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Der „trockene" Amerikaneronkel

Von Hamburg aus hatte er telephoniert, er
käme morgens um 10 Uhr an. Der Vater stand
an der Bahn, um den Schwager, der seit
dreißig Jahren deutschen Boden nicht betreten
hatte, würdig einzuholen. Um halb 1 Uhr kam
der Vater allein in die Wohnung zurück.

Mit enttäuschten Gesichtern fragten Fran
und Kinder nach dem Heißersehnten aus Ame-
rika. Ob er denn nicht gekommen sei.

„Doch," antwortete der Vater. „Pünktlich
eingetroffen. Ich hatte ihn auch bald heraus-
gefunden. Der Onkel litt aber entsetzlichen Durst
von der langen Fahrt, wie er sagte, und mußte
erst die Bahnhofsrestauration aufsuchen, wo
er sechs Helle trank."

„Ja und dann?"

„Dann machten wir uns auf den Weg hier-
her. Kaum waren wir aber zehn Minuten ge-
gangen, als er über Trockenheit im Hals zu
klagen begann. Er könne nicht mehr spucken,
sagte er, und stürzte von mir weg in den
,Kaisergarten', wo er sich zwei Münchner
kaufte."

„Aber wo ist er denn jetzt?"

»Jetzt sitzt er drüben im ,Roten Hahn'. Ich
brachte ihn mit Mühe bis ans Haus, aber
das Wirtshausschild zog ihn magnetisch an.
Er war unfähig, die Treppe heraufzusteigen,
ohne sich vorher restauriert zu haben. Ich zeigte
ihm die Wohnung, und er wird ja nun bald
kommen."

Es dauerte aber noch eine Stunde, bis der
Erwartete an der Glastür läutete. — „O,
liebe Schwester, wie geht's im alten Europa?
Damned, du wohnst hoch! Vier Treppen! Hast
du nicht einen Willkomm-Drink für einen
trockenen Amerikamann?"

Man brachte ihm ein Glas Wein, das man
ihm zu Ehren erstanden hatte. Er leerte es mit
einem Zug. Dann ging's zum Essen.

Der Onkel zeigte sich wenig gesprächig. Er
tat, als wäre er schon jahrelang hier bei Tisch.
Oft schien er wie geistesabwesend. Nach der
Mahlzeit fragte er nach einem Whisky. Die
Schwester wußte nicht einmal, was das ist.
Da ließ der Amerikaner wieder seine Augen
gedankenvoll in die Ferne schweifen und sagte:
„O, ihr wißt gar nicht, wie arm ihr seid in
Deutschland!"

Am Abend, nachdem der Onkel mit dem
Schwager eine Bierreise durch die Stadt ge-
macht hatte, begab er sich zur Ruhe. Er bat
noch um einen Nachttrunk. Die Schwester stellte
ihm eine Literflasche mit Kognak, die sie für
Krankheitsfälle schon lange zurückgestellt hatte,
auf seinen Nachtlisch und daneben noch ein
Schnapsgläschen.

Am andern Morgen war die Flasche leer
bis auf einen kleinen Rest. Die Schwester
kragte: „Ist dir die Flasche umgefallen?" Der
Amerikaner schaute verwundert drein und er-
widerte: „No."

Die Schwester prüfte das Gläschen, roch
hinein und sah, daß es unbenützt war. „Die
Flasche muß dir doch umgefallen sein?"

„No," murrte der Onkel, „ich bin drüben
nur zu trocken geworden und muß mich an-
feuchten."

Erst als sie ein paar Tage seine Lebens-
gewohnheiten studiert hatte und sah, welchen
Mengen Alkohol der Bruder gewachsen war,
wunderte sie sich nicht mehr. Der Amerikaner
wurde einfach von nichts mehr besoffen. Er
war total ausgepicht. Reden konnte man nicht
viel mit ihm. Seine Gedanken, wenn er über-
haupt welche hatte, waren immer anderswo.
Von Zeit zu Zeit erwachte er plötzlich aus
seiner Lethargie und sagte: „Damned, ich kann

Märchen

Großvater: „In nieiner Jugendzeit aß man

sich täglich satt und —"

Enkel: „Großvater, schäm dich, so zu lügen!"

nicht mehr spucken, ich muß einen Drink neh-
men." Und dann schoß er in ein Lokal.

Eines Tages packte er plötzlich seinen Koffer
und verabschiedete sich ohne viel Umstände.
Auf die Frage, ob er nicht noch bleiben wolle,
antwortete er kurz: „O nein, ich muß noch
nach Oberammergau; ich habe versprochen."

Am Sonntag aber geschah ein Wunder: er-
trank Tee wie andere Leute auch und fragte
nach keinem „Drink". Besorgt riet die Schwester
auf Krankheit.

Als sie ihn befragte, antwortete er schlicht:
„Halt's Maul! Man muß doch den Feiertag
heiligen. . . ." ___ F. m.

Stimmt

Obwohl die Reichsbank beschriebene Geld-
scheine neuerdings nicht mehr einlöst, habe
ich dieser Tage doch eine der neuen 500-Mark-
Banknoten mit einer Inschrift erwischt. Da
las ich auf der weißen Rückseite:

„Das Unzulängliche, hier wird'S Ereignis!"

Monarchistisches Familienfest

„. . . Und aus welchem Anlaß feierten Sic
gestern ein Familienfest?"

„Mein kleiner Sprößling hat zum erstenmal
auf die Republik geschimpft.

Obstwucher

„Wovon Ihre Appel rote Backen haben, weeß ick:
weil sie sich über ihren Preis schämen."

Der Untergang des Abendlandes

vor nieiner Tür ward ein Trabtat verteilt:
„kjier, lieber Leser, nimm er in die Hand!"

Bald hat das letzte Schicksal uns ereilt,

Es geht zu Ende mit dem klbendland!

Nun stülpet übern Kopf die Trauerhaubcn!

Die ganze Prophetie hat man gefragt,

Und wer's nicht will, der wird es schon noch
glauben,

Und überdies hat's Spengler auch gesagt.

Bis klnno neunzehnhundertfünfundzwanzig
Hat Pest und Seuche alles hingerafft,

Dann bebt die lvelt vom Titicacasee bis Danzig,
lvch dem, der's nicht bis dahin hat geschafft!

Das ist gewiß: Des Lebens Niedergang
Merkt schon der Großpapa im großen 3eh,

Und daß es abwärts geht, weiß man schon lang
Und spürt man täglich tief im Portemonnaie.

Soll denn die ganze schöne lvelt verschwinden
Mit allem, was im Sonnenlichte strahlt?

Schon den Gedanken kann man schwer ver-
winden,

vor allem sind - die Schulden nicht bezahlt!

Buch stehen hohe Güter auf dem Spiele:

Haus Doorn — der edle polnische Valutastand,
Berlin, wie's tanzt im Schnaps der Uosendiele,
Und dann das Hofbräuhaus im schönen Bayern-
land.

In mancher Hinsicht könnt es gar nichts schaden-
Wenn übers Knie gelegt die Menschheit würd'
versohlt,

Wie tröstlich, wenn der Teufel auch die tldvo-
katen,

Die links vom Uheine wohnen, alle holt! A.V.

Vorschläge zur Güte
Wie wäre es, wenn die „Rote Fahne", die
jetzt ihr Abendblatt einstellt, auch das Morgen-
blatt einstellte?

Wie wäre es, wenn von dem notorischen
Überfluß an Kupfer in Amerika unserm Klein-
geldmangel abgeholfen würde, ehe es drüben
Grünspan kriegt?

Wie wäre es, wenn die Reparations-
kommission erst einmal ihr Gehirn repa-
rieren würde?

Wie wäre es, wenn Mussolini, der den
Religionsunterricht in Italien fördert, auch
den Spruch lernte: „Liebet eure Feinde"?

Wie wäre es, wenn Herr George Silvester
Viereck, der in den deutschnationalen Blät-
tern und Blättchen Wilhelm II. und seinen
Kreis über den grünen Klee lobt, auch mathe-
matisch die ebenso unmögliche — Quadratur
des Zirkels betriebe? Punktum

Schieberstandpunkt

Schieber Raffmüller liest in einein Nachruf,
daß der Verstorbene zeitlebens ein ehrlicher, an-
ständiger Mensch gewesen. „Gott," sagt Naff-
müller, „welch verlorenes Leben!" H. Maro

Der Atheist

Am Stammtisch erzählt jemand, daß er von
einein Pastoren gelesen habe, der fünf Tage
in der Woche als Bergmann arbeite. Da
brummt vr. Krell: „Warum soll sich nicht auch
ein Pastor mal nützlich beschäftigen."

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