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9586

Fegt der Lerbstwind durch die Lande,
Räumt er auf in Flur und Feld
And zum Reinemachen rüstet
Sich die sommermüde Welt.

Welkes Laub und dürre Gräser
Rascheln rings in Busch und Tann —
Aber auch in andern Sphären
Lebt der große Kehraus an.

•£) Herbst 1918. (2°

Was sich gestern prunkend spreizte.
Modert kraftlos heut im Staub,

And es fliegt in Schutt und Kehricht
Mancherlei, was morsch und taub;
Schweigen herrscht im kahlen Walde,
Niedersank, was hohl und faul —

In die Lose sank manch Lerze,
Stumm ward manches Leldenmaul.

Anbarmherzig ist der Lerbstwind,
Wenn er durch die Lande fegt.

And er knickt auch edle Reiser,

Die wir ernst und treu gehegt;
Mancher Ast ward jäh zersplittert.
Der einst voll von Blüten hing.
Manche Loffnung ward begraben.
Mancher Frühlingstraum verging.

Fegt der Lerbstwind durch die Lande
Laßt ihn wüten, laßt ihn dröhn!

Kopf hoch! An entlaubten Zweigen
Längen neue Knospen schon!

Reingesegt ist jetzt die Erde,

Für der Zukunft Saat bereit:

Blüten kommen, Früchte reifen —

Sei gegrüßt, du neue Zeit! Arminws.

Geist der Liebe.

Zu dieser hohen Stunde bricht
der tiefste Grund, das stillste Grab,
und mit verklärtem Munde spricht,
was sich der Zeit zum Opfer gab:

»Wir fahren auf, wir fahren auf!

Ans hält kein Tod und keine Nacht.
Wir stürmen in beschwingtem Lauf
die Sonne, die euch köstlich lacht.

»Erlöser wir, doch erst erlöst,

Befreier, selber nur befreit,

wenn Haß nicht mehr die Herzen stößt

und nach der Brüder Blute schreit.

»Erlöste in erlöster Welt

und dem verklärten Lichte nah,

wenn unsre Stimme Kraft behält:

Der Geist ist für die Liebe da!«

Karl Bröger.

Der erwachende Tag.

Skizze von P. E.

Langsam, gleichsam widerwillig ver-
grolltederSchlachtendonner.DerAbend
sank nieder. Noch einmal huschte ein
roter Schein durch den zerschossenen,
verstümmelten Argonnenwald. Dann
war es dunkel.

Franz Hoffman» reckte die Glieder,
die von dem ewigen Hocken im naß-
kalten Schützengraben steif und wie
erstarrt waren. Der Gegner hatte den
ganzen Tag über angegriffen, mit wü-
tendem, erbittertem Ingrimm. Kaum
eine Atempause hatte er den Landwehr-
leuten gegönnt, die hier den eisernen
Wall bildeten, der die Heimat schützte.

Vier Jahre war er nun im Krieg.
Aber noch nie war ihm das Sinnlose
des Daseins so aufgegangen wie heute,
noch nie war ihm dies furchtbare, blu-
tige Spiel so rätselhaft und schrecklich
gewesen. Er wußte wohl, woran es
lag: der Gedanke des Friedens war
wie eine Aussaat im Frühling über
die Menschheit ausgestreut, und er
würde keimen und wurzeln und Frucht
tragen, ob der Boden auch steinig war.
Die neue Menschheit erwachte und be-
reitete ihr Reich vor.

Franz Hoffmann kroch in den Unter-
stand und zog den Mantel über sich.

Er war todmüde. . . .

Plötzlich rüttelte ihn jemand am Arm.
„Komm, Franz, wir wollen doch noch in die
Stadt."

Ec stand auf. Er hatte auf der Bank vor
einem kleinen, schmucken Häuschen gesessen.
Durch das halboffene Fenster zu ebener Erde
sah man in eine saubere Stube voll hübschen
Hausrats. An den Wänden hingen gute Ab-
bildungen von Kunstwerken. Alles atmete
Behaglichkeit und Gemütlichkeit.

„Wem gehört die Wohnung?" fragte er.

Sein Schwager lachte. „Du machst wohl
Scherze? Du wirst doch wohl dein eigenes
Heim kennen?" Und nun sah Franz Hoffmann
auch seine Frau in den Stall gehen, der hinter
dem Haus stand, und aus dem es vielver-
sprechend blökte und quiekte. Und seine Kin-
der, die zwischen Hühnern im Gärtchen sich
tummelten, sahen rosig und rund aus, gar

Von Ägyptens Pyramiden
Bis zu Delphis Priesterin,

Bis zum Ganges Tempelfrieden
Herrsche einer Lehre Sinn:

Trost zu spenden, Schmerz zu lindern,

Licht zu wecken weit und breit,

Freiheit allen Erdenlindern,

Freiheit, Liebe, Menschlichkeit. Lingg

nicht so blaß und schmalwangig, wie er sie
vom letzten Urlaub her in Erinnerung hatte.
Sie gingen durch Straßen mit ähnlichen
Häusern und Gärtchen.

Ein großer, stattlicher Bau zog seine Blicke
auf sich. „Was ist das da? Ein Schloß?"

„Haha, nein, unsere neue Schule. Ja, die
Zeiten sind anders geworden. Die Tüchtigkeit
kann sich jetzt wirklich erproben."

Allmählich begriff Franz Hoffmann alles:
dies war eine Gartenstadt, an der er einen
Anteil hatte, und es war nicht die einzige ihrer
Art, kein halb verschämtes Almosen. Rings im
ganzen Land dehnten sich solche Gartenstädte
aus. Die Lungen der Kinder atmeten reine Luft.
Sie wuchsen wie Blumen des Feldes heran,
nicht wie die verstaubten, verkümmerten Blu-
men in den himmelhohen Höfen der Hinter-
häuser, in die nicht Licht noch Luft kam.

„Ja, aber kostet das dem Staat nicht
unmenschlich viel Geld?"

„Seit der Abrüstung verwendet man
das Geld eben für solche Dinge!"

„Seit der Abrüstung — ja so!"
antwortete er. Aber er verstand nicht
ganz.

Sein Schwager fuhr von selbst fort:
„Ja, Europa und die Welt sind zur
Vernunft gekommen. Man hat sich die
fürchterliche Lehre des großen Kriegs
zu Herzen genommen und eingesehen,
daß die Welt Raum für alle hat und
daß man vor allein leben und leben
lassen soll. Seit dem Tage, da die
Völker wirklich — und nicht nur dem
Schein nach — das Steuer in die
eigene Hand genommen haben, hat
diese Umwandlung begonnen."

„Ja ja," sagte Franz Hoffmann, und
seine Augen begannen zu leuchten.
Also halte er wohl vorhin nur ge-
träumt, als er sich einbildete, das
Glied einer furchtbaren, riesigen Kriegs-
maschine zu sein, die die ganze Welt
bedeckte und zerstampfte? . . .

„Das ist ja ganz ausgezeichnet!" rief
Franz Hoffmann und rieb sich die
Hände. „Aber gibt es denn gar keine
Kriegshetzer mehr?" fragte er nach
einer Weile ungläubig, „zum Beispiel
in der Presse?"

„Ja, leider. Da siehst du schon einen."
Ein schwer bepackter Herr ging keu-
chend, schwitzend und vor sich hinbrum-
 
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