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9607

Wilhelms Betstunde.

Viele Tyrannen haben müssen herunter auf die Erde sitze».

Viele große Herren sind zu Boden gegangen, und gewaltige Könige sind
andern in die Hände gekommen. lSirach II, 5 und 6.)

ss ftobellpäne.

Arbeits- und Soldatenräte
Grüße ich ans vollem Herzen,

Doch vor allen die Matrosen,

Die entflammt die Freiheilskerzen.

Die den finstern Plan zerstörten,
AuszufahrSn mit der Flotte,

Um ins Meer sie zu versenken,
Wie's im Plan der Teufelsrotte.

Hoch die Freudenfeuer brannten
Bald in allen deutschen Gauen, —
An den finstern Eisenkästen
Mag John Bull sich jetzt erbauen.

Die deutsche und die russische Republik sind unvollkommene Gebilde;
solange wir nicht die europäische Republik haben, die sich zur Welt-
republik erweitern muß, wird das Volk an der Revolution weiter arbeiten
müssen, wenn es nicht in Hunger und Kummer verderben will.

Der Anfang ist gemacht,, nun weiter,

O Volk, straff deine Muskeln an,

Du steigst empor auf deiner kühnen Leiter,

Nur unter Mühsal wird das Werk getan.

Das Werk für deine Kinder, Frauen,

Für die du Freiheit, Gleichheit schaffen mußt,

Heraus den» alle, mit am Werk zu bauen,

Heraus, räumt auf mit all dem alten Wust.

Meine Olle is immer noch »ich mit de Revolution einverstanden;
det sei nich de richtije, meent se/denn de Arbeiter-un Soldalenräte ver-
ständen doch nischt von Frauenleid un Frauenlust. Erst dann, wenn de
Männer ooch Kinder austragen müßte», könnte de richtije Weichheit

Jominen. Dein getreuer Säge, Schreiner.

Mahnung.

Lies du dein Blatt, o Arbeitsmann,

Das einer deines Geists ersann!

Das deine stillen Nöte kennt.

Das mit dir schaudert, mit dir brennt;

Es geht mit dir im gleichen Schritt,

In Schritt und Tritt,

llnd deine Träume wandern mit.

Und ist sein Kleid auch arm und schlicht —
Es ist dein Kleid! Vergiß es nicht!

Die andern stehn in fremdem Grund,

Und ist ihr Kleid auch reich und bunt, —
Die Frucht fällt in der andern Schoß:

Du düngst sie bloß.

Reiß dich vom fremden Erdreich los!

Da, wo des Schreibers Lerz geloht,

Bis daß die Druckerschwärze rot.

Da, wo des Blattes Pulsschlag gleich
Dem deinen ist da ist dein Reich.

Lies nicht, was Mammon, dein Tyrann,
Für dich ersann —

Lies du dein Blatt, o Arbeitsmann!

_^ Paulus.

Spätherbstmorgen.

von jedem Strauch, von jedem Baume tropft
Tin kalter Tau, wie ein verhaltnes Trauern.
Und durch die lvipfel zittert leises Schauern,
Vas an die fferzen klopft. . . .

Und bunte, welke Blätter schmiegen sich
So fröstelnd an die feuchte Erde an. -
Sie träumten auch des Lebens kurzen lvahn,
Der nun in> Tod verblich.

Lin großer schwarzer Vogel hebt sich srei,
Zieht seine Bahnen hoch dort überm Tal.
viel Leben stirbt. Vaß doch der Urieg einmal
Nun auch zu Ende sei!- Hans Pflug.

&&

Lieber Jacob!

Alles, wat recht is — aber 'ne Revoluzjon
hätte ick mir doch'» bißken anders vorjestellt!
Wenn ick denke, wat mir mein selijer Jroß-
vater von Anno achtunvierzig erzählt hat,
ivie er mit 'ne lange rote Hahnenfeder an'»
Schlapphut uff de Barrikade an'n Alexander-
platz jestauden un jekümpft hat. Det hat mir
schon als Junge immer riesig jefallen, un ick
konnte mir 'ne Revoluzjon janich anderst
denken.

Bei de Vorjänge aber, die wir in diese
Novembertage hier in Berlin erlebt haben,
fehlte jeder höhere Klimbim u» Mumpitz. Et
kann ja sind, det wir in diese Hinsicht durch
Reinhardt'» zu sehr verwöhnt sind, aber ooch
wenn ick keenen unmaßjebliche» Verjleich mit's
Deitsche Theater un andere Zirkusbelustijungen
nich anstelle» will, so muß ick doch konstitu-
ieren: de dramatische Reschie war mangelhaft,
un et jab zu ivenig for det ernfängliche Ooge
des Jroßstädters. Die paar Umzieje, det bißken
Kokardenpolken un die kleene Schießerei an'n
Marstall kann bei een Berliner Publikum keenen
Jndruck nich erwecken, det durch de Veran-
staltungen der Wilhelminische» Ara janz an-
dere Knalleffekte jewohnt is!

Un doch war det de jrößte Revoluzjon in
de Weltjeschichte, un achtunvierzig '» Nasen-

popel jejen. Del merkt man ooch bei de Nei-
orjentierung in't birjerliche Publikum. Jestern
noch Hoflieferant mil'n verjold'tes Wappen
ieber de Türe, heite bloß noch Lehmann mit
de rote Fahne, jestern noch Achtjroschenjunge
mit 'ne Revolverschnauze, heite volkstiemliches
Sicherheelsorjan mit'» wehstrietijes Lächeln
um de Futterluke, jestern Heil dir im Siejer-
kranz, heite Marselljeese. De Deitsche Tages-
zeitung kämpft »ich mehr „For Kaiser un Reich"
un de Kreizzeitung nich mehr „Mit Jott for
Keeuig un Vaterland", sondern alle stellen sich
voll un janz uff dem Boden der vollzogenen
Tatsachen.

Bloß zwee Leite habe ick jetroffen, die mit
det Janze nich inverstanden sind. Det is erstens
de adelije olle Jumpfer hier in't Querjebeide,
die sich von dem Jeheimen Hofrat im zweeten
Stock, der et mit de Umorjentierung furchtbar
eilig hatte, for zweeeenhalben Jroschen een
lebenslängliches Bildnis von'n verflossenen
Kronprinzen jekooft un ieber ihr Bette uffje-
hängt hat, un zweetens der dicke Jnnungs-
meester vorn aus'n Bäckerladen, der zu meine
Olle sagte: „Jetz sollen also meine Jesellen
womeeglich ebentsoville verdienen wie ick?
Na, hoffentlich kriejen wir bald wieder je-
ordente Zustände!" Kennste meine Olle?
Denn kannste Dir vorstellen, wat se ihn je-
antwort't har. Et war in de Form nich jerade
parlamentarisch, sondern hatte schon mehr ’»
Stich in't Pornojrafische — aber der Inhalt
ivar zutreffend!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jelreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Redatlionsschlub 25. November 1918.
 
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