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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0226
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10352

Der tüchtige Beamte

Von Friedrich Wendel

Durch Städte und Städtchen wurde es ge-
tuschelt: seine Mutter war eine Waschfrau, und
er selber hat als Junge auf der Friedrichs-
brücke mit Streichhölzern gehandelt.

„Er" stand vor seiner alten Mutter, die ihr
bescheidenes Stübchen im Arbeiterviertel nicht
hatte verlassen wollen, er hielt ihre arbeits-
treuen Hände in den seinen und sagte: „Na,
dann bis heute abend, Mutter! Jetzt bin ich
also Regierungspräsident, und heute ist Amts-
einführung!" Die Mutter sagte: „Js gut, Wil-
helm, is gut! Du bist der Mann dazu! Wenn
unser Vater das doch noch erlebt hätte!" Er
antwortete, und es klang wie eine ruhige, sach-
liche Feststellung: „Vater hat gewußt, daß das
mal so kommen wird, Mutter!"

Die Zeremonie im Regierungspräsidium
wickelte sich kurz und schmerzlos ab.

Nach Schluß der Förmlichkeit ließ der neue
Regierungspräsident sich den Beamtenkörper
vorstellen. Viel ehrlicher Wille drückte ihm da
die Hand, aber auch viel katzenfreundliche Hin-
terhältigkeit krümmte den Rücken vor ihm. Er
sprach munter und frisch mit jedem, jedes seiner
Worte klang nach Arbeitsfreudigkeit: wir müs-
sen's schaffen, und wir werden's schaffen, meine
Herren!

Auf einmal aber stutzte er. Vor ihm stand
der Kanzleirat Wernicke. Und Herr Kanzleirat
Wernicke stutzte auch. Machte eine verunglückte
Verbeugung, ließ die bebrillten Augen ins Leere
schweifen und drückte sich vorüber.

„HerrWernicke! Ich möchte Sie nachher noch
einmal sprechen!"

Herr Wernicke klappte zusammen: „Sehr
wohl, Herr Regierungspräsident!"

Der letzte Hilssschreiber war abgetreten, und
er war allein im Bureau. Nach zehn Minuten
crschien der Kanzleirat. Korrekt, doch seineFinger
spielten nervös.

Es war ein Weilchen ganz still im Bureau.

Dann sagte der Regierungspräsident, seine
Stimme war ruhig und sachlich: „Herr Wer-
nicke, Sie erinnern sich zweifellos der Affäre
Schmidt?"

„Ich war — ich war Beamter des kaiser-
lichen Regimes, Herr Regierungspräsident,"
stotterte jener.

„Die Geschichte war ja wohl so: Sie waren
damals Kreissekretär beim Landratsamt X. Der
Landrat, ein überkonservativer Herr, hatte mit
Ihnen, Herr Kanzleirat, vereinbart, daß Sie

die Beamten des Kreisamts auf ihre politische
Zuverlässigkeit hin, wie man sie damals auf-
faßle, überwachen sollten. Nicht wahr?"

„Herr Regierungspräsident müssen Verständ-
nis zeigen. . . ."

„Wie denn? An sich ist das ja in keiner Weise
zu beanstanden. Eine Behörde, die auf politische
Weisungen arbeitet, hat das Recht, die politi-
schen Ansichten ihrer Beamten zu kontrollieren.
Ja, sie darf sogar verlangen, daß ihr Beamten-
körper zuverlässig für ihre Absichten ist."

Im Kopfe des Kanzleirats schob sich etwas
durcheinander. „Es war allgemein üblich, Herr
Regierungspräsident!"

„Ganz recht. Nun aber arbeiteten Sie in
etwas eigentümlicher Weise. Sie drängten sich
in private Zirkel und Vereinigungen und be-
richteten über jedes Wort, das da gesprochen
wurde." Das kleine Hoffnungsflämmchen, das
im kanzleirätlichen Kopf aufgeflackert war, er-
losch jäh.

„Ja, Sie haben sogar, wie der Fall Schmidt
beweist — hier sind die Akten, die in der Re-
volution zum Glück nicht verloren gingen —,
Leute zu unbedachten Äußerungen provoziert
und sie den Vorgesetzten Behörden ans Messer
geliefert. Schmiot, der brave Registrator, ver-
lor nach neun Dienstjahren seine Stellung. Er
kam herunter, er war der Stärkste nicht und
endete als Selbstmörder. Nicht wahr, Herr
Kanzleirat?" »

Der Blick des Beamten flackerte. Er hob die
Arme: „Haben Sie Mitleid, Herr Regierungs-
präsident!"

„Sie waren also, Herr Kanzleirat, was die
Arbeiter einen Spitzel zu nennen pflegen. Sie
waren sogar ein Lockspitzel."

Der Regierungspräsident brach ab und blickte
zum Fenster hinaus. Eine ganze Weile lang.
Es war eine niederträchtige Minute.

„Ich will Ihnen mal was sagen, Wernicke,"
begann er mit gedämpfter Stimme, „lassen wir
die alten Geschichten ruhen. Die Zeiten haben
sich geändert. Schließlich haben Sie dem Vater-
land auf Ihre Weise dienen wollen."

„Gewiß. Wer konnte ahnen . . ."

„. . . Daß ein Sozialdemokrat mal Regie-
rungspräsident und Ihr Vorgesetzter wird! Ich
will Ihnen jetzt einen Vorschlag machen: Sie
haben sich im erwähnten Nachrichtendienst als
äußerst geschickter Beamter erwiesen. Sagen
Sie — wollen Sie für mich in gleicher Eigen-
schaft tätig sein?"

Ein grinsender Mund sprach: „Mit dem größ-
ten Vergnügen, Herr Regierungspräsident!"

„Na, sehen Sie! Sie sind eine Perle, mein
lieber Wernicke!"

„Pflichtsache, man tut, was man kann, Herr
Regierungspräsident!"

„Na natürlich, man tut, was man kann! —-
Na, und nun danke ich Ihnen recht schön, daß
Sie so brav in die Falle getappt sind! Sie dür-
fen sich von morgen an als beurlaubt betrach-
ten. Ihre Entlassung erfolgt zum nächsten fäl-
ligen Termin. Ihre Pensionsverhältnisse wer-
den beschleunigt geregelt werden. Sie sind ein
Gesinnungslump, und Gesinnungslumpen kann
ich nicht brauchen!"

*

Auf der Friedrichsbrücke stand ein Mann
mit Streichhölzern. „Na, wie geht's, Genosse?"
fragte er fröhlich den Regierungspräsidenten,
als der vorüberkam und eine Schachtel kaufte.

„Vorwärts geht's, Kinder," sagte der Sohn
der Waschfrau, „wir werden's schon schaffen!"

Raffiniert

Schieber (im Schlemmerlokal): „So, alle Deli-
katessen der Saison sind heute zu haben; als
Paprika werde ich dazu die Berichte über die
Hungersnot in Rußland lesen." M.

Weltfremd

Universitäts Professor: „Nicht schlecht,
da hörte ich heute eine große Neuigkeit: Seit
November 1918 soll Deutschland Repu-
blik sein!" m.

Geschäftsgeist

Leipziger Geschäftsleute unterhalten sich
über die „Kriegsverbrecher"-Prozesse. Da sagt
Herr Seyfsert mit schwerem Seufzer: „Ennen
Kaiserbrozeß hätt'n mer begommen soll'n.
Da hätte uns der Fremdenzustrom enn Ge-
schäft gebracht wie zur Messe." h.

Abfuhr

Bei uns ist ein Spanier auf Besuch. Onkel
Wendtland, Vorsitzender des Tierschutzvereins,
nimmt die Gelegenheit wahr, um gegen die
Grausamkeit der Stierkämpfe vom Leder zu
ziehen. Verblüfft verstummt er jedoch, als der
Spanier antwortet: „Ihr habt euren Welt-
krieggehabt, laßt uns unsere Stierkänipfe!" M.
 
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