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Das vergitterte Land

Von Max Barthel

In Belgien war der große Bergarbeiterstreik.
Von seinem dunklen Echo angezogen, waren
wir wieder einmal losgewandert, der ewigen
Landschaften müde, der Berge, der Wälder
und sternübersäten Nächte, wir hungerten und
dürsteten nach der rauhen Umarmung der Hoch-
öfen und Förderschächte. Die Kraue sollten
uns in die feurige Welt der Arbeit reißen,
die Martinswerke umschmelzen, die Dampf-
hämmer mit tausend Atmosphären zurecht»
hämmern.

Nun flammten die Hochöfen auf, hie För-
dertürme arbeiteten, die Eisenwerke polterten,
der metallische Schrei der Arbeit klang lieb-
licher in unseren Ohren als der Lerchengesang
über den Feldern, der im blauen Himmel hing
wie ein Garten jubilierender Weintrauben.

Aber wir saßen im Gefängnis. Hinter Ar-
lon in Belgien hatte uns ein Landjäger mit-
ten im Wald verhaftet, an die Kette gelegt
und wie Mörder oder Schwerverbrecher durch
das Dorf geführt und nach Arlon transpor-
tiert. Am Bahnhof stand schon der Gefängnis-
wagen, in zwei Minuten fuhren ivir in das
schwarze Tor ein, in die Unterwelt, in die
graue Schar der Abgeschiedenen, der Recht-
losen, der Büßenden, die immer schlechter
werden und auf Rache sinnen.

Das Gefängnis war ein kleiner grauerKasten.
Wir wurden in eiserne Käfige gesperrt, in eine
Zelle arls Drahtgitter, in der ein Bett und ein
schmutziger Wasserkrug stand. Vor den Zellen
war ein breiter Gang, in dem Stroh lag, aus
dem am andern Tag die anderen Gefangenen,
die wie wir von der Landstraße weg verhaf-
tet waren, Strohseile flochten. Die belgischen
Gefangenen, die das Essen brachten, hatten
vor ihren Gesichtern schwarze Masken. In
ihrer Gefängniskleidung und mit dem schwarzen
Tuch vor dem Gesicht sahen sie wie Henker aus.

Am zweiten Tag wurden auch wir auf den
freien Gang hinausgelassen, sollten arbeiten,
hingen aber mit den anderen Kameraden oben
an den kleinen vergitterten Fenstern und sahen
in die Stadt, sahen einen winzigen Ausschnitt
der Stadt wie durch ein Guckkastenloch auf
einer Jahrmarktbude. Es war gerade Kirmes,
wir hörten in unserem Gefängnis die Dudel-
säcke und Pauken, hörten die grellen Stimmen
der Ausrufer, die kreischenden Schreie der
Mädchen, kindliches Jauchzen und manchmal
auch abends, wenn wir schlaflos lagen, das
sinnbetörende Lachen eines Mädchens.

Die anderen Gefangenen waren gerissene
Brüder, die immer durch die Länder stromerten,
aber es waren auch einige Jünglinge dabei,
die wie wir von der Unruhe des Blutes durch
die Welt getrieben wurden.

An einem Morgen kamen die Wärter. Die
Gefängniswagen standen schon auf dem licht-
losen Hof, wieder fuhren wir nach dem Bahn-
hof, wurden gefesselt und durch die gaffende
Reihe der Bürger nach dem Transportwagen
getrieben, an dem uns strenge Polizisten mit
Gummiknütteln in Empfang nahmen und in
die isolierten Zellen hineintrieben. Diese Zellen
waren gerade so breit, daß ein Mensch darin

sitzen konnte. Durch ein Loch in der Decke,
über dem eine vergitterte Milchglasplatte lag,
quoll trübes Licht. Wir fuhren, wir fuhren,
keiner wußte wohin. Nach Brüssel? An die
Grenze? Wir werden ausgewiesen, das wußten
wir, weiter nichts.

Die Fahrt ging tagelang. Am Abend be-
gann in einer Nebenzelle ein Mann zu toben.
Er hämmerte mit den Fäusten an die schwere
Tür, er brüllte und raste. „Ich verdurste! Ich
verdurste!" hörten wir ihn schreien, „Wasser,
Wasser!" rief eine andere Stimme, aber da
kamen die Wächter mit den Gummiknüppeln
und schlugen auf die Schreienden ein, bis sie
nur noch leise und schmerzvoll wimmerten.

Der Zug hielt oft stundenlang. Wir hör-
ten mit dem feinen Ohr der Angst die nächt-
lichen Geräusche der Bahnhöfe: rangierende
Züge, sich zurufende Stimmen, Glockensignale,
die Pfiffe der Lokomotiven, einmal bellte ein
Hund, ein andermal lachte eine Männerstimme.
Die Wächter gingen manchmal an unseren
Zellen vorüber oder blieben stehen und be-
obachteten uns durch den schmalen Schlitz des
Gucklochs, in dem ihr Auge grell und höhnisch
stand und lauerte.

Endlich kamen wir in Brüssel an und liefen
wieder geduckt durch die Gasse der Bürger
nach den Gefängniswagen, die uns dem neuen
Gefängnis zuführten. Durch die Gitter dieser
Wagen konnten wir die Stadt sehen: die kühle
Pracht des Justizpalastes, im Morgennebel die
alte Stadt wie von einem Berg, und das
Volkshaus, in dem schon die Lichter brannten.

Das Brüsseler Gefängnis war groß und
hell, die Schlafsäle sauber, es gab keine ge-
schlossenen Zellen, wir konnten nachts mitein-
ander reden. An meiner Bettseite lag ein Deser-
teur, der in Brüssel verhaftet worden war und
wie wir mit dem nächsten Schub nach Deutsch-
land abgeschoben werden sollte. Er fluchte und
bebte. „Mensch," sagte er, „fünf Jahre Festung
sind mir sicher. Fünf Jahre! Wer da nicht ver-
rückt wird, ist kein Mensch. Zweiundzwanzig,
ich bin jetzt zweiundzwanzig, und fünf, zwei-
undzwanzig und fünf ist siebenundzwanzig. Da
ist die Jugend vorbei. Ich war Schlosser, weißt
du, Schlosser^ und ging gern zum Militär.
Aber sie haben mich verrückt gemacht. Dienst
ist Dienst, das weiß ich, aber muß man den
Abtritt mit der Zahnbürste sauber machen?
Das sage mir. Muß man hundertmal Knie-
beuge machen, weil es einem dummen Unter-
offizier so gefällt? Nein, das muß man nicht,
da bin ich getürmt, und jetzt geht die Sache
fünf Jahre, fünf Jahre. Lieber schieße ich mich
tot. Hast du eine Zigarette, Kamerad?"

Wir waren drei Tage im Brüsseler Gefäng-
nis. Morgens um neun Uhr gingen wir zum
Arbeitssaal, der hell und geräumig wie eine
Schule war. Die Arbeit begann mit Gebet.
Ein belgischer Gefangener, ein Fläme im
Kittel und breiten groben Holzschuhen, stellte
sich vor uns, faltete die Hände und fing zu
beten an. In das „Amen" fielen die anderen
laut und schallend ein. Dann setzten wir uns
in die Bänke und sortierten Papierschnitzel,
die weißen für sich, die bunten für sich. Flüster-
gespräch lief an den Bänken entlang. Gegen
Mittag war die Hofstunde. Da trotteten wir
mit drei Schritt Abstand im viereckigen Hof
umher, in dessen Mitte ein kleines liebliches
Blumenbeet blühte. „Stillschweigen ist Ver-
pflichtung", stand an den vier Mauerwänden
geschrieben, und wenn einer von uns das Ver-
bot brechen wollte oder der Abstand der Wan-
dernden sich verringerte, kam der Wärter, groß
und grob, und drohte mit Dunkelhaft.

Am vorletzten Tag, ehe wir abtransportiert
wurden, kam in der Arbeitsstunde ein Priester

in schwarzem weibischem Gewand. Der flä-
mische Vorbeter rief: „Achtung, ausstehen!"
Wir ließen die bunten Papiere liegen und
standen auf. Der schivarze Priester, ein junger
Mann, leicht und elegant, schwang sich auf
den-erhöhten Platz des Aufpassers und hielt
eine Rede.

„Meine Brüder," rief er im warmen Flä-
misch, „der Mensch besteht aus zwei Teilen,
aus dem Leib und der Seele. Der Leib zer-
fällt zu Asche und Staub, aber die Seele
schwingt sich auf zu Gottes Herrlichkeit. Gott
ist der Allerbarmer. Auch euch, die ihr jetzt
hier in Schuld und Schande sitzt, hat er nicht
vergessen. Er wartet, daß ihr wieder den
rechten Weg zu ihm findet. Wer aber verstockt
ist, dessen Seele muß immer in der Hölle
brennen. Immer und ewig brennt die arme
Seele in dein verzehrenden Feuer, es gibt
nichts zu essen, es gibt nichts zu trinken, ihr
schreit nach einem Tropfen Tau, der eure
Pein lindern soll, aber der Teufel tränkt euch
mit flüssigem Blei, er zersägt euch, er schindet
euch, immer und ewig, wenn ihr eure ver-
stockten Seelen nicht jetzt in dieser Stunde mit
Tränen reinwascht und in euch geht und wie-
der zu dienenden Kindern des wahren Gottes
werdet und die heilige Jungfrau und alle Für-
sprecher bittet, daß euch vergeben werde. Gott
in seiner himmlischen Geduld hat mich in dieser
Stunde zu euch geschickt, euch zu beschwören
und Heimzurusen in den Gnadenschoß unserer
heiligen Kirche. Wer von euch Reue fühlt,
melde es am Abend dem Wärter, ich will
kommen und ihn trösten und einführen in
das Licht der Erlösung, und den Teufel be-
schwören, daß er seine schwarzen Krallen von
euch läßt."

Er schwieg erschöpft und wischte mit seinem
seidenen Tüchlein den Schweiß von der Stirn.
Dann wurde sein verklärtes Gesicht wieder
bürgerlich, er sprang mit einem leichten Satz
von der erhöhten Schwelle, nickte noch einmal
freundlich und verschwand.

Am nächsten Morgen wurden wir rauh ge-
weckt und verladen. Die Polizisten standen
wieder mit den Gummiknüppeln rechts und
links des Weges. Einer hieb aus reinem llber-
mut einem alten Vagabunden, der schlechte
Füße hatte und humpelte, den Knüppel über
den Rücken.

Wir fuhren den ganzen Tag, wir fuhren die
ganze Nacht, am anderen Tage erst kamen wir
an die deutsche Grenze und wurden wie Tiere
übergeben. Von den zwanzig Landstreichern
kamen nur drei frei, die anderen gingen noch
einmal den Leidensweg durch die deutschen
Gefängnisse. Der Deserteur kam auf Festung,
die anderen hatten alte Strafen zu verbüßen
oder neue anzutreten. Ich fuhr mit Jonas nach
Köln und schwamm im glückseligen August den
väterlichen Rhein hinunter nach Holland.

Unser Wintersport

Sic fahren lchneelchuhdelacien
Nach Sankt moritz und huldigen dort,
wie lie es gewohnt lchon seit jahren,
Ihrem reizvollen Wintersport.

wir aber bleiben zu Hauke,

Man hat uns Lntlagung gelehrt,

Unker Magen liefert alltäglich
Uns dakür ein Oratiskonzert.

wir schlottern mit knie und Waden,
klappern mit den Lähuen im flkkord,
vas ilt in den kommenden lagen
Unter reizvoller Wintersport! wnixvünger
 
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