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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0059
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10185

Äobelspäne

Wild heulen der Putschisten Chöre;

Sie schleppen Waffen rings herbei.

Sind's Spitzel? Sind's Provokatöre —

Wie einst im Mai?

Es machten die Lenin-Anbeter,

Von jeglichem Gewissen frei.

Aus Deutschland gern 'neu Hackepeter —

Wie einst im Mai.

Sie machen Escherichs Geschäfte
In ihrer wüt'gen Tölpelei.

Die Reaktion zieht daraus Kräfte —

Wie einst im Mail



Frankreich verlangt auch die Ablieferung von Fasanen und anderem Geflügel.
Und dabei haben seine Staatsmänner doch selber einen genügend großen Vogel.

*

Justiz!« seufzt: Rings Schweinereien,

Spitzbllb'fche Steuermogeleien
Und der Moral totale Pleite —

Doch leider auf der falschen Seite.

Justizia schwitzt auf ihrem Sessel,

Blickt sie auf Hiller und auf Kessel.

Man schont sie zwar zu höhren Zwecken,

Doch bleibt genügend Dreck am Stecken.

Es wäre ihr auch zehnmal lieber,

Wär'n rot die Herren Steuerschieber —

Wie wäre sie da laut empört I
Doch leider ist's stets umgekehrt. ...

* *

So mancher Reichs zahlt jetzt nur indirekte Steuern — durch sein Sektsaufen.

*

„Wat für Notbauten werden nun im Frühjahr errichtet werden?" fragte meine
Aujuste. Ick erwiderte als Sachkenner: „Hauptsächlich Lustschlösser!"

Dein getreuer Säge, Schreiner

Nach der Abstimmung

Not tut die Versöhnung der deutschen und bolnischm Arbeiter
-im Namen des Sozialismus.

Gelöbnis

Dies woll'n wir heut geloben:

Es soll kein Laß mehr sein.

Von seiner Seele blindem Zorn
Muß jeder sich befrei».

Wie über Opfergräber

Nun bunt der Maiensegen schwoll,

So überblühe Liebe
Den letzten Völkergroll.

So überwachse leuchtend
Die dunkle Rachezunft
Das schöpferische Maienlicht
Der siegenden Vernunft.

Dies sollst du heut geloben:

Fest steht das Maienwort.

And niemals wieder folgen wir
Dem Ruf zu Blut und Mord.

And niemals wieder beugen
Wir uns dem lügnerischen Stahl,

And niemals wieder binden wir
Ans an de» Marterpfahl.

Die Zeit der feilen Knechte,

Sie sei nun ganz vorbei.

Der Freie hebt die Stirn bewußt
Zn deine Sonne, Mai. Pan

Gberschlesien

Tberschlesien — wberschlesten —

Kch, es war zu schön gewesten.

Doch es bat nicht sollen sein --
pan rtorsantq, gib dich drein!

wie sie uns auch schikanieren,

Necht »nd wabrheit, sie marschieren.

Deutlich klingt's in polen-Ghren:

„Noch ist — veulichiond nicht verloren!" 8.

Hamburger Bürgermoral

3ttt Hamburger Parlament wandten sich die Reaktionäre
gegen die beantragte städtische Bürgschaft für ein Ferien-
lager der freideutschen Iugend aus Westerland.

Entrüstet behauptete nämlich Herr Kose:

Diese — äh — diese Iugend — pseu, pse»!

Badet dort ohne Badehose
Sowohl als auch ohne Scheu.

Und außerdem und überhaupt
I» den dunklen Baracken nächtens
— Sie verstehen, nicht wahr? — wer glaubt
Da geschähe nur das, was rechtens?
wo kämen wir hin, ihr Herren geehrt.

Setzte die Jugend insgesamt

Die Hochzeitsreise vor'; Standesamt?

Ein braver Bürger macht'; umgekehrt.

Und dafür gar bürgen? Vas wäre neu!

Da ersäuft ja die ganze Moral — pfeu, pfeu!
Und die Tugend entflieht von Strand und Düne ...

hört, hört! wie wackelte die Tribüne!

Die frischen Burschen, die Mädel auch,

Sie hielten sich vor Lachen den Bauch
Und schamlos wie immer und verwegen
Riefen sie: „Minfch, wat vertellst du för Lögen!
Du weest, wat in dustere Nacht geschehn,

Und hest unse Büxen bi vag nich sehn?!"

Sie lachten — Indes die Sllrgermoral
Die Hände rang In unendlicher Dual.

Venn die Tugend ist ja nirgend zu Haus
Krad wie in Hamburg... (So siehst« aus!) p-c

Lieber Jacob!

Wat mein Freind Edeward is, der weeß allens immer
befferwie alle anderenMenschen. Neilich, Sonntagnach-
mittag, lilstwandcre ick mit ihm de^eipzijer Straße lang.
Da sagt er mit eenmal: „Zu wat feiern wir eejentlich
noch dem ersten Mai? For dem Achtstundentag un for
de alljemeene Verbriederung des internazjonalen Prole-
tariats wurde er dunncmals jejrindet. Dem Achtstunden-
tag haben wir jetz, un ick weeß nich recht, wat de inter-
nazjonale Verbriederung noch sollte im Weje stehn."
„Sonst haste weiter keene Sorjen nich?" fragte ick. „Na
ja," entjejentc Edeward, „insofern jcwiß! Zum Satt-
essen langt et for meine fimflöpfige Familje zum Bei-
spiel noch immer nich." „Diesen Ibelstand kann abje°
Holsen werden," treestete ick ihm, indem ick ihm an det

Schaufenster von eene Delikatesseichandlung fiehrte, wo
jemästete Puten, jespickte Rehricken, Iänselebcrpasteten
un Ananasse sich mang de Sekt- unLikecrpullen anmutig
jruppierfen. „Hier sehste allens, wat dein Herze bcjchrt!"
„Mache keene faulen Witze nich!" knurrte Edeward, „so
een eenzijet Kapaunenbeen kost't mehr wie mein Wochen-
lohn. Aber an 't Hungern haben wir uns ja nachjerade
all jewehnt; man blaß niit de Klecdafche, det is een
ewijet Dilemma. Meine Olle braucht zum Sommer 'ne
neie Kluft un mein ältester Junge platzt an alle Ecken
un Enden aus feine eenzijen Stiebcln raus." Et war
jerade in de sojenanntcModenwoche, un deZarderoben-
jeschäfte zeigten det staunende Publikum, wat se konn-
ten. Et strahlte un funkelte man so von Samft un Seide
un Pelz un Spitzen, un aus Lackstiebcln quollen de elejan-
testen Strimpfe in alle Rejenbogenfarben raus. Ick wies
Edeward'n mit'n Daumen schweijend nach diese Herr-
lichkcetcn, un seine Oogen verdiesterten sich zusehends,
ohne det ick een uffreizendes Wort sagen brauchte. In-
zwischen waren wir in de Markjrafcnstraße injcbogrn
un blieben mit eenen Ruck vor een Schaufenster stehen,
wo een Plakat verkindigte, det hier „Hunde standcs-
jemäß cinjekleidet werden". „Edeward," rief ick aus,
„dir kann jeholfen werden! Vamiete dir un deine Fa-
iniljc als Schoßmöpse bei'n Kommerzienrat, un deine
Sorje um Iarderobenbeschaffung wird in de elejanteste
Weise von dir jenommen werden!" Edeward stand
wutentbrannt da un knirschte mit seine letzten zwee
Backenzähne. „Villeicht, lieber Edeward," eißcrte ick
mir jetz mit sehr Seitliche Stimme, „vastehste jetz, zu wat
wir dem crst^rMai noch immer feiern missen. Villeicht
is deinen pollitefchen Bejriffshorizont jetz klar jewor-
den, det mit den Achtstundentag noch vaflucht wenig
jeschafft is, un villeicht drängt sich dein Erkenntnisver-
möjen die Jnstcht uff, wat for Leite et find, die de inter-
nazjonale Solidarität des Proletariats noch imnier im
Weje stehen. Solange een deitsches Arbeeterkind de
Bankiersmöpse um ihre Iarderobe beneiden muß. so
lange werden wir ooch unfern ersten Mai feiern missen!"

Edeward sagte keenen Ton, aber ick jloobe, nach die-
sen Sountagsspazicrjang is in seine Seele eene Uffklä-
rung vor sich jejangen.

Womit ick verbleibe mit ville Irieße Dein jetreier
Iotthilf Rauke,
an 'n Iörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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