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10395 —

5>ö^ere Einsicht

„Majestät, Jagow ist in Leipzig zur Festungshaft verurteilt. Soll
ich das Trauergeläute auf der Schloßkirche bestellend"

„Um's Himmels willen nicht! Böllerschüsse soll man loSlassen
aus Freude, daß meine Freunde Kapp und Ludendorff ungeschoren
geblieben sind!"

Äobelspäne

Ein Brieslein schrieb sie mir»

Ich sollt' treu bleiben ihr!

Sie schrieb, ich schreibe einmal bloß.

Denn sie sei ihr Erspartes los
Von wegen des teuren Portos!

•k

Da rohrten twee Königskinner,

De Haren eenander so leew,

Se wullen sick wat verteilen.

Doch kein har dat Geld für den Brcef!

k

Du hast Diamanten und Perlen,

Hast alles, was Menschenbegehr,

Du hast die schönsten Augen,

Doch auch dir langt's für Porto nicht mehr!

k

Korfanty agitiert jetzt in Ostpreußen. Von dort will er nach Paris,
London und New Jork gehen, weil auch dort unerlöste Polen wohnen.

k

Um sechs Uhr morgens in Berlin
Siehst Jagow du und andere ziehn
Durchs Brandenburger Tor,

Den Hut tief übers Ohr.

Das kann ja niemand genieren,

Wenn Jagow geht spazieren.

Mit Ludendorff schöpft er Morgenluft.

Und plötzlich naht im Frühlingsduft
Von Döberitz, von Döberitz
Heran das Militär.

Die Pfeifen quinkelieren,

Sie gehn za nur spaziere».
k

In den Parlamenten beschäftigt man sich viel zuviel mit den Hunger-
streiks der politischen Gefangenen in den Gefängnissen, saglc mein Freund
Ede; die Gefangenen wollen freiwillig nichts mehr essen, während das
ganze deutsche Volk unfreiwillig der Hungerkur unterzogen wird.

Dein getreuer Säge, Schreiner.

Ansere Vorbilder

Der „Ausschuß der Deutschen Adelsgenossen-
fchaft" wendet sich in einem Aufruf an die
Leute mit den drei Extrabuchstaben, weist auf
den vielfach zu bemerkenden Luxus der Lebens-
haltung hin und fordert den deutschen Adel auf,
durch Einfachheit seiner Lebensführung, Sitten-
reinheit, ernste Lebensauffassung und tüchtige
Arbeit vorbildlich für das ganze deutsche Volk
zu wirken. Das haben die Von-Leute zwar stets
getan, aber zuweilen ist es gut, wenn es ihnen
noch einmal gesagt wird. Und so haben die
Junker beschlossen, keinen Sekt mehr zu trinken,
ihn ganz den Jndustrieschiebern zu überlassen
und konsequent sich auf klares Wasser zu be-
schränken. Wild-, Schweine- und Gänsebraten
sollen in Zukunft den minderbemittelten Volks-
klassen zukommen, Rebhuhn und Fasan in die
Leuleküche wandern. Das Hasardspiel wird ab-
geschworen und durch Sechsundsechzig ersetzt.
Die eleganteren Damen der Halbwelt werden
veranlaßt, in ein Kloster zu geben, und der
Rennstall wird an Droschkenbesitzer verkauft.
Die ernste Lebensauffassung wird sich beson-
ders in der Förderung völkischer Politik be-
tätigen, die andere Leute humoristisch emp-
finden. Das größte Gewicht soll auf die Arbeit
gelegt werden. Insbesondere sollen hier sämt-
kiche Zeiibeschränkungen fallen und die länd-
lichen Tarife aufgehoben werde». Während es
Üch nämlich in allen anderen Dingen um per-
sönliche Angelegenheiten des Adels handelt, ist
unter Arbeit stets die Arbeit der anderen zu
verstehen. Rur die Sorge um Brok-, Kartoffel-
und Fleischpreise behalten sich die Junker selbst
vor — daran werden sie nach wie vor mit Aus-
dauer arbeiten. Wer den Adel in dieser seiner

vornehmsten Beschäftigung stört, hat keinen
Blick für die historische Mission des Blaubluts,
und nur ganz Einsichtige werden dazu ge-
langen, den Vorbildern des deutschen Volkes
mit Erfolg nachzueifern. -8-

Lieber Jacob!

Wilhelm hat sein Versprechen jehalten, in-
dem det er uns vier Jahre lang herrliche Zeiten
entjejenfiehrte. Denn sah er: herrlicher wird
det nn nich mehr, .un zog sich nach Holland
in dem wohlverdienten Ruhestand zurick. Det
dankbare deitsche Volk jenaß die Frichte seiner
sejensreichen Wirksamkeet un richtete sich ohne
ihm uffs neie ein. Aber anstatt damit zufrie-
den zu sind, jab et Leite, die et noch besser
haben wollten. Se meenten, de heitije Rejie-
rung is zu unieberlegt, zu dilettantisch, zu
ängstlich un se treibt Vetternwirtschaft, indem
det se man bloß ihre juten Fremde an de
Staatskrippen ranläßt un von de wirklichen
schenialen Staatsmänner, die in Deitichland
rumloofen, keenen Jebrauch nich macht. Um
diese Jbelstände abzuhelfen, beschlossen dunne-
mals Kapp un seine Vundesbrieder, det deitsche
Volk zu beweisen, wie eene mohlieberlegte,
sachkundije, mutije un von keene perseenlichen
Interessen jelcilete „Rejierung der Ordnung
un der Tal" ausseben misse. Zu diesen Zwecke
trafen se sich in plailinäßije Wohlieberlegtheit
friehmorjens janz zufällig an't Brandenburjer
Tor, fuhren in de Reichskanzlei un fingen an
zu refferen. Aber die Sache jing nich los,
weil immer een juter Freind dem andern von
de Krippe wegdrängeln wollte, un det Janze
sich schließlich zu eene „Schieber- un Händler-
beerse" entwickelte. Nachdem se uff diese Weise

'n paar Tage lang „Judenschule" jespielt batten,
sahen se ebentso wie Wilhelm ein: scheener wird
det nu nich mehr, — un machten sich ebent-
falls dinne. Kapp zog sich nach Schweden zu-
rick, von wejen den Punsch, Wangenheim ver-
duftete hinter seine Misthaufen, nur Jagow
entdeckte, det er eejentlich mang de Potsdamer
jeheerte, un nahm seinen dementsprechenden
Wohnsitz. Det deitsche Volk aber verjaß in
diesem Fall seine anjeborene Dankbarkeit un
langte sich de Weltbejlicker, soweit se ihnen
habhaft werden konnte, vor't Jerichtstribunal.
Da hatten denn die Helden Jelejenheik, de
Effentlichkeit zu zeijen, wat Kurasche is. Aber
ihre natierliche Bescheidenheit verbot se, von
diese Jelejenheit Jebrauch zu machen, un da-
her erklärten se alle, det se jar keenen Umsturz
nich beabsichtigt jehabt hätten, sondern man
bloß de bestehenden Zustände verteidijen woll-
ten un so, un det se ieberhaupt nischt weiter
wie „stille Zuschauer" bei den janzen Feez je-
wesen seien.

Dieser jrotze Edelmut der Edelsten un Be-
sten hat in de weitesten Kreise eene unieber-
windliche Hochachtung hervorjerufen, un et
steht zu hoffen, det sich recht bald wieder von
die schenialen Staatsmänner, die beschäftijüngs-
los in Deitschland rumloofen, een Bäckerdutzend
zusammenfinden wird, um eeneMusterrejierung
inzurichten. Zu riskieren is ja nischt bei, sinte-
malen et in de deitsche Republik for feudalen
Hochverrat keen Zuchthaus nich jibt, un wat
Wilhelm'» un Kapp'n vorbeijelungen is, det
kann bei 't dritte Mal dem stillen Zuschauer
Ludendorff vielleicht jlicken.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Redalllonslchluß 27. Dezember J921.
 
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