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Die Revolution erlitt einen harten Verlust.
Dr. Viktor Adler 1'
Gestorben am II. November 191S.
Jn tiefe Trauer ist die inter-
nationale Sozialdemokratie durch
die Nachricht versetzt worden, daß
der Führer der österreichischen So-
zialisten, Viktor Adler, am 11. No-
vember einem Herzleiden erlegen ist.
In ihm ist ein Mann von über-
ragender geistiger Größe, von sel-
tenem staatsmünnischem Geschick
und von zündender Beredsamkeit
dahingegangen. Von Berufe Arzt,
hat ihn tiefes soziales Empfinden
und auf wissenschaftlichem Studium
beruhende Überzeugung der Politik
zugeführt, und er bewährte ein ge-
niales Führer- und Organisations-
talent, als er auf dem steinigen Boden
des österreichischen Nationalitäten-
staates die österreichische sozialdemo-
kratische Partei begründete.
Was ihm als sein Lebenswerk
galt, die sozialistischen Parteien der
verschiedenen, unter der habsbur-
gischen Herrschaft vereinten Natio-
nalitäten zu einem einheitlichen
Gesamtorganismus zusammen zu
schmieden, das ist ihm allerdings
nicht gelungen. Die im nationalen
Selbstbewußtsein namentlich der
Tschechen ivurzelnden Gegenströ-
mungen empfingen aus der unfähi-
gen österreichischen Staatspolitik
eine zu erhebliche Verstärkung. Und
so mußte er, der stets ein glühen-
der Vorkämpfer wahrhafter inter-
Der Zylmderhut.
Melodie: „Da streiten sich die Leut' herum."
Was einer auf dem Kopfe trägt.
Ist schnuppe und egal:
Der setzt sich eine Mütze auf.
Der einen Lelm von Stahl,
Den dritten kleidet ein Barett
Mit Pelz und Feder gut —
Das Feinste aber, was man hat.
Ist ein Zylinderhut.
Der Herbstmind weht recht rücksichtslos
Zn diesem schlimmen Jahr,
So nMiche Kappe fegt er weg.
Und manches Laupt steht bar;
Darum, wenn dir vom Schädel flog.
Was früher drauf geruht.
So wähl' als dauerhaften Schmuck
Dir den Zylinderhut!
Er zeichnet sich durch Schönheit aus
Und auch durch Billigkeit:
Für eine Doppelkrone schon
Kriegt man ihn jederzeit;
Drum, wenn du in der Lage bist,
Glaub' mir, ich rate gut:
Greif' in den Beutel flugs und kauf'
Dir den Zylinderhut!
Verschweigen darf ich's freilich nicht,
Lin Nachteil ist dabei:
Er deckt des Kopses obern Teil
And läßt de» untern frei — —
Doch treibt man ihn energisch an
Mit zielbewußtem Mut,
So schließt man auch das größte Maul
Durch den Zylinderhut!. Leopold. ' •
Der streitbare Gottesmann.
Pastor Buschmann saß in seinem Lehnsessel,
den Kopf bequem zurückgelehnt, die Hände
über dem Bäuchlein gefaltet, die lange Pfeife
im Mimde. Die Äuglein folgten blinzelnd den
blauen Rauchwölklein, die sich im Zimmer ver-
teilten. Kurz, Pastor Buschmann wirkte wie
ein Bild der Zufriedenheit.
Und doch war er in schlechter Stimmung
und voller Unruhe. In der Nacht zum Sonn-
abend hatte ein frecher Sünder die beiden
wohlgemästeten Gänslein aus dem Stall ge-
holt und dafür zwei Kohlrüben hingelegt mit
einem Begleitzettel, worauf stand: „Durch-
halten, Herr Pastor!" Er wußte gut, daß sich
das auf seine Predigten der Kriegszeit bezog,
wo er pflichtgemäß zum Durchhalten aufge-
fordert hatte. Und das schlimmste war, daß
er die Untat nicht einmal anzeigen konnte;
denn es gab — Gott sei es geklagt! — viel
Mißgünstige in der Gemeinde, die wohl gar
hämisch darüber gegrinst hätten.
Dazu diese Nachrichten von der neuen Re-
gierung, voni Umsturz des bewährten Alten
und von den Vorbereitungen zu dein unglaub-
lichen Frieden — nein, es half auch der
gute Schweinebraten nicht, den ihm seine
Jette heute aufgetischt hatte. Der patriotische
Zorn und sonstige Groll störte empfindlich
die Verdauung.
' - Aber morgen war Sonntag!
nationaler Solidarität gewesen war,
an seinem Lebensabend die immer
stärkere Zuspitzung der nationalen
Gegensätze erleben, die für den Aus-
bruch des Weltkrieges in erster
Reihe mitverantwortlich gemacht
werden muß.
Seine politische Stellung zu die-
sem furchtbaren, über die Mensch-
heit hereingebrochenen Unglück und
die für die Sozialdemokratie daraus
entstandenen taktischen Schwierig-
keiten hat er erst vor kurzem, aus
Anlaß des hundertsten Geburtstages
von Karl Marx in den Spalten des
Wahren Jacob dargelegt.
Die in den letzten Wochen aus
dem Weltkrieg heraus geborene
Revolution stellte ihn wieder vor
neue, gewaltige Aufgaben, zu deren
Lösung kein anderer so sehr berufen
gewesen wäre wie er. Er hätte die
Gabe gehabt, dem Gedanken der
Menschlichkeit auch bei dem sieges-
trunkenen Feinde wieder Gehör zu
verschaffen. Aber es ging mit ihm,
wie mit Jean Jaurös. Beide wur-
den zu einem Zeitpunkt dahingerafft,
als sie den höchsten Zielen der
Menschheit ihre wertvollen Dienste
zu leisten.berufen gewesen wären.
Schmerzersüllt steht die Revolution,
steht der internationale Sozialismus
an der Bahre dieses wahrhaft sel-
tenen und großen Mannes. 8. H.
Pastor Buschmanns Augen blitzten noch ein-
mal auf: da ivollte er all jenen Leisetretern
donnernd die Meinung sagen. In seinem schon
etwas müden Hirn hielt er noch einmal die
Predigt fest, die er morgen loslassen wollte.
Er würde zunächst jene abkanzeln, die im
Drang fleischlicher Gelüste nicht einmal mehr
das Gut der Geweihten des Herrn respektierten
und sich an ihm vergriffen. Das ist derselbe
böse Geist — würde er wettern —, der nicht
vor dem heiligsten Palladium des Reiches
und der Krone haltmacht. Die Feiglinge und
Sklavenseelen, die uns schänden und entehren
wollen, sollen auf das dreiste Maul bekommen,
daß sie nicht mehr zu mucksen wagen. . . .
Und die Feindes Er wollte das Wort zitie-
ren, das auf dem Evangelisch-Sozialen Kon-
greß in Leipzig ein hoher Amtsbruder, ein
Superintendent und Oberkirchenrat gesagt:
„Sollen wir denen, die uns so beschimpft
haben, morgen die Hand reichen? Erst müssen
sie bekennen, daß sie uns schweres Unrecht
getan haben."
Ja, streitbar mußte ein Gottesmann in
diesen Kampfzeiten sein, zum mindesten von
der Kanzel aus, da es doch nicht gut anging,
daß man sich in das wirkliche Kanipfgewühl
stürzte. Man mußte doch die Gemüter daheim
aufrichten und für den letzten Kampf stärken.
Und getreu seiner Aufgabe predigte er weiter:
Kein Schritt darf mehr zurückgewichen wer-,
den, bis der- Feind gepackt und zerschmettert
Die Revolution erlitt einen harten Verlust.
Dr. Viktor Adler 1'
Gestorben am II. November 191S.
Jn tiefe Trauer ist die inter-
nationale Sozialdemokratie durch
die Nachricht versetzt worden, daß
der Führer der österreichischen So-
zialisten, Viktor Adler, am 11. No-
vember einem Herzleiden erlegen ist.
In ihm ist ein Mann von über-
ragender geistiger Größe, von sel-
tenem staatsmünnischem Geschick
und von zündender Beredsamkeit
dahingegangen. Von Berufe Arzt,
hat ihn tiefes soziales Empfinden
und auf wissenschaftlichem Studium
beruhende Überzeugung der Politik
zugeführt, und er bewährte ein ge-
niales Führer- und Organisations-
talent, als er auf dem steinigen Boden
des österreichischen Nationalitäten-
staates die österreichische sozialdemo-
kratische Partei begründete.
Was ihm als sein Lebenswerk
galt, die sozialistischen Parteien der
verschiedenen, unter der habsbur-
gischen Herrschaft vereinten Natio-
nalitäten zu einem einheitlichen
Gesamtorganismus zusammen zu
schmieden, das ist ihm allerdings
nicht gelungen. Die im nationalen
Selbstbewußtsein namentlich der
Tschechen ivurzelnden Gegenströ-
mungen empfingen aus der unfähi-
gen österreichischen Staatspolitik
eine zu erhebliche Verstärkung. Und
so mußte er, der stets ein glühen-
der Vorkämpfer wahrhafter inter-
Der Zylmderhut.
Melodie: „Da streiten sich die Leut' herum."
Was einer auf dem Kopfe trägt.
Ist schnuppe und egal:
Der setzt sich eine Mütze auf.
Der einen Lelm von Stahl,
Den dritten kleidet ein Barett
Mit Pelz und Feder gut —
Das Feinste aber, was man hat.
Ist ein Zylinderhut.
Der Herbstmind weht recht rücksichtslos
Zn diesem schlimmen Jahr,
So nMiche Kappe fegt er weg.
Und manches Laupt steht bar;
Darum, wenn dir vom Schädel flog.
Was früher drauf geruht.
So wähl' als dauerhaften Schmuck
Dir den Zylinderhut!
Er zeichnet sich durch Schönheit aus
Und auch durch Billigkeit:
Für eine Doppelkrone schon
Kriegt man ihn jederzeit;
Drum, wenn du in der Lage bist,
Glaub' mir, ich rate gut:
Greif' in den Beutel flugs und kauf'
Dir den Zylinderhut!
Verschweigen darf ich's freilich nicht,
Lin Nachteil ist dabei:
Er deckt des Kopses obern Teil
And läßt de» untern frei — —
Doch treibt man ihn energisch an
Mit zielbewußtem Mut,
So schließt man auch das größte Maul
Durch den Zylinderhut!. Leopold. ' •
Der streitbare Gottesmann.
Pastor Buschmann saß in seinem Lehnsessel,
den Kopf bequem zurückgelehnt, die Hände
über dem Bäuchlein gefaltet, die lange Pfeife
im Mimde. Die Äuglein folgten blinzelnd den
blauen Rauchwölklein, die sich im Zimmer ver-
teilten. Kurz, Pastor Buschmann wirkte wie
ein Bild der Zufriedenheit.
Und doch war er in schlechter Stimmung
und voller Unruhe. In der Nacht zum Sonn-
abend hatte ein frecher Sünder die beiden
wohlgemästeten Gänslein aus dem Stall ge-
holt und dafür zwei Kohlrüben hingelegt mit
einem Begleitzettel, worauf stand: „Durch-
halten, Herr Pastor!" Er wußte gut, daß sich
das auf seine Predigten der Kriegszeit bezog,
wo er pflichtgemäß zum Durchhalten aufge-
fordert hatte. Und das schlimmste war, daß
er die Untat nicht einmal anzeigen konnte;
denn es gab — Gott sei es geklagt! — viel
Mißgünstige in der Gemeinde, die wohl gar
hämisch darüber gegrinst hätten.
Dazu diese Nachrichten von der neuen Re-
gierung, voni Umsturz des bewährten Alten
und von den Vorbereitungen zu dein unglaub-
lichen Frieden — nein, es half auch der
gute Schweinebraten nicht, den ihm seine
Jette heute aufgetischt hatte. Der patriotische
Zorn und sonstige Groll störte empfindlich
die Verdauung.
' - Aber morgen war Sonntag!
nationaler Solidarität gewesen war,
an seinem Lebensabend die immer
stärkere Zuspitzung der nationalen
Gegensätze erleben, die für den Aus-
bruch des Weltkrieges in erster
Reihe mitverantwortlich gemacht
werden muß.
Seine politische Stellung zu die-
sem furchtbaren, über die Mensch-
heit hereingebrochenen Unglück und
die für die Sozialdemokratie daraus
entstandenen taktischen Schwierig-
keiten hat er erst vor kurzem, aus
Anlaß des hundertsten Geburtstages
von Karl Marx in den Spalten des
Wahren Jacob dargelegt.
Die in den letzten Wochen aus
dem Weltkrieg heraus geborene
Revolution stellte ihn wieder vor
neue, gewaltige Aufgaben, zu deren
Lösung kein anderer so sehr berufen
gewesen wäre wie er. Er hätte die
Gabe gehabt, dem Gedanken der
Menschlichkeit auch bei dem sieges-
trunkenen Feinde wieder Gehör zu
verschaffen. Aber es ging mit ihm,
wie mit Jean Jaurös. Beide wur-
den zu einem Zeitpunkt dahingerafft,
als sie den höchsten Zielen der
Menschheit ihre wertvollen Dienste
zu leisten.berufen gewesen wären.
Schmerzersüllt steht die Revolution,
steht der internationale Sozialismus
an der Bahre dieses wahrhaft sel-
tenen und großen Mannes. 8. H.
Pastor Buschmanns Augen blitzten noch ein-
mal auf: da ivollte er all jenen Leisetretern
donnernd die Meinung sagen. In seinem schon
etwas müden Hirn hielt er noch einmal die
Predigt fest, die er morgen loslassen wollte.
Er würde zunächst jene abkanzeln, die im
Drang fleischlicher Gelüste nicht einmal mehr
das Gut der Geweihten des Herrn respektierten
und sich an ihm vergriffen. Das ist derselbe
böse Geist — würde er wettern —, der nicht
vor dem heiligsten Palladium des Reiches
und der Krone haltmacht. Die Feiglinge und
Sklavenseelen, die uns schänden und entehren
wollen, sollen auf das dreiste Maul bekommen,
daß sie nicht mehr zu mucksen wagen. . . .
Und die Feindes Er wollte das Wort zitie-
ren, das auf dem Evangelisch-Sozialen Kon-
greß in Leipzig ein hoher Amtsbruder, ein
Superintendent und Oberkirchenrat gesagt:
„Sollen wir denen, die uns so beschimpft
haben, morgen die Hand reichen? Erst müssen
sie bekennen, daß sie uns schweres Unrecht
getan haben."
Ja, streitbar mußte ein Gottesmann in
diesen Kampfzeiten sein, zum mindesten von
der Kanzel aus, da es doch nicht gut anging,
daß man sich in das wirkliche Kanipfgewühl
stürzte. Man mußte doch die Gemüter daheim
aufrichten und für den letzten Kampf stärken.
Und getreu seiner Aufgabe predigte er weiter:
Kein Schritt darf mehr zurückgewichen wer-,
den, bis der- Feind gepackt und zerschmettert