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■£) Friede! ca?
Friede! Die Menschen lechzen nach dir!
Laßt den Lall der Kanonen schweigen.
Laßt beenden den Todesreigen
Im verwüsteten Weltrevier!
Dörfer und Städte liegen zerstört.
Aufgewühlt und zerrissen die Felder,
Niedergeschmettcrt die grünen Wälder,
And die Straßen gesprengt, verheert!
Wo die Saaten gegrünt, gereift,
Liegen Millionen begraben.
Leckrer Fraß den Würmern und Raben,
Daß es schauernd ans Lerze greift!
Wo sich Räder sausend gedreht,
Kranen ächzten mit leisem Gewimmer,
Liegen die Mauern in Schult und Trümmer,
And verödet die Arbeit steht.
Durch die Lande geht Not und Qual,
Ansre Lerzen beben in Trauer,
Überall der Vernichtung Schauer
And die Erde ein Jammertal!
Friede, baue sie'wieder auf.
Die da seufzt in Tränen und Schmerzen,
Tröste die wunden, zuckenden Lerzen,
Lemme des wilden Verderbens Lauf!
Gib uns wieder Ruhe und Glück, Führe der Loffnung leuchtende Farben,
Laß die alten Wunden vernarben, Führe die Menschlichkeit uns zurück! Ernst Kiaar.
—--—-o-
Der Blick unter die Dächer.
Märchen von heule. Von Paul Enderling.
Ihr alle kennt die Geschichte von jenem
Studenten, der die Menschen kennenlernen
wollte und dem ein freundlicher Teufel die
Dächer der Stadt aufhob, so daß er einen
Blick darunter auf die Bewohner tnn konnte.
Aber ihr wißt nicht, daß dieser Student in-
zwischen ein Geheimrat geworden ist,
der als „Patriot" im alten Sinn sich in
diesen Kriegsjahren alldeutsch betätigte.
Dieser ergraute Herr Geheimrat saß
nun eines Tags in seinem Lehnstuhl,
in dunklen Sorgen über die Wandlung
der Dinge, die sich innen und außen
vollzog — ohne Beachtung der War-
nungsruse, die sein Leibblatt in jeder
Ausgabe auf jeder Seite ausstieß. War
das alles nötig?
Da gedachte er seines Freundes aus
Jugendtagen, der ihm schon einmal zur
Erkenntnis der Menschen geholfen, und
er rief den Teufel herbei.
„Was willst du?" fragte dieser.
„Ich habe dich lange nicht bemüht,"
sagte der Geheimrat. „Lehre mich heute
noch einmal die Gesinnung meines
Volkes kennen. Ist es wirklich des
Krieges müde? Will es wirklich um
jeden annehmbaren Preis den Frieden?
Mein Blatt sagt, es sei nur eine kleine,
maulflinke Clique, die danach schreit.
Aber ich möchte Gewißheit haben."
„Die sollst du haben," sagte der
Teufel augenzwinkernd. „Aber hüte
dich vor den Enttäuschungen, die dir
blühen werden."
„Ich glaube nicht an diese Enttäu-
schungen. Laß mich zum Beispiel in die
Wohnung vom dritten Stock sehen!
Der Mann ist im Felde, hat Orden
und Ehrenzeichen bekommen und ist
öffentlich als Held genannt worden.
Da bin ich meiner Sache sicher."
„So komm!" Und der Teufel trug
ihn — wie damals in Jugendtagen
empor und ließ ihn unter das gelüftete
Dach in die Wohnung blicken.
Da saß eine alte, eisgraue Frau und
erzählte zwei kleinen, blassen Kindern
Geschichten. Es waren Märchen, wie
es schien. Sie singen alle an: „Es war
einmal —"
Eie hatte gerade «ine Geschichte zu
Ende erzählt, da fragte das kleine
Mädchen: „Hat es denn jemals eine Zeit ge-
geben, wo ein Vater immer bei seinen Kin-
dern war und wo Mutter nicht immer um
ihn weinte und nicht in Angst war, wenn der
Briefträger Nachrichten brachte?"
„Gewiß, Lottchen!" sagte die Großmutter.
Die Kleine schüttelte altklug den Kopf: „Aber
eine Zeit wie in deiner Geschichte, wo alle
Kinder jeden Tag sich satt essen konnten, gab
Binde, du Arbeit, Land zu Land!
Füge du, Arbeit, Land in Land,
Lerzen zu Lerzen!
Siehe, zerspalten in tausend Riffe
taumelt die Menschheit ins Angewisse.
Kein gemeinsamer Glaube eint,
keine Menschheitssonne scheint
tröstend an, Limmel.
Menschenseele, so ganz entlaubt,
Menschenseele, die nicht mehr glaubt,
glaube ans Schaffen!
Nicht zum Erraffen und zum Erjagen,
nicht um blutende Wunden zu schlagen,
um zu erbauen die bessere Welt,
dazu, als Brüder den Brüdern gesellt,
dienet die Arbeit! Ernst von Wildenbruch.
es gewiß nie?" Der Geheimrat wartete die
Antwort nicht ab. Ter alte Herr spürte etwas
unangenehm Nasses im Auge und bemühte
sich, es nicht sehen zu lassen. . . .
„Willst du noch mehr sehen?" fragte der
Teufel, listig blinzelnd.
„Gewiß," sagte der Geheimrat. „Dies Er-
lebnis beweist noch nichts. Die Entbehrungen
in der Familie trüben den Sinn für das Große,
von dem du in jeder Nummer meines
Blattes lesen kannst. Trage mich jetzt
zu den Helden selbst! Trage mich an
die Front!"
Willfährig trug ihn der Teufel auf
seinem Rücken über Städte, Flüsse,
Wälder und Wiesen hinweg, bis er ihn
mitten zwischen surrenden und knattern-
den Luftfahrzeugen zur Erde niederließ.
Der Teufel hob die Decke eines Unter-
stands empor und ließ seinen Schützling
hineinsehen. Als sich der Geheimrat
an die schlechte Beleuchtung da unten
gewöhnt hatte, erkannte er drei Män-
ner, die auf ihren Lagerstätten lagen
und rauchend miteinander sprachen.
„Gestern schrieb mir meine Frau,"
sagte einer, „mein Bub glaube gar
nicht, daß er einen Vater hat. Sie
sagt, sie hätte gelacht. Aber ich habe
weinen müssen. In diesen vier Jahren
habe ich ihn nur immer auf ein paar
Tage gesehen. Was soll nur aus dem
Jungen werden, wenn das ewig so
weiter geht!"
„Und was soll aus mir werden?"
fragte der andere, ein jüngerer Mann.
„Ich habe in diesen Jahren alle meine
Handfertigkeit eingebüßt. Was nützt
es mir, daß ich Gewehr, Bajonett und
Handgranate gut handhaben kann?
Wenn ich morgen in meine alte Stel-
lung eintreten könnte, das heißt wenn
man überhaupt noch Arbeit für mich
hat, kann ich sie doch nicht mehr aus-
füllen. Ich müßte wieder von vorne
anfangen. Ach, ist das ein Elend!"
Der dritte schwieg.
„Was ist ihm?" fragte der Jüngere
leise.
„Laß ihn!" gab der erste zurück.
„Sein Sohn ist gestern von einer
Granate zerrissen worden. Er war
neunzehn Jahre alt-"
In diesem Augenblick gab es einen
dumpfen Schlag. Dann war's, als
risse die Luft entzwei. Holz, Beton,
■£) Friede! ca?
Friede! Die Menschen lechzen nach dir!
Laßt den Lall der Kanonen schweigen.
Laßt beenden den Todesreigen
Im verwüsteten Weltrevier!
Dörfer und Städte liegen zerstört.
Aufgewühlt und zerrissen die Felder,
Niedergeschmettcrt die grünen Wälder,
And die Straßen gesprengt, verheert!
Wo die Saaten gegrünt, gereift,
Liegen Millionen begraben.
Leckrer Fraß den Würmern und Raben,
Daß es schauernd ans Lerze greift!
Wo sich Räder sausend gedreht,
Kranen ächzten mit leisem Gewimmer,
Liegen die Mauern in Schult und Trümmer,
And verödet die Arbeit steht.
Durch die Lande geht Not und Qual,
Ansre Lerzen beben in Trauer,
Überall der Vernichtung Schauer
And die Erde ein Jammertal!
Friede, baue sie'wieder auf.
Die da seufzt in Tränen und Schmerzen,
Tröste die wunden, zuckenden Lerzen,
Lemme des wilden Verderbens Lauf!
Gib uns wieder Ruhe und Glück, Führe der Loffnung leuchtende Farben,
Laß die alten Wunden vernarben, Führe die Menschlichkeit uns zurück! Ernst Kiaar.
—--—-o-
Der Blick unter die Dächer.
Märchen von heule. Von Paul Enderling.
Ihr alle kennt die Geschichte von jenem
Studenten, der die Menschen kennenlernen
wollte und dem ein freundlicher Teufel die
Dächer der Stadt aufhob, so daß er einen
Blick darunter auf die Bewohner tnn konnte.
Aber ihr wißt nicht, daß dieser Student in-
zwischen ein Geheimrat geworden ist,
der als „Patriot" im alten Sinn sich in
diesen Kriegsjahren alldeutsch betätigte.
Dieser ergraute Herr Geheimrat saß
nun eines Tags in seinem Lehnstuhl,
in dunklen Sorgen über die Wandlung
der Dinge, die sich innen und außen
vollzog — ohne Beachtung der War-
nungsruse, die sein Leibblatt in jeder
Ausgabe auf jeder Seite ausstieß. War
das alles nötig?
Da gedachte er seines Freundes aus
Jugendtagen, der ihm schon einmal zur
Erkenntnis der Menschen geholfen, und
er rief den Teufel herbei.
„Was willst du?" fragte dieser.
„Ich habe dich lange nicht bemüht,"
sagte der Geheimrat. „Lehre mich heute
noch einmal die Gesinnung meines
Volkes kennen. Ist es wirklich des
Krieges müde? Will es wirklich um
jeden annehmbaren Preis den Frieden?
Mein Blatt sagt, es sei nur eine kleine,
maulflinke Clique, die danach schreit.
Aber ich möchte Gewißheit haben."
„Die sollst du haben," sagte der
Teufel augenzwinkernd. „Aber hüte
dich vor den Enttäuschungen, die dir
blühen werden."
„Ich glaube nicht an diese Enttäu-
schungen. Laß mich zum Beispiel in die
Wohnung vom dritten Stock sehen!
Der Mann ist im Felde, hat Orden
und Ehrenzeichen bekommen und ist
öffentlich als Held genannt worden.
Da bin ich meiner Sache sicher."
„So komm!" Und der Teufel trug
ihn — wie damals in Jugendtagen
empor und ließ ihn unter das gelüftete
Dach in die Wohnung blicken.
Da saß eine alte, eisgraue Frau und
erzählte zwei kleinen, blassen Kindern
Geschichten. Es waren Märchen, wie
es schien. Sie singen alle an: „Es war
einmal —"
Eie hatte gerade «ine Geschichte zu
Ende erzählt, da fragte das kleine
Mädchen: „Hat es denn jemals eine Zeit ge-
geben, wo ein Vater immer bei seinen Kin-
dern war und wo Mutter nicht immer um
ihn weinte und nicht in Angst war, wenn der
Briefträger Nachrichten brachte?"
„Gewiß, Lottchen!" sagte die Großmutter.
Die Kleine schüttelte altklug den Kopf: „Aber
eine Zeit wie in deiner Geschichte, wo alle
Kinder jeden Tag sich satt essen konnten, gab
Binde, du Arbeit, Land zu Land!
Füge du, Arbeit, Land in Land,
Lerzen zu Lerzen!
Siehe, zerspalten in tausend Riffe
taumelt die Menschheit ins Angewisse.
Kein gemeinsamer Glaube eint,
keine Menschheitssonne scheint
tröstend an, Limmel.
Menschenseele, so ganz entlaubt,
Menschenseele, die nicht mehr glaubt,
glaube ans Schaffen!
Nicht zum Erraffen und zum Erjagen,
nicht um blutende Wunden zu schlagen,
um zu erbauen die bessere Welt,
dazu, als Brüder den Brüdern gesellt,
dienet die Arbeit! Ernst von Wildenbruch.
es gewiß nie?" Der Geheimrat wartete die
Antwort nicht ab. Ter alte Herr spürte etwas
unangenehm Nasses im Auge und bemühte
sich, es nicht sehen zu lassen. . . .
„Willst du noch mehr sehen?" fragte der
Teufel, listig blinzelnd.
„Gewiß," sagte der Geheimrat. „Dies Er-
lebnis beweist noch nichts. Die Entbehrungen
in der Familie trüben den Sinn für das Große,
von dem du in jeder Nummer meines
Blattes lesen kannst. Trage mich jetzt
zu den Helden selbst! Trage mich an
die Front!"
Willfährig trug ihn der Teufel auf
seinem Rücken über Städte, Flüsse,
Wälder und Wiesen hinweg, bis er ihn
mitten zwischen surrenden und knattern-
den Luftfahrzeugen zur Erde niederließ.
Der Teufel hob die Decke eines Unter-
stands empor und ließ seinen Schützling
hineinsehen. Als sich der Geheimrat
an die schlechte Beleuchtung da unten
gewöhnt hatte, erkannte er drei Män-
ner, die auf ihren Lagerstätten lagen
und rauchend miteinander sprachen.
„Gestern schrieb mir meine Frau,"
sagte einer, „mein Bub glaube gar
nicht, daß er einen Vater hat. Sie
sagt, sie hätte gelacht. Aber ich habe
weinen müssen. In diesen vier Jahren
habe ich ihn nur immer auf ein paar
Tage gesehen. Was soll nur aus dem
Jungen werden, wenn das ewig so
weiter geht!"
„Und was soll aus mir werden?"
fragte der andere, ein jüngerer Mann.
„Ich habe in diesen Jahren alle meine
Handfertigkeit eingebüßt. Was nützt
es mir, daß ich Gewehr, Bajonett und
Handgranate gut handhaben kann?
Wenn ich morgen in meine alte Stel-
lung eintreten könnte, das heißt wenn
man überhaupt noch Arbeit für mich
hat, kann ich sie doch nicht mehr aus-
füllen. Ich müßte wieder von vorne
anfangen. Ach, ist das ein Elend!"
Der dritte schwieg.
„Was ist ihm?" fragte der Jüngere
leise.
„Laß ihn!" gab der erste zurück.
„Sein Sohn ist gestern von einer
Granate zerrissen worden. Er war
neunzehn Jahre alt-"
In diesem Augenblick gab es einen
dumpfen Schlag. Dann war's, als
risse die Luft entzwei. Holz, Beton,