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9618

Falsche Götzen zogen vor dem Volke
her in einer Blut- und Feuerwolke,
unser Fuß versank im heißen Sand.
Durch die Wüste sind wir lang geschritten,
haben Durst und Hunger viel gelitten,
schauten brennend aus nach neuem Land.

Der Auszug, cs*

Aufgelöst in Rauch und Feuersbrünsten
schwindet das Gespenst in trüben Dünsten,
unser Blick wird endlich wieder frei.
Hinter uns ein Aiesenfeld von Leichen,
vor uns eines neuen Daseins Zeichen,
über uns erlöster Seelen Schrei.

Karl Bröger.

Fort, nur fort aus diesem Reich der Toten!
Unsre hoffend ausgesandten Boten
müssen bald die selige Kundschaft tun.
Friede wird um ihre Schultern schweben,
und mit Menschen menschlicher zu leben,
lassen wir die Waffen endlich ruhn.

Der treue Weihnachtsslern.

Ein Märchen der Zukunft. Von Ernst Preczang.

Der Vater kam mit seinen Kindern von der
Weihnachtsfeier, die im städtischen Volkshause
jung und alt zur Erbauung zusammengeführt
hatte. Ein sternvoller Abendhimmel wölbte
sich über der weißen Gartenstadt, und nur
weit hinten am Horizont zog eine dnnkelgraue
Schneewolke langsam herauf.

„Erzähle uns ein Märchen," bat Elfriede.

„Ja!" Fritz hing sich an den andern Arm
des Vaters. „Ohne Märchen ist keine richtige
Weihnacht."

Der Vater lächelte: „Habt ihr vorhin nicht
erst eine Rede gehört, über die es sich nachzu-
denken lohnt? Oder gefiel es euch nicht, was
der Redner sagte?" — „Gewiß." Fritz
dachte nach. „Aber was meinte er mit
dem Worte, daß sich am Ende des Welt-
krieges die Kraft der Seelen stärker er-
wiesen habe als alle Gewalt der Ka-
none»? Unser Geschichtslehrer sagte
uns doch, daß es gerade die Gewalt
der Waffen gewesen sei, die auch diesen
Krieg beendete und die Unterlegenen
in harter Weise bedrückte."

Der Vater blickte eine Weile sinnend
in die Ferne: „Seht ihr jenen Stern
dort am Rande der Schneewolke?"

„Die rote, glühende Kugel? ... Ja
ja!" riefen die Kinder. „Ist es der
Mars?"

„Nein, der Weihnachtsstern."

„Der Stern von Bethlehem?"

„Nein. Der neue Weihnachtsstern.

Es hat eine besondere Bewandtnis mit
ihm, Kinder."

„Erzähle, Vater, erzähle!" Fritz und
Elfriede schmiegten sich dichter an ihn,
und während die drei durch den weißen
Weihnachtsabend ihrem Heim zuschrit-
ten, sprach der Vater:

„Der Stern von Bethlehem ging wäh-
rend dem großen Weltkriege, dessen
Verlauf euch ja aus der Schule bekannt
ist, unter. Es heißt, er sei plötzlich er-
loschen und in das Rote Meer gefallen.

Vor Schrecken wohl oder vor Trauer.

Mehr als neunzehnhundert Jahre stand
er als das leuchtende Stzmbol des ewi-
gen Friedens über der Menschheit und
verkündete ihr: Liebe deinen Nächsten!

Liebe deine Feinde! ... Aber die Men-
schen erinnerten sich nur bei feierlichen
Gelegenheiten dieser Mahnung und
folgten im übrigen dem Haßwort: Töte
deinen Nächsten! Töle deine Feinde!...

Es gab eine Moral des Wortes und
eine der Tat. Das Wort floß über von

schönen Sentenzen, aber die Tat heuchelte
nicht und hielt es mit den Kanonen. Ihr seid
ja schon beide im Museum gewesen, nicht
wahr?"

„Ja," erwiderte Fritz eifrig. „Und im großen
Lichthofe, dort, wo alle die scheußlichen Mord-
instrumente der barbarischen Zeit aufbewahrt
werden, steht auch ein riesiges Geschütz mit der
lateinischen Inschrift: Aoberonta movebo“..."

„So lock' ich die Hölle," übersetzte der Vater.
„Ein vortrefflicher Wahlspruch! In der Tat
haben sie die Hölle gelockt, und sie ist gekom-
men. Denn die Kanone, die du sahst, war
nur eine unter vielen Tausenden, und sie alle
schleuderten Erzmassen auf den Feind, zer-
trümmerten Hunderte von Städten und töteten
viele Millionen Menschen. Die meisten dieser

Bekenutnis.

Mein Auge leuchtet durch die Zeiten
Den Denker», die das All gebar,
Ununterbrochen sch' ich schreiten
Den Zug der kühnen Äeldenschar.

Was seltner Sehersinn ersonnen.

Die ganze Menschheit prägt's in Tat,

Ein wallend Festkleid wird gesponnen
Auf der Entwicklung Riesenrad.

Das Niedre welkt, voll blüht zum Schönen,

Was häßlich und gemein noch ringt.

Den Chor der Massen hör' ich tönen

Von Psalmen, die die Zukunft singt. senden.

Geschütze wurden später eingeschmolzen. Man
machte Maschinen, Pflüge und andere nütz-
liche Gegenstände daraus."

„Und warum blieb diese Kanone übrig?"
„Weil sie den letzten Schuß getan hat."
„Auch er tötete wohl noch Menschen," sagte
Elfriede traurig.

„Nein." Der Vater schüttelte den Kopf, be-
trachtete nachdenklich den roten Stern, der
hinter einem Zipfel der Schneewolke hervor-
tauchte, und fuhr fort: „Mit jenem Schuß
geschah etwas sehr Merkwürdiges. Ihr wißt,
daß man die Geschütze durch eine elektrische
Vorrichtung zur Entladung brachte. Gerade
in dem Augenblick nun, da der Befehl zum
Abschuß gegeben war und der Kanonier die
Schnur zog, traf die Weisung zur Einstellung
der Feindseligkeiten ein. Beides siel
fast auf die Sekunde zusammen, und
nun riefen sie alle: ,Halt, halt!' Die
Granate war schon aus dem Rohr.
Aber sie schrien so inbrünstig und mit
aller Herzenskraft, daß der Strom ihrer
ungeheuren Seelenenergie das Geschoß
erreichte und es oben in den Wolken
festhielt. Und wie sich unten die Span-
nung löste, sahen sie, daß es ein größer,
glühender Stern geworden war, der
langsam durch den Raum dahin-
schwebte."

„Und fiel nicht nieder?" fragte Fritz
zweifelnd. „Aber die Schwerkraft?"

Der Vater lächelte: „Im Reich der
Märchen gibt es keine Schwerkraft,
Fritz."

„Dann schwebt das Geschoß noch?"
Elsriede sah forschend zum Himmel auf.
„Ja, es schwebt noch."

„Das ist der neue Weihnachtsstern,
Vater?" rief Fritz. „Dort die rote,
glühende Kugel an der Schneewolke?"

„Ein flammendes Herz ist's!" sagte
Elfriede eifrig. „Seht doch den Ein-
schnitt am oberen Rande."

„Der Wolkenzipfel hängt drüber."
„Ja." Der Vater schaute mit einem
Lächeln auf seine Kinder. „Es kommt
ganz auf das innere Auge an, Fritz.
Ich glaube, Elfriede hat recht. Es ist
ein flammendes Herz. Denn es war
ja die Liebe zum feindlichen Menschen-
druder, die das Geschoß aus der Bahn
des Verderbens lenkte. Es sollte Leben
verlöschen, nun aber wurde es selbst
zu Licht, das segnend über der Mensch-
heit leuchtet. Denn in dem Augenblick,
da dieser Stern aufging, begann eine
neue, hellere Zeit. Den Menschen siel's
wie eine Binde von den Augen. Wir
waren ja blind, sagten sie und blickten
 
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