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Kriegsgefangen.
Dort im Feld, unterm Virnenbaum,
Abendlich spinnt sich des Sommers Traum.
Ringsum rauschet der Ährenwald,
Reiche Beute dem- Schnitter bald.
Sitzen zwei an dem dürren Rain,
Sitzen so einsam und ganz allein.
Tragen beide ein buntes Kleid,
Wie man's anzieht zu Kampf und Streit.
Und so fremd ihrer Stimme Ton —
Kriegsgefangne, die hier zur Fron!
Fern, wo die Morawa rauscht.
Lat der eine als Kind gelauscht.
Mo die Drina in Wogen geht.
Arm die Lütte des andern steht.
Spricht der eine beim Abendschein:
„Wie mag's jetzt in der Leimat sein?
„So viel Jahre schon bin ich fort,
Weib und Kinder, die ließ ich dort!" —
Spricht der andre: „Ich hatt' ein Lieb —
Alles Frische und Iugendtrieb!
„Jetzt ist sie wohl schon welk vor Gram,
Da mich der Krieg so lang ihr nahm!" —
„Wie mag's jetzt meinen Kindern gehn?
And wie mögen die Felder stehn?" —
„Ob sie mir wohl die Treue hält?
Mancher hat ihr einst nachgestellt." —
„Warum sind wir den Lieben fern?
Rur um den Streit unsrer großen Lerrn!" —
„Warum mußt' ich ziehen das Schwert?
Nimmer Hab' ich danach begehrt!" —
Also herüber, hinüber ging
Rede, die sich im Winde sing.
And der Wind trug sie übers Land,
Wo in Lütten die Sehnsucht stand.
Flüstert tränend ein junges Weib:
„Larren verzehret mir Seel' und Leib!"
Flüstert schluchzend die junge Braut: And von hüben und drüben stieg:
„Ob mein Aug' ihn wohl wieder schaut?" „Fluch und Ende dem Mörder Krieg!" Ernst Klaar.
-o---
Drei Brüder.
Die alten Leute versahen eine Bierwirtschaft.
Da saßen ihre drei Buben oft mit ihren Ka-
meraden zusammen und führten eifrige Kriegs-
debatten.
Der älteste von den Brüdern wurde ein-
gezogen und kam an die Front. Vierzehn Tage
vorher war seine Hochzeit. Ganz im stillen, so
wollte es der alte Gastwirt. Die Mutter war
stolz auf ihren Größten, und als die Nachricht
von seinem Tod kam, wurde sie schlohweiß
auf dem Kopf und bekam trübe Augen. Der
Kummer grub ein paar tiefe Rinnen in
ihr Gesicht. Den Alten drückte es auch
etwas zu Boden und ließ seine sonst
feste Hand beim Kartenspiel zittern,
aber er reckte sich hoch und gab sich
etwas stiller.
Dann kam der Abschied des zweiten
Bruders. Als er ins Feld ging, gab es
schwere Stunden, und ein paar harte
Tage lasteten auf den alten Leuten.
Gute Nachrichten aus dem Feld gaben
der Mutter etwas innere Ruhe. Das
faltige Gesicht konnte sich beim Lesen
der Briefe glätten und ein wenig Freude
machte die sonst trüben Augen heller.
Ein kleines, stilles Fest war's für das
getrübte Gemüt. EinStrählchen Sonne.
Dann kam ein Brief aus dem Laza-
rett, er sei verwundet. Ein Viertel-
jährchen später klopfte einer in aller
Herrgottsfrühe die Wirtsleute mit dem
Krückstock aus den Federn. Das wur-
den nun doch recht schöne Wochen in
der Heimat trotz allem Kriegstrübsal.
Die Mutter lebte neu auf. Aber es kam
auch wieder der Abschied und der Ab-
gang des Genesenen zur Kompagnie.
Nun kamen gute Nachrichten von ihm.
„Sorgt Euch nur nicht um mich. Ich
komme durch!" schrieb der Zuversicht-
liche. Und diese Zuversicht ging auf die
Alten über, wurde Glaube und gab
ihnen Seelenruhe. Mitten hinein kam
das Furchtbare. Die Nachricht von einer
schweren Verwundung und ein paar
Tage später die Todesmeldung. Die
Mutter sank in sich zusammen, wurde
war auch der dritte und letzte der Brüder
beim großen Haufen. Er war als letzter Sohn
kein Frontsoldat, wurde aber in der Garnison
schwer krank und lag nach einem Mutsturz
drüben auf der Militärseite im Gottesacker... -
Von der Zeit an hörte man von der Wirtin
immer nur die Worte: „Alle drei..." Dann
ließ sie die Hände sinken und schaute starr
ins Leere.
Den Mann hatte die Nachricht anders ge-
nommen. Seine Faust krachte auf den Tisch.
Mit vorgestrecktem Kopf horchte er. Wenn
durchs Fenster Klavierspiel und Gesang er-
tönte, war er mit einem Sprung dort
und ballte die Faust: „Die können
noch singen!"
Nun Hub feierlicher Orgelklang an
in der Kirche drüben auf dem großen
Platz. Die Wirtin griff mit zitternden
Händen nach dem heiligen Buch, aber
die Füße versagten den Dienst und die
Frau sank in den Stuhl zurück.
Glockenklänge schwangen sich im
herbstlichen Sonntagmorgen. Von den
Bäumen fiel das Laub. Der Wind
huschte darüber hin. Gäste kamen in
die Wirtsstube, der Wirt sah sie kaum
genauer an. Die einen fragten mit
stummen Blicken, die anderen mit lau-
ten Worten. •
„Alle drei .. ." sagte der Wirt mit
heiserer Stimme. In seinen Augen
flammte es fiebernd. Draußen raschelte
der Herbstwind im Laub. Blätter fielen
langsam, immerfort.. . immerzu . . .
Windwellen hoben sie und trieben ihr
loses Spiel damit. L. P.
Die dreimal verkaufte Butter.
Korbinian Reinwieser heißt der Bür-
germeister von Lindlheim. Er hat acht
Kühe im Stall und sechzig Tagwerk
guten Feldbau. Sein Auftreten ent-
spricht seinem Besitzstand.
Lindlheim war bis vor zwei Jahren
ein elendes „Höft", das nur alle Feier-
tage von Wandervögeln und anderen
Naturschwärmern entdeckt wurde. Sonst
Tennyson. störte nichts die Ruhe der Lindlheimer
bettlägerig. Der alte Wirt biß die Zähne auf-
einander und hielt sich mühsam hoch.
Nach leidenschaftlichen Entladungen wurde
der Mann still. Die Frau kam mit schlürfen-
den Schritten daher und ihr Klagen wollte
nicht enden. Diesmal krallte der Gram feuchte
Furchen um die tiefliegenden Augen der schwer
Getroffenen. Es gab kein Lachen, keine Helle
Miene mehr in den vier Wänden.
Die Wirtschaft ging den alten Gang. Sprachen
aber die Gäste gar zuviel vom Krieg, so fuhr
der Wirt wohl mit der Faust über die Augen
und ging einige Schritte abseits, denn nun
. . . Dennoch glaub' ich, daß ein Endzweck
Wachsend durch die Zeiten läuft.
And daß mit der Sonnen Fortschritt
Auch der Geist der Menschen reift;
Bis die Fahnen still sich senken.
Bis die Trommel ausgegellt
In dem Parlament der Menschheit,
Auf dem Bundestag der Welt.
Kriegsgefangen.
Dort im Feld, unterm Virnenbaum,
Abendlich spinnt sich des Sommers Traum.
Ringsum rauschet der Ährenwald,
Reiche Beute dem- Schnitter bald.
Sitzen zwei an dem dürren Rain,
Sitzen so einsam und ganz allein.
Tragen beide ein buntes Kleid,
Wie man's anzieht zu Kampf und Streit.
Und so fremd ihrer Stimme Ton —
Kriegsgefangne, die hier zur Fron!
Fern, wo die Morawa rauscht.
Lat der eine als Kind gelauscht.
Mo die Drina in Wogen geht.
Arm die Lütte des andern steht.
Spricht der eine beim Abendschein:
„Wie mag's jetzt in der Leimat sein?
„So viel Jahre schon bin ich fort,
Weib und Kinder, die ließ ich dort!" —
Spricht der andre: „Ich hatt' ein Lieb —
Alles Frische und Iugendtrieb!
„Jetzt ist sie wohl schon welk vor Gram,
Da mich der Krieg so lang ihr nahm!" —
„Wie mag's jetzt meinen Kindern gehn?
And wie mögen die Felder stehn?" —
„Ob sie mir wohl die Treue hält?
Mancher hat ihr einst nachgestellt." —
„Warum sind wir den Lieben fern?
Rur um den Streit unsrer großen Lerrn!" —
„Warum mußt' ich ziehen das Schwert?
Nimmer Hab' ich danach begehrt!" —
Also herüber, hinüber ging
Rede, die sich im Winde sing.
And der Wind trug sie übers Land,
Wo in Lütten die Sehnsucht stand.
Flüstert tränend ein junges Weib:
„Larren verzehret mir Seel' und Leib!"
Flüstert schluchzend die junge Braut: And von hüben und drüben stieg:
„Ob mein Aug' ihn wohl wieder schaut?" „Fluch und Ende dem Mörder Krieg!" Ernst Klaar.
-o---
Drei Brüder.
Die alten Leute versahen eine Bierwirtschaft.
Da saßen ihre drei Buben oft mit ihren Ka-
meraden zusammen und führten eifrige Kriegs-
debatten.
Der älteste von den Brüdern wurde ein-
gezogen und kam an die Front. Vierzehn Tage
vorher war seine Hochzeit. Ganz im stillen, so
wollte es der alte Gastwirt. Die Mutter war
stolz auf ihren Größten, und als die Nachricht
von seinem Tod kam, wurde sie schlohweiß
auf dem Kopf und bekam trübe Augen. Der
Kummer grub ein paar tiefe Rinnen in
ihr Gesicht. Den Alten drückte es auch
etwas zu Boden und ließ seine sonst
feste Hand beim Kartenspiel zittern,
aber er reckte sich hoch und gab sich
etwas stiller.
Dann kam der Abschied des zweiten
Bruders. Als er ins Feld ging, gab es
schwere Stunden, und ein paar harte
Tage lasteten auf den alten Leuten.
Gute Nachrichten aus dem Feld gaben
der Mutter etwas innere Ruhe. Das
faltige Gesicht konnte sich beim Lesen
der Briefe glätten und ein wenig Freude
machte die sonst trüben Augen heller.
Ein kleines, stilles Fest war's für das
getrübte Gemüt. EinStrählchen Sonne.
Dann kam ein Brief aus dem Laza-
rett, er sei verwundet. Ein Viertel-
jährchen später klopfte einer in aller
Herrgottsfrühe die Wirtsleute mit dem
Krückstock aus den Federn. Das wur-
den nun doch recht schöne Wochen in
der Heimat trotz allem Kriegstrübsal.
Die Mutter lebte neu auf. Aber es kam
auch wieder der Abschied und der Ab-
gang des Genesenen zur Kompagnie.
Nun kamen gute Nachrichten von ihm.
„Sorgt Euch nur nicht um mich. Ich
komme durch!" schrieb der Zuversicht-
liche. Und diese Zuversicht ging auf die
Alten über, wurde Glaube und gab
ihnen Seelenruhe. Mitten hinein kam
das Furchtbare. Die Nachricht von einer
schweren Verwundung und ein paar
Tage später die Todesmeldung. Die
Mutter sank in sich zusammen, wurde
war auch der dritte und letzte der Brüder
beim großen Haufen. Er war als letzter Sohn
kein Frontsoldat, wurde aber in der Garnison
schwer krank und lag nach einem Mutsturz
drüben auf der Militärseite im Gottesacker... -
Von der Zeit an hörte man von der Wirtin
immer nur die Worte: „Alle drei..." Dann
ließ sie die Hände sinken und schaute starr
ins Leere.
Den Mann hatte die Nachricht anders ge-
nommen. Seine Faust krachte auf den Tisch.
Mit vorgestrecktem Kopf horchte er. Wenn
durchs Fenster Klavierspiel und Gesang er-
tönte, war er mit einem Sprung dort
und ballte die Faust: „Die können
noch singen!"
Nun Hub feierlicher Orgelklang an
in der Kirche drüben auf dem großen
Platz. Die Wirtin griff mit zitternden
Händen nach dem heiligen Buch, aber
die Füße versagten den Dienst und die
Frau sank in den Stuhl zurück.
Glockenklänge schwangen sich im
herbstlichen Sonntagmorgen. Von den
Bäumen fiel das Laub. Der Wind
huschte darüber hin. Gäste kamen in
die Wirtsstube, der Wirt sah sie kaum
genauer an. Die einen fragten mit
stummen Blicken, die anderen mit lau-
ten Worten. •
„Alle drei .. ." sagte der Wirt mit
heiserer Stimme. In seinen Augen
flammte es fiebernd. Draußen raschelte
der Herbstwind im Laub. Blätter fielen
langsam, immerfort.. . immerzu . . .
Windwellen hoben sie und trieben ihr
loses Spiel damit. L. P.
Die dreimal verkaufte Butter.
Korbinian Reinwieser heißt der Bür-
germeister von Lindlheim. Er hat acht
Kühe im Stall und sechzig Tagwerk
guten Feldbau. Sein Auftreten ent-
spricht seinem Besitzstand.
Lindlheim war bis vor zwei Jahren
ein elendes „Höft", das nur alle Feier-
tage von Wandervögeln und anderen
Naturschwärmern entdeckt wurde. Sonst
Tennyson. störte nichts die Ruhe der Lindlheimer
bettlägerig. Der alte Wirt biß die Zähne auf-
einander und hielt sich mühsam hoch.
Nach leidenschaftlichen Entladungen wurde
der Mann still. Die Frau kam mit schlürfen-
den Schritten daher und ihr Klagen wollte
nicht enden. Diesmal krallte der Gram feuchte
Furchen um die tiefliegenden Augen der schwer
Getroffenen. Es gab kein Lachen, keine Helle
Miene mehr in den vier Wänden.
Die Wirtschaft ging den alten Gang. Sprachen
aber die Gäste gar zuviel vom Krieg, so fuhr
der Wirt wohl mit der Faust über die Augen
und ging einige Schritte abseits, denn nun
. . . Dennoch glaub' ich, daß ein Endzweck
Wachsend durch die Zeiten läuft.
And daß mit der Sonnen Fortschritt
Auch der Geist der Menschen reift;
Bis die Fahnen still sich senken.
Bis die Trommel ausgegellt
In dem Parlament der Menschheit,
Auf dem Bundestag der Welt.