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Beilage zum wahren Jacob

Nummer 844 Stuttgart, 22. November >918 35. Jahrgang

"Der Negenbogen.

Uder unfern» Laus ein Regenbogen
Lat die siebenfarbne Bahn gezogen.

Regen ist verrauscht und »vilde Stürme —
Ferner Lichtglanz schimmert um die Türme.

Alles atmet tief in vollen Lungen;

Ruhe labt die Alten und die Jungen.

Lieblich schwebt das holde Friedenszeichen
Über Städten, kriegszerstampft, und Leichen,

Auf der bunten, schwanken Äimmelsbrücke
Wandern unsre Träume hin zum Glücke.

Auf dem Hellen Lin»melsbogen schwanken
Unsrer Loffnung lichteste Gedanken.

In den Augen, matt von vielen Tränen,
Leuchtet auf ein halberfülltes Sehnen.

„Menschlichkeit, todwund von e»v'gen Kriegen,
R»»r in diesem Zeichen »virst du siegen!"

. . . Über unfern Laus ein Regenbogen
Lat die siebenfarbne Bahn gezogen.

T>aul Silberling.

Niels Schuppe.

Skizze von Ernst Preczang.

In der engsten und ältesten Gasse
der Stadt, gleich hinter der Kirche,
hattederZigarrenmacherNiels Schuppe
seinen Laden. Neben der Tür, die so
schmal »var, daß beleibtere Leute sich
mühsamhindurchzwängen mußten, hing
ein Schild mit dem Bilde einer riesen-
haften Rolle Kautabak, auf der ein
zähnefletschender, vergnügter Nigger
sah. Das Schaufenster »var nicht ganz
so breit »vie die Tür. Drei Zigarren-
kisten, einige Schachteln mit Zigaretten
und eine Handvoll Tabak nebst ein
paar Pfeifen und Spitzen füllten es
ans. An der Scheibe klebte ein Zettel
mit der Versicherung: Jede Zigarre
eigene Handarbeit!

Das »var keine Lüge. Niels Schuppe
saß Tag für Tag vor seinem Brett
und wickelte seine Zigarren selbst —
die billigen sowohl »vie die teuren, und
das ivaren im ganzen vier oder fünf
Sorten. Die Honoratioren verirrten
sich selten einmal hierher; »neist »varen
es Arbeiter und sonstige „kleine Leute",
die sich der Handarbeit Schuppes an-
nahmen, nur rauchten sie fast alle aus
der „billigen Kiste". Sie brachten ihm
keine Reichtümer zu, »vohl aber Ohren,
die gern auf ihn hörten, »venn Niels
gerade seine „Sprechstunde" hatte, wie
sie es nannten. Dann kam es zutage,

»vie er sich innerlich mit ihnen allen
verbunden fühlte, weil sie arm waren
»vie er, und »veil sie »vie er in alten.

klapprigen Häusern »»nd schmalen, dunklen
Gassen wohnten.

Wenn Niels vor seinem Wickelbrett saß und
die Finger ihre Tätigkeit in mechanischer Ge-
»vohnheit vollführte», verlor, sich sein Geist in
die »veiten, freien Räume des Gedankens und
der Phantasie. Dann baute Niels Schuppe an
einer vollkommen neuen und besseren Welt, in
der es zivar keine Paläste, aber auch keine
stinkende» Gassen und schmierigen Höhlen
gab, »vo Menschen abseits von Sonne und
Luft ihr Leben verdämmerten. Nein, die Häuser
dieser anderen Welt erhoben sich alle in blühen,
den Gärte»», an breiten, sauberen Straßen, und
nicht eines baute Niels so hoch, daß es mit
seinem Schatten dem Nachbar hätte das Licht
stehlen können. In jedes Haus setzte er nur
eine Familie; de» Kindern gab er einen son-
nigen Rasenplatz vorm Hause znin Spielen und
dazu ein Loch in der Hecke, so daß sie ohne
Umwege zu ihren Geführten schlüpfen konnten-

Ja, alles »var »vohlbedacht, alles, und Niels
Schuppe beivegte sich sicher und freudigen

Gemütes in dieser lichien, heiteren Welt, die
er selbst erschaffen hatte und an der zu bauen
er nicht müde »vurde. Und ivenn er alle an-
deren gut »ntergebracht wußte, versenkte er
sich mit besonderem Genuß in die Pläne für
das eigene Heim, das »och ein ivenig beschei-
dener gedacht »var als die übrigen, »veil Niels
Schuppe ja »veder Weib noch Kind, noch
überhaupt irgendeinen Menschen besaß, für
den es Platz zu schaffen galt. Aber vielleicht
lernte dann der Kanarienvogel, dessen Bauer
jetzt an» Fenster der Küche »ach dem Hofe zu
hing, das Singen wieder. Er hatte es längst
eingestellt und piepste nur zuiveilen »vehmütig,
ivenn die Sonne ihren höchsten Stand erreichte
und für ein paar flüchtige Minuten die arm-
seligen Blumentöpfe auf den» Fensterbrett
streichelte, um alsbald erschreckt »vieder zu
verschwinden, so kümmerlich sahen sie aus- Und
vielleicht geivann der Vogel dann auch seine
goldgelbe Farbe wieder, die allmählich i» ein
stumpfes Gelbgrau übergegangen war. Denn
die Sonne kann ja so unendlich viel; in ihren
Strahlen birgt sich Gesundheit, Schön-
heit und Freude. Schon der Gedanke
an sie hielr Niels Schuppe in Hoff
nung und Zuversicht aufrecht, und seine
Träume »varen so lebendig, daß sie in
dem engen, duinpfen Loch, das er be-
wohnte, die Wirklichkeit auslöschten.

Zuweilen freilich fiel diese Wirklich-
keit wie ein schwerer, schwarzer Schatten
auf Niels Herz. Und das geschah be-
sonders leicht am Sonntag, da er die
Arbeit ruhen ließ. Es »var, als ob
zwischen dem mechanischen Spiel seiner
Hände und dem bauenden Spiel der
Phantasie ein geheiiner Zusammenhang
bestände. Als sei der verborgene Motor
bei den» einen »vie dem andern plötzlich
in Ruhe gesetzt. . Dann gab es nur ei»
Mittel: Niels mußte hinaus vors Tor,
wo es Acker und Miesere u»»d einen
hügeligen Wald am Fkußufer gab.
Wieviel Play »var.doch hier! Ö, so
ungeheuer viel, daß »na» jeden» Ein-
»vohner der Stadt sein hübsches Stück-
chen Erde zuteilen konnte.

Da blühte die Phantasie Niels' präch-
tig »nieder auf, er geriet ins Reden und
hielt seinem Freunde, dem lahmen
Schneider Nickel, lange und wohldurch-
dachte Vorträge.

„Und »vo möchtest du wohnen?"
fragte der Schneider.

„Ich?" sagte Niels und führte ihn
auf einen Hügel am Flußuser. „Ich
möchte mir ain liebsten diesen Hügel
»vählen, wenn niemand etwas dagegen
hat. Man säße so recht mitten im
Lichte, hätte Sonne und Lust von allen
Seiten. Und »vie geschützt läge der

„Baker!"

Bon Josef Luitpold. (Aus „Herz im Eisen".)

Um die Mikternacht,
in dem Glanz der Sterne,
als ich heimwärts ging
zur späten Ruh,

da klang auf ein Ruf,
den ich nie vergesse,
da vernahm ich dich,
dunkle Klage du.

»Vater! Vater!« ries
eine Kinderstimme,
tief aus Traum und Schlaf
und verklang.

Und im fernen Land
und zur gleichen Stunde
tausend, tausend Väter
lagen starr im Sand.
 
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