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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0197
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10323

Aus der Zeit

„Um Himmelswillen, Kinder, warum schlägt ihr alle auf den kleinen Erich?"
„Ja, Mama, wir spielen Erzbergers Ermordung, und Erich ist der Erzberger."

Äobelspäne

Wie wurden wir von rechts beschimpft
Von wegen dem Nur-Opponieren!

Jetzt wird die Hakennase gerümpft.

Weil wir uns koalieren.

Wir finden in Praxis und Theorie
Dort drüben keine Gnade:

Nach Görlitz begann die Schwerindustrie
Die große Papierkanonade.

Das tut uns leid. Doch bleibt ein Trost:
Das Vorgehn unserer Leitung
Muß gut sein, wenn es so erbost
Die „Deutsche Tageszeitung".

*

Phili ist tot. Leider ist seine beste Freundin, die Klassenjustiz, nicht
mit ihm in die Grube gefahren.

•k

Michel, paß auf! Das Kapital
Verschont ist es noch allemal,

Es ist stets krumm beim Bücken
Und mußt' sich stets zu drücken.

Ilm besten ist's, du steigst einmal
Selbst in ihr stilles Banklokal
Und siehst dort nach dem Rechten —

Dann brauchst du nicht zu fechten!



Die Unternehmer besitzen die „Zechen", die die Proletarier oft mit
ihrem Leben bezahlen müssen. *

„Warum war die frühere bayrische Regierung so über den Bericht
Weißmanns entrüstet?" fragte mir mein Freund Ede, worauf ick er-
klärte: „Weil sie in Bayern nur Vlauweitz-Männer dulden wollte!"

Dein getreuer Säge, Schreiner.

Eine Vernehmung

ln Angelegenheit des Mordes an Erzberger.

Der Kommissar: Sie sind also Fxäulein
Helga Müller, 16 Jahre alt.

Helga Müller: Jawohl.

Der Kommissar: Ohne Beruf, nichtwahr?

Helga: Ich bin Mitglied des Nationalver-
bandes deutscher Offizierssrauen.

Der Kommissar (der Takt genug hatte, dies zu
überhören). Nun sagen Sie mir einmal, Fräu-
lein, was hatte Ihnen der Erzberger eigent-
lich getan?

Helga: Erzberger hat die Schlagsahne ver-
teuert.

Der Kommissar: Hm. Halten Sie das für
verwerflich?

Helga: Natürlich. Womit soll denn Tante
Agathe ihren Mops füttern?

Der Kommissar: Und machen Sie sich
keine Gedanken über die vielen armen Kinder,
denen dadurch die Milch entzogen wird?

Helga: Mein Herr, über sexuelle Probleme
unterhalte ich mich nicht mit Ihnen!

Der Kommissar (wischt den Schweiß von der
Stirn): Nun zu Ihnen. Sie sind Harald Müller,
20Jahre alt, Student, ehemals Fähnrich zur See,
zuletzt Oberleutnant der Erhardt-Brigade?

Harald Müller: Jawohl.

Der Kommissar: Und iveshalb verfolgten
Sie Erzberger mit Ihrem Haß?

Harald: Aus vielen Gründen. Erzberger
hat den Völkerbund gegründet, so daß Seine
Majestät der deutsche Kaiser auf der Konferenz
von Spaa sich gezwungen sahen, den Friedens-
vertrag von Versailles zu unterschreiben. Der
Schädling Erzberger hat die indirekten Steuern
ausschließlich dem Besitz aufgebürdet, nachdem
er die Sanktionen unter Verletzung des völkischen
Empfindens vereinbart und den oberschlesischen
Befreiungskrieg hintertrieben hatte.Die schwarze
Schmach, an der Erzberger hervorragenden —

Der Kommissar: Stopp! — Sagen Sie,
was studieren Sie?

Harald: Ich habe politische Fächer belegt.

Der Kommissar: Und haben Sie das, was
Sie soeben vorgetragen haben, auf den Vor-
lesungen gehört?

Harald: Haben Sie Ahnung! Da werden
noch ganz andere Sachen vorgebracht!

Der Kommissar: Billigen Sie den poli-
tischen Mord?

Harald: Aber bitte, lassen wir doch die ge-
schäftlichen Sachen aus dem Spiel, Herr Kom-
missar! (Hier bricht der Beamte stöhnend zusammen
und muß in Erholung gehen.) W.

Lieber Jacob!

De Kohlen werden teirer un seit vier Wochen
bin ick uff keenen Flaumensteen mehr ausje-
jlitscht. Det is det sicherste Zeichen, det der
Herbst unwiderruflich anjefangen hat. Et hat
dieses Jahr 'ne janze Weile gedauert, ehe det
de Natur so weit war, denn wir mußten doch
erst den zweeten Sommer erledigt jehabt haben,
verstehste. Uff de Belleviestraße fingen de Ka-
stanjen im September nochmal zu bliehen an
un bei meinen Fremd Edeward brachen de
Friehlingsjefiehle durch. Der Mann is zu an-
fällig, uff jeden Witterungswechsel reajiert er
sauer. Sowie de ersten Winterfreste ansangen,
kriegt er 'n Deliriumsanfall von wejen dem
Villen Jilka, den er als Vorbeijungsmittel jejen
de Jrippe jenießt, un sowie de Kastanjen blie-
hen, bricht bei ihnr 'ne Eheirrung aus. Dies-
mal war se besonders heftig, weil et sich eejent-
lich um 'n Rickfall handelte, denn iu't Frieh-
jahr hatte er et bei de richtije Boombliete schon
eenmal jehabt. Ick war in rechte Sorje um
ihn, denn sein jauzet Jeld ging in Liebe druff.
Zweemal habe ick versucht, ihm ernstlich in't
Jewissen zu reden. „Edeivard," sagte ick, „denke

an deine neinköppije Familje!" „Ick denke den
janzen Dag an ihr," drillte er, „un ick winschte,
se wäre wo anderst! 'n verheirater Mann is
wie 'n Affe. Wenn ick vor zwanzig Jahren so
klug jewesen wäre wie heite, denn halte ick
mir vor dem standesamtlichen Fehltritt schwer
jehietet. Theoretisch bin ick ieberhaupt immer
een Anhänger von de freien Liebe jewesen, aber
in de Praxis ließ ick mir von ieberlebte Vor-
urteile betimpeln, un nu sitze ick da mit meine
Olle — von die acht Kinder janz zu jeschweijen!
Ick bin een Opfer meiner ehelichen Jewissen-
haftigkeet jeworden!" Ick suchte ihm sanft zu-
zureden. „Quatsche keene Arien, Edeward!"
sagte ick, „wenn du vor zwanzig Jahren so klug
jewesen wärst wie heite, denn hätten se dir in
de Fiersorj e jestochen!" „Du kennst ihr nich, sonst
wirdste anderst reden !" seifzte Edeward, un een
verklärtes Lächeln leichtste aus seine Kulpsen.
Ick merkte, det ick et mit eenen Quartalsverrick-
ten zu tun hatte, un jab de Runde uff.

Zwee Wochen später sahen de Kastanjen uff
de Belleviestraße, det se sich in de Jahreszeit
jeteischt hatten, un ooch Edeward kehrte rei-
mietig in den Schoß seiner Familje zurick. Seine
Olle is an diese Extratouren mit de Zeit ja
schon jewehnt jeworden, aber se sagte nur,
wenn in't nächste Jahr wieder zwee Boom-
blieten sollten sind, denn leitet se den Schei-
dungsprozeß ein. Ick kann det die Frau nich
verdenken, aber ick sage mir doch, wenn dem
lieben Herrjott seine Natur selber anfängt
breejenklietrig zu werden, denn kann man von
eenen irdeschen Menschen ooch nich ville wat
anderes erwarten. Hoffentlich kriejen wir dies
Jahr nich noch zwee Winter, denn sonst muß
ick for Edeward'n seine Jrippe-Kuren det
Schlimmste befirchten. Et is doch sehr traurig,
wenn een Mensch so anfällig is.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'u Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Redakttonsschluß 4. Oktober 1921
 
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