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9619

Wie lange noch?

„Man sollte den Bitten der Deutschen doch nachgcben und die Fricdensbedingungen mil-
dern. Sonst springt am Ende die soziale Revolution auch nach dem Westen über."

„Nur keine Sorge, lieber Jonathan, seit Jaurös Tod halten wir unsere Sozialisten unter
dem Daumen."

erstaunt einander an. War-
um töten wir uns? Warum
verschwenden wir unsere
Kraft im blutigen Kampf,
warum geben wir sie im
unnützen Schaffen von Pan-
zern, Schwertern, Flinten
und Kanonen hin? Ist es
nicht schöner, friedlich seiner
Arbeit zu leben, Wohn-
häuser und Eisenbahnen zu
bauen und das Leben zu
schmücken, statt es zu ver-
nichten? Warum zertrüm-
mern wir Häuser, Brücken
und kunstvolle Bauwerke, da
es doch viel nützlicher und
herzerfreuender wäre,Neues
zu errichten? Und dient ein
einziger Pflug, der der Saat
ihre fruchtbaren Furchen
aufreißt, der Menschheit
nicht besser als alle Ge-
schosse, die die reifen Ähren
ganzer Felder in den Schmutz
stampfen? Was taten wir—
und warum taten wir es?...

So sprachen die Menschen.

Und seht, während sie so in
banger, erschreckter Frage
standen, strahlte das große
flammende Herz zu ihren
Häupten auf, und ein feier-
liches Singen tönte über die
gequälte Menschheit hin:

Begrabt alles Hassen! Aber
begrabt es nicht nur im
Wort. Laßt die Liebe zur
Tat werden, auf daß sie
nicht predige, sondern helfe
und baue. Der Haß tölet
die Blüte und läßt den Keini
in der Schale erfrieren. Die
Liebe ist Werden und Voll-
bringen, ist Bluine und
Frucht. Erkennt sie, die in euren Herze» lebt
und das Gute der ganzen Menschheit will.
Wagt es, ihr zu folgen. Sie allein ist Rette-
rin, Erlöserin, Befreierin von allem dunklen
Wahn. Ihr Licht ist über euch, wenn es in
euch ist.. . . Seht, meine lieben Kinder, da
schwangen die Seelen sich aus dem Staube
der alten Zeit empor, und in ihnen allen sang
und leuchtete es. Und eine Kraft erwuchs aus
ihnen, die war mächtiger, gewaltiger als alle
Waffen der Welt. . . ."

Fritz sagte leise: „Jetzt verstehe ich, Vater,
was der Redner sagte."

Und Elfriede flüsterte: „Sieh, dortist er wieder,
der Stern." Ein scheues Bangen war in ihrer
Stimme: „Wird er nie, nie mehr herabfallen?"

„Ich glaube es nicht." Ein harter Ton kam
in die Stimme des Vaters: „Dies aber weiß
ich gewiß: er ivird nur dann seine ursprüng-
liche Bahn vollenden, wenn wieder in kranken
Seelen der Mordwahn erivachen sollte. Dann
allerdings wird er seinen friedlichen Lauf
unterbrechen und ivird auf die Schänder der
Menschheit niederstürzen. Denn es ist besser,
diese Wetiigen fallen als die Vielen. Besser,
das Unkraut wird ausgerottet als die Blüte
des Lebens.. .."

Bei Schiebers.

Der Weihnachtsbaum war groß und hatte
ein gut Stück Geld gekostet. Nun, man hatte
es ja dazu. Viele Lichter brannten und spie-
gelten sich in allerlei buntem, glitzerndem
Behang. Sie brannten still, weiß und fromm
wie rechte Weihnachtslichter; man sah es ihnen
wirklich nicht an, daß sie auf Schleichwegen
zusammengehamstert waren. . .,

„Ich glaube nicht, daß noch ein anderer
Christbaum in der Stadt so viel Kerzen hat,"
sagte Herr Dunkelmann wohlgefällig. „Die
meisten haben gar keine."

„Es muß auch Unterschiede geben," belehrte
Frau Dunkelmann und fuhr liebkosend über
den Pelz, den sie als Geschenk bekommen hatte:
er hatte ein ganz nettes Vermögen gekostet.

„Ja, liebe Minna, die Unterschiede werden
nun bald aufgehört haben."

„Emil, rede keinen Stuß!" Von Zeit zu Zeit
verfiel Frau Dunkelmann, die seit der ersten
Kriegsmillion viel auf Bildung hielt, in den
To» früherer Tage, da sie noch in dem kleinen
Vorortsgeschäft gesessen hatten.

„Leider, leider, liebes Kind. Es sind schlechte
Zeiten." Er seufzte.

Frau Dunkelmann lachte,
„SchlechteZeiten? Du meinst
wohl, ich wüßte nicht, was
du bei der Malzschiebung
verdient hast und wie die
Motoraktien gestiegensind?"

„Liebes Kind! Das war
auch der letzte Verdienst.
Das hört jetzt alles aus."

„Nun ja, der Krieg ist
aus —"

,,— und die Revolution
hat das übrige besorgt."

Frau Dunkelmann schrie
auf. „Emil, nimin Rücksicht
aus meine Nerven! Der Ge-
danke daran regt mich immer
so schrecklich auf. . . . Ich
sehe, es ist die höchste Zeit,
daß wir uns ein Landgut
kaufen und uns dahin zu-
rückziehen. Hattest du mir
übrigens nicht eins zu Weih-
nachten versprochen?" setzte
sie gekränkt hinzu.

„Die Bank zahlte mirnicht
genug aus."

„Wie?"

„Ja, und es ist noch die
Frage, wieviel wir über-
haupt noch davon zu sehen
bekommen. Es findet eine
Vermögensabgabe statt."
Seine Stimme hatte einen
dumpfen Klang, wie bei
einem Tragöden, der die
Hinrichtung eines Königs
mitteilt.

„Emil! Dürfen sie denn
das?"

Während die beiden Ehe-
gatten über dies traurige'
Thema klagten, waren die
beiden Töchter, die den neuen
Schmuck ihren Kästen ein-
verleibte», viel lustiger. Der Verlauf des Kriegs
und der Umwälzungen hatte sie nicht so auf-
gewühlt wie die Tatsache, daß nun das Tanz-
verbot aufgehoben wurde.

„Endlich kommen nun unsere seidenen Klei-
der zur Geltung," jubelte die ältere.

„Und wir kriegen einen Leutnant zum Mann,"
prophezeite der Backfisch. „Papa kauft uns
schon einen."

Der Papa hatte das letzte gehört. „Aus-
geschlossen, Kleine," sagte er. „Mit den Leut-
nants ist es vorbei oder wenigstens doch mit
ihrein Glanz und ihrer Herrlichkeit."

„Und das ist der Dank dafür, daß wir bei
jeder Siegesnachricht geflaggt haben, daß du
für das Rote Kreuz und die Kriegsanleihe so
ein Heidengeld hergegeben hast?"

Die Mama zog ein überlegenes Gesicht. „Ich
weiß natürlich den einzig richtigen Ausweg:
wir ziehen mit unserem Geld ins Ausland,
wo keine Revolution ist, und leben da, wie
es uns paßt. Wir haben's ja dazu." Sie sah
ihren Mann triumphierend an. „Nun, was
sagst du dazu?"

„Daß es ein schöner Traum ist! Man wird
wohl uns, aber nicht unser Geld heraus-
lassen -"
 
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