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9572

vorwärts durch Kauföl)

Aus großer Einsamkeit, vom Krieg gekettet,
geht meiner Seele Sehnsuchtszug,
wo sich die Stadt ins Blachfeld bettet.

So oft man mich zu Boden schlug,
so oft Hab' ich mich hochgehoben
und wagte neuen Sturz und Flug.

Ich bin dem Arbeitsvolk verwoben,
das, fremdem Werk tief untertan,
die rote Lahne hochgehoben.

vor unserm willen bricht der Wahn,
der sich vor unserm Ziel verdichtet,
wir zagen nicht, wir stürmen an.

V ihr! wie hat man euch gerichtet,
verlacht, verlästert und verdammt;
doch, keine Macht hat euch vernichtet.

uuö Kuöm und Lüge!

Denn wer wie wir vom Feuer kommt,
das Näder treibt und Schiffe schmiedet,
frißt sich durch alle Nacht und flammt.

Demokratie hält uns umfriedet:

Und wenn man uns dreifach zerteilt
und in der tiefsten Hölle siedet,

wir sind unsterblich, und es heilt
an unserm Leib die schwerste Wunde,
weil ferne Zukunft in uns weilt

wir sind das Land, auf dessen Grunde
das Neich der Menschheit aufersteht.
Mit ihr ist Schöpfergeist im Bunde.

D ihr! wie euer Atem weht,
wie gipfelkühne Adlerflüge!
wie Blitz und Donner und Gebet.

Nun ordnet die zerschoss'nen Züge,
die Schuld ist ausgetilgt. Sie war.

Vorwärts durch Nausch und Nuhm und Lüge!

Der weg! der weg! das Ziel ist klar. Musketier Max Barthel.

Die Neunte

auf der Retchskegelbahn.

I.

»Pak? auf, der Havenftein macht wieder einen
Kapitalwurf!"

II.

Erkennungsmarken.

Von Karl Bröger.

Drei Stunden waren es von der Stellung
nach Drocourt. Wie oft sind wir den Weg
wohl gegangen? Immer trugen wir ein leich-
teres Herz nach Drocourt zurück, als wir beim
Aufbruch in die Stellung mitgenommen hatten.
Das ist schon so. Deshalb dürfen uns aber
die Leute daheim ruhig weiter Helden nennen.

In Drocourt schliefen wir ineist, wenn es
nicht gerade Dienst gab. Vorn bringt man doch
kein Auge zu. Die dumme Schießerei geht die
ganzen Nächte, und wird schon nicht geschossen,
dann wird geschanzt. Zwischen Schießen und
Schanzen ist aber schlecht schlafen.

Gestern.nacht sind ivir wieder einmal ab-
gelöst worden. Den Weg nach Drocourt fin-
den wir jetzt schon im Finstern. Er gehört
zu unserem Leben wie daheim das Stadtviertel,
in dem wir geboren sind.

Ein heller, freundlicher Name ist es uns:
Drocourt. Wir übersetzen ihn mit „Heimat",
denn Heimat ist uns das kleine Nest im Ar-
tois, eine Stätte, wo wir Menschen sein dürfen
und menschlich fühlen. Keiner unter uns, dem
nicht die Augen leuchten, wenn der Name klingt.

Ich schlendere gemächlich die einzige Straße
entlang. Vor der kleinen Kirche staut sie sich
zum Platz. Sonne liegt auf diesem Platz. Ihr
mildes Licht rieselt die grauen Wände herab
und sammelt sich vor der Kirche zu einem
Teich von Glanz und Schein.

Auf dem Platz tummelt sich junges Volk.
Vier Buben in blauer Bluse werfen etwas
in die Luft. Ein dünner, kraftloser Ton ent-
ringt sich matt deui aufs Pflaster fallenden
Ding. Sie kreischen laut zu ihrem Spiel,
schneiden lebhafte Bewegungen in die Lust
und spreizen sich die Finger unter die Nase.

Ich muß an meine zwei Flachsköpfe daheim
denken. Gleiche Sonne -fällt jetzt auf ihren
Scheitel. Sie werden wohl auch spielen, sich
mit anderen Buben balgen und dazwischen
an den Vater denken, der drüben ist, wo die
Sonne untergeht.

„Drente-trois ..." — „Soixante-neuf . . .“
— „Quatre-vingt-dixhuit...“ — „Deux cent
sept. . .“ Die Zahlen schwirren um mich.
Einer sammelt nach jedem Wurf die Blech-
marke» ein, schüttelt sie in geballter Hand und
schleudert sie über den Kopf fort. Rennen,
Haschen, Streiten. . . . Jeder liest laut seine
Zahl ab, und jener jubelt besonders hell, der
die höchste Ziffer gehascht hat.

Beim nächsten Wurf rollt eine Marke vor
meine Füße. Rasch bücke ich mich, sie aufzu-
heben. „Ins. Mangold. R. I. R. 84, 6. Komp.
Nr. 207." Eine Erkennungsmarke. . . . Wo
kommt sie her? Hat Kamerad Mangold sie
verloren? Auf welchem Umweg landete sie
in der Hand eines Buben von Drocourt? ...

Die Buben haben die Fäuste fest in die
Taschen gestopft und gucken halb scheu, halb
trotzig zu mir her. Sie fürchten, der feldgraue
Störenfried möchte ihnen auch das andere
Spielzeug nehmen.

Ich drehe die Blechmarke unschlüssig von
einer Seite auf die andere. Mitnehmen? . . .
Wozu? Der Himmel weiß, wo ihr Besitzer
steckt. . . . Ich schüttle sie in der Hand und
werfe sie in hohem Bogen den Buben zu. Vier
Köpfe fahren zusammen, vier Rücken wenden
sich blitzgeschwind, und hohl klappern die Holz-
pantoffeln über das Pflaster.

Ich gehe über den Platz. Hinter der Kirche
höre ich schon wieder die Stimmen: „Soixante-
neuf... Trente-trois ... Deux cent sept..

Das Leben von Männern ist Spiel in den
Händen von Buben!
 
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