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lischen Flotte zu empfehlen!
„Nein, hier will ich mir den
Frieden nicht stören lassen,"
rief ich unwillig und warf
das Blatt hinter mich.
Aber die Geister des Wal-
des schienen mir nun ein-
mal den Frieden nicht zu
gönnen.
Plötzlich erscholl über den
Tannenwipfeln ein widriges
Krächzen und eine Schaar
Krähen kam daher und lieh
sich auf den Bäumen rings
über mir nieder, wo sie ihr
mißtönendes Geschrei eifrig
fortsetzte. Hätte ich nur eine
Schrotflinte gehabt. Damit
hätte ich sie verscheuchen und
wohl auch einen Braten er-
wischen können, denn heute
verspeist man ja diese Vögel,
deren zähes Fleisch früher
auch der Ärmste verschmäht
hat. Früher — vor dem
Kriege! Ach, da hatte der
unglückselige Krieg schon
wieder meine Gedanken er-
faßt. Und er ließ sie nicht
mehr los und führte sie aus
dem herrlichen grünen Wald
hinaus auf die blutigen
Schlachtfelder im Westen,
im Süden und Osten. Denn
dort fliegen sie ja auch, die
häßlichen Krähen, die im
Verein mit den Aasgeiern
danach trachten, das Fleisch
von den Gebeinen der toten
Helden zu nagen. Und un-
willkürlich fiel mir das dü-
stere Gedicht von Lenau ein.
o Eifersucht, o
„Denke dir, unser Prinz soll König von Krzwrzk werden!"
„Aber nein, diesmal ist's nicht euer, sondern unser Prinz!"
„Ereifere dich doch nicht, es sind ja noch mehr Stellen vakant."
das schildert, wie drei Reiter
auf den Tod verwundet aus
der Schlacht kommen:
Und lauernd auf den Todesritt
Ziehir durch die Lust drei Geier
mit;
Sie teilen kreischend unter sich:
Den speisest du, den du, den ich!
Da ward mir, als ob ich
das Gekrächze der Naben
droben in den Wipfeln plötz-
lich verstünde! Und ich ver-
ließ den Wald, um unter
Menschen zu kommen.
Jawohl, der Friede hat
auf der Erde gar wenig Platz.
Hans Flux.
Chemisches Attentat.
Chemie, du große Zauberin,
Du schaffst die Erde neu,
AuS Kleinstem selbst ziehst du
Gewinn
Und wandelst Gold aus Spreu.
Jetzt machst du Zucker aus Pa>
- Pier!
Zu Ende ist die Not!
Bang tu den Akten raschelt'S
schier,
Hell ln den Blättern rot.
Der Junker, der mit frohem
Sinn
Den Morgenkaffee schleckt,
Cr ahntnicht, daß tm Zucker drin
Ein „Wahrer Jacob" steckt.
DerFabrikant, der auf dasNccht
Der Proletare spuckt.
Er weiß es nicht, daß im Konfekt
Er einen „Vorwärts" schluckt.
So kommt das Gift, das rote
Gift,
Dem streng die Tür man wies.
Als Zucker jetzt hiibsch „hinten.
rum" —
Und schmeckt so süß, so süs,! Kl.
Die Zukunft.
Der Chemiker Guillaume hat ein Pulver
von außerordentlicher Sprengkraft erfunden.
Ein Anarchist verübte damit eine sinnlose Tat
des Terrorismus. Dann aber tritt der neue
Sprengstoff in den Dienst der Kultur: als
Triebkraft für Maschinen.
Ein Genosse des Erfinders meint: „Da wäre
also das Pulver, das die Menschen vernichten
soll, und nun einfach ihr Wohlbefinden er-
höhen wird. Alles nimmt ein gutes Ende."
„Sie haben recht," erwiderte der Erfinder,
„alles nimmt ein gutes Ende, denn alles geht,
allem zum Trotz, der Wahrheit und Gerechtig-
keit zu."
„Das ist ja die Revolution, die wahre, die
einzige Revolution," fuhr der Freund fort.
„Damit, und nicht mit den dummen Bomben,
revolutioniert man die Welt! Nicht durch das
Zerstören, durch das Schaffen haben Sie eine
Tat der Erlösung begangen. Wie oft habe ich
schon gesagt, nur die Wissenschaft ist revolu-
tionär; sie allein arbeitet, über die politischen
Ereignisse, das eitle Treiben der Sektierer
und Ehrgeizigen hinweg, an der künftigen
Menschheit, bereitet für sie die Wahrheit, die
Gerechtigkeit, den Frieden vor."
Der Motor schnaubte bei all seiner wunder-
baren Schnelligkeit kaum merkbar wie eine
große Fliege im Sonnenschein. Die ganze
glückliche Familie umgab ihn und lachte vor
Freude über diesen Sieg. „Ja," sagte Guil-
laume, „das lebt, das ist stark wie die Sonne,
wie die große Sonne, die dort über Paris
strahlt und Dinge wie Menschen reift. Paris
ist auch ein Motor, Paris ist der Heizkessel, in
dem die Menschheit kocht, unter dem wir Ge-
lehrten die ewige Flamme unterhalten."
* *
1-
Marie stieß einen leisen Ruf der Bewun-
derung aus, indem sie mit einer Gebärde auf
die ausgebreitete Stadt hinwies. Die Sonne
überflutete das unermeßliche Paris mit Gold-
staub. Allein diesmal war es nicht mehr die
Aussaat, wobei das Chaos der Dächer und
Gebäude einem braunen Acker glich, den ein
Riesenpflug urbargemacht und aufdendieSonne
ihre Strahlen auswarf — gleich Haufen von
Goldkörnern, die allerwärts niederfielen. Das-
selbe Sprossen des Lebens, dieselbe Blüte schien
die gesamte Stadt bedeckt zu haben, brachte
sie in Harmonie und machte daraus nur ein
einziges, grenzenloses, mit derselben Frucht-
barkeit bedecktes Feld. Ein Meer von Korn,
dessen goldener Wellenschlag sich von einem
Ende des Horizontes zum anderen wälzte.
Die Sonne badete Paris in gleichmäßiger
Pracht.
„Seht doch, seht!" wiederholte Marie, „kein
Winkel, der nicht seine Garbe trägt; selbst
die bescheidensten Dächer sind fruchtbar, und
überall derselbe Ahrenreichtum, als gebe es
nur noch eine einzige, versöhnte und brüder-
liche Erde. Ach, Jean, kleiner Jean, sieh nur,
steh, wie schön das ist!" Und mit einer be-
geisterten Gebärde hob Marie ihr Kind mit
beiden Armen hoch empor, es darzureichen
dem unermeßlichen Paris wie ein geweihtes
Geschenk. „Da, Jean, da, mein Kleiner! Du
bist's, der all das ernten und die Ernte in
die Scheuer schaffen wird!"
Und das von der göttlichen Sonne mit Licht
besäte flammende Paris ließ sie daherwallen,
diese künftige Ernte der Wahrheit und Ge-
rechtigkeit in all ihrer Glorie.
(Aus ZolaS „Paris".)
Glosse.
Uhland sang einst:
„Es reimt sich trefflich Wein auf Schwein
Und paßt sich köstlich Wurst auf Durst" —
Ja, wenn dieser romantische Dichter das Jahr
1918 erlebt hätte!
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lischen Flotte zu empfehlen!
„Nein, hier will ich mir den
Frieden nicht stören lassen,"
rief ich unwillig und warf
das Blatt hinter mich.
Aber die Geister des Wal-
des schienen mir nun ein-
mal den Frieden nicht zu
gönnen.
Plötzlich erscholl über den
Tannenwipfeln ein widriges
Krächzen und eine Schaar
Krähen kam daher und lieh
sich auf den Bäumen rings
über mir nieder, wo sie ihr
mißtönendes Geschrei eifrig
fortsetzte. Hätte ich nur eine
Schrotflinte gehabt. Damit
hätte ich sie verscheuchen und
wohl auch einen Braten er-
wischen können, denn heute
verspeist man ja diese Vögel,
deren zähes Fleisch früher
auch der Ärmste verschmäht
hat. Früher — vor dem
Kriege! Ach, da hatte der
unglückselige Krieg schon
wieder meine Gedanken er-
faßt. Und er ließ sie nicht
mehr los und führte sie aus
dem herrlichen grünen Wald
hinaus auf die blutigen
Schlachtfelder im Westen,
im Süden und Osten. Denn
dort fliegen sie ja auch, die
häßlichen Krähen, die im
Verein mit den Aasgeiern
danach trachten, das Fleisch
von den Gebeinen der toten
Helden zu nagen. Und un-
willkürlich fiel mir das dü-
stere Gedicht von Lenau ein.
o Eifersucht, o
„Denke dir, unser Prinz soll König von Krzwrzk werden!"
„Aber nein, diesmal ist's nicht euer, sondern unser Prinz!"
„Ereifere dich doch nicht, es sind ja noch mehr Stellen vakant."
das schildert, wie drei Reiter
auf den Tod verwundet aus
der Schlacht kommen:
Und lauernd auf den Todesritt
Ziehir durch die Lust drei Geier
mit;
Sie teilen kreischend unter sich:
Den speisest du, den du, den ich!
Da ward mir, als ob ich
das Gekrächze der Naben
droben in den Wipfeln plötz-
lich verstünde! Und ich ver-
ließ den Wald, um unter
Menschen zu kommen.
Jawohl, der Friede hat
auf der Erde gar wenig Platz.
Hans Flux.
Chemisches Attentat.
Chemie, du große Zauberin,
Du schaffst die Erde neu,
AuS Kleinstem selbst ziehst du
Gewinn
Und wandelst Gold aus Spreu.
Jetzt machst du Zucker aus Pa>
- Pier!
Zu Ende ist die Not!
Bang tu den Akten raschelt'S
schier,
Hell ln den Blättern rot.
Der Junker, der mit frohem
Sinn
Den Morgenkaffee schleckt,
Cr ahntnicht, daß tm Zucker drin
Ein „Wahrer Jacob" steckt.
DerFabrikant, der auf dasNccht
Der Proletare spuckt.
Er weiß es nicht, daß im Konfekt
Er einen „Vorwärts" schluckt.
So kommt das Gift, das rote
Gift,
Dem streng die Tür man wies.
Als Zucker jetzt hiibsch „hinten.
rum" —
Und schmeckt so süß, so süs,! Kl.
Die Zukunft.
Der Chemiker Guillaume hat ein Pulver
von außerordentlicher Sprengkraft erfunden.
Ein Anarchist verübte damit eine sinnlose Tat
des Terrorismus. Dann aber tritt der neue
Sprengstoff in den Dienst der Kultur: als
Triebkraft für Maschinen.
Ein Genosse des Erfinders meint: „Da wäre
also das Pulver, das die Menschen vernichten
soll, und nun einfach ihr Wohlbefinden er-
höhen wird. Alles nimmt ein gutes Ende."
„Sie haben recht," erwiderte der Erfinder,
„alles nimmt ein gutes Ende, denn alles geht,
allem zum Trotz, der Wahrheit und Gerechtig-
keit zu."
„Das ist ja die Revolution, die wahre, die
einzige Revolution," fuhr der Freund fort.
„Damit, und nicht mit den dummen Bomben,
revolutioniert man die Welt! Nicht durch das
Zerstören, durch das Schaffen haben Sie eine
Tat der Erlösung begangen. Wie oft habe ich
schon gesagt, nur die Wissenschaft ist revolu-
tionär; sie allein arbeitet, über die politischen
Ereignisse, das eitle Treiben der Sektierer
und Ehrgeizigen hinweg, an der künftigen
Menschheit, bereitet für sie die Wahrheit, die
Gerechtigkeit, den Frieden vor."
Der Motor schnaubte bei all seiner wunder-
baren Schnelligkeit kaum merkbar wie eine
große Fliege im Sonnenschein. Die ganze
glückliche Familie umgab ihn und lachte vor
Freude über diesen Sieg. „Ja," sagte Guil-
laume, „das lebt, das ist stark wie die Sonne,
wie die große Sonne, die dort über Paris
strahlt und Dinge wie Menschen reift. Paris
ist auch ein Motor, Paris ist der Heizkessel, in
dem die Menschheit kocht, unter dem wir Ge-
lehrten die ewige Flamme unterhalten."
* *
1-
Marie stieß einen leisen Ruf der Bewun-
derung aus, indem sie mit einer Gebärde auf
die ausgebreitete Stadt hinwies. Die Sonne
überflutete das unermeßliche Paris mit Gold-
staub. Allein diesmal war es nicht mehr die
Aussaat, wobei das Chaos der Dächer und
Gebäude einem braunen Acker glich, den ein
Riesenpflug urbargemacht und aufdendieSonne
ihre Strahlen auswarf — gleich Haufen von
Goldkörnern, die allerwärts niederfielen. Das-
selbe Sprossen des Lebens, dieselbe Blüte schien
die gesamte Stadt bedeckt zu haben, brachte
sie in Harmonie und machte daraus nur ein
einziges, grenzenloses, mit derselben Frucht-
barkeit bedecktes Feld. Ein Meer von Korn,
dessen goldener Wellenschlag sich von einem
Ende des Horizontes zum anderen wälzte.
Die Sonne badete Paris in gleichmäßiger
Pracht.
„Seht doch, seht!" wiederholte Marie, „kein
Winkel, der nicht seine Garbe trägt; selbst
die bescheidensten Dächer sind fruchtbar, und
überall derselbe Ahrenreichtum, als gebe es
nur noch eine einzige, versöhnte und brüder-
liche Erde. Ach, Jean, kleiner Jean, sieh nur,
steh, wie schön das ist!" Und mit einer be-
geisterten Gebärde hob Marie ihr Kind mit
beiden Armen hoch empor, es darzureichen
dem unermeßlichen Paris wie ein geweihtes
Geschenk. „Da, Jean, da, mein Kleiner! Du
bist's, der all das ernten und die Ernte in
die Scheuer schaffen wird!"
Und das von der göttlichen Sonne mit Licht
besäte flammende Paris ließ sie daherwallen,
diese künftige Ernte der Wahrheit und Ge-
rechtigkeit in all ihrer Glorie.
(Aus ZolaS „Paris".)
Glosse.
Uhland sang einst:
„Es reimt sich trefflich Wein auf Schwein
Und paßt sich köstlich Wurst auf Durst" —
Ja, wenn dieser romantische Dichter das Jahr
1918 erlebt hätte!