kraft. Durch das Tor gibt die
Fabrik ihre verbrauchten Energien ab und
nimmt neue Energien dafür ein. Rastlos flutet
der Strom zwischen den eisernen Flügeln.
Seine Bewegung wellt erst an den äußersten
Stadtenden aus.
Jeden Abend öffnet die Fabrik ihre eisernen
Torbögen, atmet tief und riesenhaft aus und
ein und verschließt sich nach diesem Atemholen
wieder der Welt und ihrem Frieden. Ist das
Tor wieder geschlossen, dann grellen bald tau-
send Fenster mit gelbem Licht in die weiche
Dunkelheit. Eine weiße Dampfhaube bauscht
sich über dem Kühlturm, der Boden zittert
von den Stößen der hundert Maschinen, es
zischt, schleift und surrt und über Platz und
Straße geistern die Geräusche wie Seelen, die
keine Ruhe finden können.
Wie eine aus Erdtiefen aufgestiegene Hölle
hockt die Fabrik zwischen den Häusern. Manch-
mal zischt ein blutroter Feuerspeer auf zum
zum nächtlichen Himmel.
Moloch feiert sein Fest. Der große Baal
schläft und schlummert nicht. K. B.
»Na, wer'n ma dies Fahr Äppel bekomm'n?«
»Fa und nein. Gewachsen sind genug, es kommt aber alles auf die
Gesetzgeberische Fruchtbarkeit.
(Während des Krieges sind 8400 Kriegsgesetze und
33000 bundesrättiche Verordnungen erlassen worden.)
Hilf Himmel! Denn sonst Platzt 'ne Naht
In meinem armen Schädel.
Wer windet durch den Stacheldrah«
Moralisch sich und edel?
S Bürger, wo du gehst und stehst.
Im Wachen und im Schlafen,
Dich Ahnungslosen halten fest
Wohl tausend Paragraphen.
WaS sag'ich: tausend? Arme Zahl!
Es rattert die Maschine
Und häuft die Paragraphenqual
Zur schwellenden Lawine.
Wir schiele» ängstlich und geduckt
Hinauf zu jene» Höhen,
Indes die Frage in uns zuckt:
Wann wird sie niedergehen?
Und wen» du niemals hast gemaust.
Du bist doch ein Karnickel,
Und eines Tags hat dich die Faust
Des Vaters Staat beim Wickel.
Nun frage ich an dieser Statt,
Kann unter unfern Sternen
Denn das Gesetz-Verordnungsblatt
Ein Mensch auswendig lernen?
„Verboten ist...!" S, wieviel Sand
Hier scheffclweis geklaubt ist!
Gebt doch in einem Satz bekannt,
Wa» heute noch erlaubt ist! Pec.
Der Gendarm und
der Blumenstrauß.
Der Wölfl Sepp hat das
ehrsame Geiverbe der Ham-
sterei ergriffen, weil er fest
überzeugt ist, daß uns un-
sere Bureaukratie eher aüs-
hungert als die Engländer.
Er vertritt eifrig den Stand-
punkt, es wäre patriotische
Pflicht des Staatsbürgers,
durch Hamstern die Fehler
der „Gewappelten" wieder
halbwegs gutzumachen.
In dieserschönen Aufgabe
hat ein Gendarm den Wölfl
Sepp zu stören gewagt. Er
nahm Sepps Hamstersack
zuerst scharf ins Auge und
dann — leider — auch in
die nicht eben kleine Hand.
Obgleich Sepp sein dümm-
stes Gesicht machte, ver-
schwand der Gendarm mit
dem Sack in einem Raum,
der die Aufschrift „Dienst-
leiter" trug. Mit ihm gingen
drei Dutzend Eier und zwei
Pfund Butter.
Vorgestern hatSepp einen
Strafbefehl über zehn Mark
bekommen wegen Amts-
ehrenbeleidigung! Durch ei-
nen Blumenstrauß soll er
die Amtsehre des bewußten
Gendarmen und Hamster-
fängers gekränkt haben. Das
ging aber so zu: Am Diens-
tag ist der Sepp wieder ein-
Höchskpreise an.« mal ins Gäu gefahren, just
zu seinem Freund, dein Gen-
darmen. Dem wollte er das
Lederzeug anstreichen. Zum Abendzug keuchte
Sepp mit einem unheimlich gestopften Hand-
sack, den er pustend vor sich hinstellte, nach-
dem er vorher ausgekundschaftet hatte. Der
Gendarm war von keinem guten Geist beraten,
als er Sepp zumutete, er sollte den Sack aus-
machen. Sepp hielt sich die Hand vor den
Mund und folgte gehorsam dem Befehl. Der
Sack war mit Heu gestopft. Obenauf lagen
— ein Slück Brot und — ein Blumenstrauß.
Leider verlor der Mann des Gesetzes auch
noch die Geistesgegenwart und fragte Sepp,
wem das Zeug gehörte.
Darauf hatte Sepp nur gewartet. Seelen-
ruhig meinte er: „Dös Brot g'hört mir! Dös
andre därf'n Sie b'halt'n!" Worauf der Gen-
darm ein schwarzes Buch aus dem Rock zog
und den Nametk „Josef Wölfl" aufschrieb.
Aber dem „System" hat Sepp doch seine
Meinung gesagt. Als höflicher Mann tat er
es durch die Blume. Gicks.
^Leldpostbestellungen + +
iTaus den Wahren Jacob
werden gegen Einsendung von 1 Mark für das
Vierteljahr oder 1 Mark 50 Pfennig für
10 Nummern jederzeit angenommen und
pünktlich ausgeführt durch die
Expedition des Wahren Jacob, Stuttgart.
Schichtwechsel.
An der Spree.
Breitbeinig steht der Abend
über der Stadt. Er greift in
die braungoldenen Rauch-
fahnen der Fabrikessen, zieht
Striche und Streifen her-
aus, die er über das Him-
melsblau wischt, und tupft
dazwischen weiße Spritzer
auf den tiefen Horizont.
Laulos schwingt das rie-
sige Fabriktor in den Angeln.
Ein Menschenstrom flutet in
das steinerne Bett der Vor-
stadtstraße. Biele Mädchen
und Frauen gehen in dem
Strom. Stumpf und matt
sind ihre Augen. Alles Feuer
der Jugend ist den Maschi-
nen zugeflossen, die Fresser
sind und nicht allein aus
Kesseln und Motoren gesät-
tigt werden können.
Hin und her flutet die
Masse, scheinbar sinnlos und
doch gelenkt von verborge-
ner Macht. Gruppen, die
rasch aus der Fabrik gehen,
kreuzen den Weg von Grup-
pen, die langsam das hohe
Tor durchschreiten, das ge-
schwärzt ist von Rauch und
Ruß und in dessen Metall
der Massenschritt von Tau-
senden schlummert. Schicht-
wechsel! Die Schichten be-
grüßen sich mit Neck- und
Scherzworten, doch ein fei-
nes Ohr überhört den Ton
von müder Unlust nicht, der
in den Worten mitschwingt.
Die Menschen der neuen
Schicht kennst du sofort. Sie gehen langsam,
zögernd wie in träumerischem Schlendern, denn
ihre Gedanken laufen auf anderem Weg als ihre
Füße. Ungerührt von Lust und Leid gähnt das
Fabriktor. Es bereitet einen Weg dem großen
Ausgleich der Kraft. Durch das Tor gibt die
Fabrik ihre verbrauchten Energien ab und
nimmt neue Energien dafür ein. Rastlos flutet
der Strom zwischen den eisernen Flügeln.
Seine Bewegung wellt erst an den äußersten
Stadtenden aus.
Jeden Abend öffnet die Fabrik ihre eisernen
Torbögen, atmet tief und riesenhaft aus und
ein und verschließt sich nach diesem Atemholen
wieder der Welt und ihrem Frieden. Ist das
Tor wieder geschlossen, dann grellen bald tau-
send Fenster mit gelbem Licht in die weiche
Dunkelheit. Eine weiße Dampfhaube bauscht
sich über dem Kühlturm, der Boden zittert
von den Stößen der hundert Maschinen, es
zischt, schleift und surrt und über Platz und
Straße geistern die Geräusche wie Seelen, die
keine Ruhe finden können.
Wie eine aus Erdtiefen aufgestiegene Hölle
hockt die Fabrik zwischen den Häusern. Manch-
mal zischt ein blutroter Feuerspeer auf zum
zum nächtlichen Himmel.
Moloch feiert sein Fest. Der große Baal
schläft und schlummert nicht. K. B.
»Na, wer'n ma dies Fahr Äppel bekomm'n?«
»Fa und nein. Gewachsen sind genug, es kommt aber alles auf die
Gesetzgeberische Fruchtbarkeit.
(Während des Krieges sind 8400 Kriegsgesetze und
33000 bundesrättiche Verordnungen erlassen worden.)
Hilf Himmel! Denn sonst Platzt 'ne Naht
In meinem armen Schädel.
Wer windet durch den Stacheldrah«
Moralisch sich und edel?
S Bürger, wo du gehst und stehst.
Im Wachen und im Schlafen,
Dich Ahnungslosen halten fest
Wohl tausend Paragraphen.
WaS sag'ich: tausend? Arme Zahl!
Es rattert die Maschine
Und häuft die Paragraphenqual
Zur schwellenden Lawine.
Wir schiele» ängstlich und geduckt
Hinauf zu jene» Höhen,
Indes die Frage in uns zuckt:
Wann wird sie niedergehen?
Und wen» du niemals hast gemaust.
Du bist doch ein Karnickel,
Und eines Tags hat dich die Faust
Des Vaters Staat beim Wickel.
Nun frage ich an dieser Statt,
Kann unter unfern Sternen
Denn das Gesetz-Verordnungsblatt
Ein Mensch auswendig lernen?
„Verboten ist...!" S, wieviel Sand
Hier scheffclweis geklaubt ist!
Gebt doch in einem Satz bekannt,
Wa» heute noch erlaubt ist! Pec.
Der Gendarm und
der Blumenstrauß.
Der Wölfl Sepp hat das
ehrsame Geiverbe der Ham-
sterei ergriffen, weil er fest
überzeugt ist, daß uns un-
sere Bureaukratie eher aüs-
hungert als die Engländer.
Er vertritt eifrig den Stand-
punkt, es wäre patriotische
Pflicht des Staatsbürgers,
durch Hamstern die Fehler
der „Gewappelten" wieder
halbwegs gutzumachen.
In dieserschönen Aufgabe
hat ein Gendarm den Wölfl
Sepp zu stören gewagt. Er
nahm Sepps Hamstersack
zuerst scharf ins Auge und
dann — leider — auch in
die nicht eben kleine Hand.
Obgleich Sepp sein dümm-
stes Gesicht machte, ver-
schwand der Gendarm mit
dem Sack in einem Raum,
der die Aufschrift „Dienst-
leiter" trug. Mit ihm gingen
drei Dutzend Eier und zwei
Pfund Butter.
Vorgestern hatSepp einen
Strafbefehl über zehn Mark
bekommen wegen Amts-
ehrenbeleidigung! Durch ei-
nen Blumenstrauß soll er
die Amtsehre des bewußten
Gendarmen und Hamster-
fängers gekränkt haben. Das
ging aber so zu: Am Diens-
tag ist der Sepp wieder ein-
Höchskpreise an.« mal ins Gäu gefahren, just
zu seinem Freund, dein Gen-
darmen. Dem wollte er das
Lederzeug anstreichen. Zum Abendzug keuchte
Sepp mit einem unheimlich gestopften Hand-
sack, den er pustend vor sich hinstellte, nach-
dem er vorher ausgekundschaftet hatte. Der
Gendarm war von keinem guten Geist beraten,
als er Sepp zumutete, er sollte den Sack aus-
machen. Sepp hielt sich die Hand vor den
Mund und folgte gehorsam dem Befehl. Der
Sack war mit Heu gestopft. Obenauf lagen
— ein Slück Brot und — ein Blumenstrauß.
Leider verlor der Mann des Gesetzes auch
noch die Geistesgegenwart und fragte Sepp,
wem das Zeug gehörte.
Darauf hatte Sepp nur gewartet. Seelen-
ruhig meinte er: „Dös Brot g'hört mir! Dös
andre därf'n Sie b'halt'n!" Worauf der Gen-
darm ein schwarzes Buch aus dem Rock zog
und den Nametk „Josef Wölfl" aufschrieb.
Aber dem „System" hat Sepp doch seine
Meinung gesagt. Als höflicher Mann tat er
es durch die Blume. Gicks.
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