Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
29 • - ->

Valuta-Kunst

„Ihr neuer ,Nembrandt' ist ja ganz schön. Aber
könnten Sie mir nicht dasselbe Bild ein bißchen
kleiner im Format und dann als ,Franz Hals'
liefern? Der ist doch auch ganz modern."

„Ne janze schöne Jeige — aber wenn Sic das
Ding als Aniati verkaufen wollen, dann schießen
Sie man noch erst mit Schrot ein paar Wunn-
löchcr rin."

„Sagen mal, Herr Kunstbildhauereibesitzer, ich
habe noch ein Pfund altes Wachs — Vorkriegs-
ware. Könnten Sic mir daraus bis morgen abend
einen echten Michelangelo modellieren?"

Die Eunuchen

des abgedanktcn türkischen Sultans sind ent-
lassen worden und sehen sich nach anderer
Tätigkeit um. Zwei Angebote liegen vor. Eins
vom internationalen Kapital, das die maß-
gebenden Preßstellen sicher besetzen will. Das
zweite von den Deutschvölkischen, die Lehrer
für das Bauchrutschen vor umgeschmissenen
Fürstenthronen brauchen und eine zuverlässige
Garde für den zukünftigen Sultan von Deutsch-
land schaffen wollen.

Die Eunuchen überlegen noch; sie sind im
Zweifel, ob sie mit den einheimischen Kastrier«
ten konkurrieren können.

Anpassung

Einige Stadtsynoden klagen über schlechte
Grundstücksgeschäfte: die Friedhöfe rentieren
sich nicht. Man fürchtet eine weitere Zunahme
der Einäscherungen, trotzdem das Feuer und
besonders die Leichenverbrennung bekanntlich
ein Monopol des Teufels ist. Was kann man
da machen? Die Frommen in Berlin denken
an ein kirchliches Krematorium, um der Kon-
kurrenz zu begegnen. Sie tun's nicht gern und
seufzen dabei. Aber wenn Erd- und Himmel-
reich nicht mehr ziehen, macht die Kirche auch
eine Filiale der Hölle auf. Geschäft ist Geschäft.

Nur der bayerische Dichter Baldrian Fernhalten
kann auch diese Richtung nicht mitmachen. Der
hat heute noch denselben Dalles, den er schon
vorm Krieg hatte.

Im Zchieber-LafS

wir haben Moneten,

Ivir haben auch Zeit.

Mir find nicht Proleten;
Ivir lind ru gescheit.

va klagt man wohl heute.
Oie Milch lei lo rar.
sich Leute, ach Leute,

Oas itt ja nicht wahr.

Cs milchen die Rinder
Vach heiliger Pflicht.

Und lterben die Kinder —
Mas trinken lie nicht?

Und wackeln die Oöhren
fluf krummem Qebein —
wir wollrn's nicht hören.
Ls klingt lo gemein.

Ls ilt, als ermahne
Uns Tod und Skorbut,
wir löffeln Schlaglahne.
Schlaglahne lchmeckt gut.

Hoch Mokka und Porte!
Hinein in den Schlund.

Ha, untere Sorte,

Oie ilt noch gelund. p.

Lethe

Eine Zeitbetrachtung

Die alten Griechen wußten von einem Strome
jenseits ihrer sonnigen Gestade, auf dem fuhr
sie der schweigende Fährmann nach dem Tode
in das Land der Schatten. Beim Hinüber-
gleiten sahen die toten Seelen einander weh-
mütig an, hoben ihre Schalen und tranken ein-
ander Vergessen zu.

Hört ihr nicht schon lange das Rauschen der
stygischen Gewässer durchs deutsche Land?
„Brüder!" rufen die von der Lust Trunkenen,
„ehe die Wellen der Zeit über uns zusammen-
schlagen, laßt uns vergessen!" Und ihr Strom
heißt ganz ähnlich wie „Lethe", nämlich Likör.

Früher galt: Wer Sorgen hat, hat auch
Likör. Nach der Stärke des süße» Stroms zu
urteilen, müssen wir sehr viel Sorgen haben,
aber unlogischeriveise trinken den meisten Li-
kör die Sorgenlosen.

Aus Ostelbien und anderen gesegneten Ge-
filden kommt der Strom, und der goldene
Segen fließt wieder zurück zu den Quellen
des süßen Giftes. Mutter ist die nahrhafte
Kartoffel, die verschobene, versteckte, von den
Mitleidlosen verwucherte, und der Vater der
liebe Zucker, ein problematischer, weitgereister
Herr. Das gibt eine brave Kreuzung!

Am Dünnbier verdarb sich der deutsche Ma-
gen, mit Starkbier hätten wir vielleicht „durch-
gehalten", des Vollbieres Güte ist noch nicht
erreicht, da griff die deutsche Hand zu einen:
konzentrierten Ersatz, zu einem Zaubertrank,
der eilig trunken macht, und schafft sich „Ver-
gessen!"

Man muß vergessen die Bilder der Not, der

Straße, den Jammer der Tage-. Und

rührend ist für eine sinnige Kredenz des Lethe-
trunkes gesorgt. Aller Wohnungsnot Trotz
bietend, schießen Likörstuben auf wie Spargel.
Die Schnapsinseln sind in der ganzen Stadt
zerstreut. Dorthin kann man sich retten, wenn
anderswo „alles geschlossen" ist; den letzten
Shimmyklang noch im Gebein, flüstert man
dem lieben Schah ins Ohrchen, daß man noch
irgendwo ein Likörchen trinken müsse. Man
schwankt nur zwischen den Firmen, bis man
sich unter angenehm oder unangenehm schwan-
kenden Gestalten befindet. Stimmung!

In einer gemütvollen Ecke feiert und be-
gießt ein Grüppchen die gute alte Zeit, da
man noch Fahnenjunker war. . . . Mit jedem
Schuäpschen wird die Zukunft Heller, Herz
und Brieftasche leichter, die Zunge wird ge-
lenkiger und redet von den großen Taten in
der Etappe. Und das deutsche Mädchen blickt
ihn selig an. Auf den Barböcken aber hocken
die Jünglinge der schönen Konfektion und sanft
gewordene Börsenwölfe im Schafspelz zwischen
Strohhalmen und Waffeltürmen und schicken
ihre Nachtgebete zur lilienarmigen Mixerin
empor.

In der Morgenfrühe entquellen diesen Para-
diesen die letzten Bassermannschen Gestalten.
Wer Pech hat, kann zur Leiche im Landwehr-
kanal werden oder in einer Sipowache er-
wachen. Keine Angst! Ein Wink genügt. Das
Auto wartet ja, und Charon im Gummimantel
trägt die Müden in die himmlischen Gefilde
des besten Westens.

Dunkel drohen die Zeiten. Tausend Fenster
werden finster liegen, aber in den Trokaderos
und Torkelstuben wird man tobend Vergessen
trinken aus dem Strom, der dem mageren
Schoß der Armut entquillt und segnend die
Satten tröstet.

Ihr anderen aber, vergeht dies nicht! Blei-
bet wach und trinkt aus den: Strom des Lebens
das große Erkennen! a.V.
 
Annotationen