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brachen).mit dem Bewußtsein, einen schönen
Abend verlebt zu haben.

Aus diesem Artikel erfuhr der Lehramts-
praktikant Sierming, der an diesem Tag bis
fünf Uhr abends schlief, daß er ein beifällig
«rfgenommenes humoristisches Gedicht zum
Bortrag gebracht hatte. Anfänglich glaubte er.
sich verlesen zu haben. Er sah etwas undeut-
lich an diesem Tage. Aber es war schon so.
Sein Name stand da in Sperrdruck wie der
des Schneiders Schlicksupp und aller andern.
Da wurde ihm doch ein bißchen schwül. Das
Ganze war ihm unverständlich, wenn auch
nicht unerklärlich, denn er kannte
sich. Aber er konnte sich auf nichts,
rein auf nichts besinnen.

Auch das Gedicht, das seine
neckisch aufgelegten Tischgenossen
zu gern noch einmal gehört hät-
ten, vermochte er mit dem besten
Willen nicht mehr aufzusagen.

Wenigstens wußte er das glaub-
haft zu versichern. Er wollte nicht
einmal mehr wissen, ob er es
irgendwo gelesen oder in der
Sektlaune gar selbst improvisiert
hatte. Alles war ihm schleierhaft.

Man mußte sich schon damit ab-
finden, daß man vor einem Rätsel
stand.

Nüßle hatte also den lustigen Lehramts-
praktikanten geschont und über den Vorfall
den Mantel der christlichen Liebe gebreitet.
Soviel Hochsinn sah ihm aber gar nicht gleich,
und es zeigte sich auch, daß der gewandte
Schriftleiter seiner Lust zu kleinen Bosheiten
anderwärts Lauf ließ. Das Skandälchen war
doch zu pikant, um es der gefräßigen Neu-
gier seiner Leser ganz vorzuenthalten. Darum
enthielt die nächste Nummer der „Bürger-
zeitung" ein Inserat:

Verloren ein Festgedicht.

Wiederbringer erhält Belohnung.

Sierming.

Da erst begriff der Unglückliche, daß er gründ-
lich ins patriotische Fettnäpfchen getreten sei.
Gründlich, aber nicht rettungslos.

Auf Zuraten des ortsältesten Reserveoffiziers
schrieb er nämlich eine Erklärung des Inhalts,
daß er an besagtem Tage so viel auf das Wohl
des erlauchten Landesfürsten getrunken habe,
daß seine Zurechnungsfähigkeit am Abend be-
einträchtigt gewesen sei.

Damit war der Fall erledigt. Denn was
man für den Landesfürsten tut, ist immer gut.

Sierming erfreute sich aber von da ab eines
soliden Mißtrauens seitens feiner gesinnungs-
lüchtigeren Kameraden und Vorgesetzten.

Erster Gedanke.

„Es gibt indische Fakire, die sich für längere
Zeit lebendig begraben lassen und nachher
ivieder gesund und munter sind."

„Donnerwetter, diese Kunst möchte ich zum
Nberstehen der heutigen Teuerung auch lernen."

Wahres Geschichtchen

Mein Freund K., der Maler, nennt sich
einen modernen Künstler; er malt nur häß-
liche Frauenköpfe und findet jedes schöne Bild
kitschig.

Gestern begegnet uns auf der Promenade
eine auffallend schöne Frau. Ich mache K.
aufmerksam: „Schau doch dieses Schönheits-
wunder! Da ist der Natur wieder einmal ein
großer Wurf gelungen." Aber K. wendet sich
verächtlich ab: „Ach was, das ganze Gesicht
ist ja Kitsch!"

Stimme aus dem Grabe

(Eine Pariser Gärtnerfirma hat, ohne Aussicht auf spä-
tere Bezahlung, das Grab Leinrich Leines während und
nach dem Kriege mit Blumenschmuck versehen.)

Ich ruhe hier im dunklen Loch
And hör' euch oben lärmen.

Es grollt noch immer der alte Laß
In euern jungen Gedärmen.

Gewöhnlich hat der Mensch den Kopf,
Ihn klug auf dem Lasse zu tragen.

Ihr wißt nichts Besseres, als euch
Die Schädel abzuschlagen.

Indessen blühen auf meiner Gruft
Reseda, Veilchen und Rose»;

Es schmückte des deutschen Dichters Grab
Ein Gärtner der Franzosen.

Ein Gärtner, der meinen Lügel pflegt
Auf faulen Kredit beständig.

So leicht hat man mir nicht gepumpt.

Als ich noch war lebendig.

Doch freut es meinen Leichnam auch.

Daß in dem wilden Getriebe
Sich heimlich zu mir gerettet hat
Die Freiheit und die Liebe.

Ich wollte, die Blumen über mir.

Sie wüchsen zu Niesenbäumen,

Darunter beide Völker froh
Von seligem Frieden träumen.

Ich wollte, daß die Lebenden auch
Freiheit und Liebe vereine
And, was mein Gärtner heimlich sprach.
Laut klingt! Der tote Leine.

Gott mit uns!

Dem alten Lehmann geht es seit langem
so schlecht, daß er schließlich ins Wasser springt.
Umspült von der eisigen Flut, fühlt er die
Lebenslust von neuem in sich erwachen und
schreit jämmerlich um Hilfe. Ihm wird Ret-
tung. Wieder zu sich gekommen, sagt der alte
Lehmann mit dankbarem Lächeln: „Es ist doch
wahr, der liebe Gott verläßt keinen Deutschen!"

Eine Parallele

In Delphi hauste früher bekanntlich das
Orakel, das durch den Mund der holden Py-
thia seine Weisheitssprüche zum besten gab
und die griechische Nation für große und
weniger große Taten begeisterte. Natürlich
nicht umsonst; es ließ sich anständig bezahlen.
Schwere Gold- und Silberschätze sammelten
sich an; strenge Wächter hüteten den Bezirk,
wo sie untergebracht waren, und wer ihn un-
befugt betrat, war des sofortigen Todes sicher.
Der Apollontempel zu Delphi umschloß auch
den Erdnabel, das heißt den
Mittelpunkt unseres Planeten.

Im Laufe der Zeit hat es
einige Veränderungen gegeben:
der Erdnabel ist verrutscht; er
folgt nämlich automatisch dem
wandernden Reichtum. DieBank-
und Schlotpriester betreuen ihn
jetzt und tun, was alle Priester
tun: sie ermahnen das Volk, zu
opfern. Ein Orakel ist auch da.
Es heißt Stinnes. Seine Pythia
sitzt zwar nicht auf einem Drei-
fuß, sondern auf einem vier-
beinigen Redaktionssessel, aber
auch Professor Lensch begeistert
die Nation zu großen Taten. Zum
Beispiel für die Schonung und Mehrung des
Kapitals und für täglich zwei Überstunden
ohne Bezahlung. Auch hier ist das Ziel wie
in Delphi: den Bezirk der Schätze als heilig
zu erklären. Wer sie antastet, hat den Tod ver-
dient. Kann man den Frevler auch nicht auf
der Stelle abmurksen, so kann man ihn doch
langsam verhungern lassen.

Es ist also alles noch so wie vor zweitau-
send Jahren. Und es wird auch nicht anders,
bis sich der sorgsam bewachte kapitalistische
Erdnabel einen Nabelbruch zuzieht. p-

Schieber und Jenseits

Anläßlich des plötzlichen Todes eines Ge-
schäftsfreundes sprechen einige Schieber vom
Sterben und Jenseits. „Wenn's nun doch einen
Himmel und eine Hölle gäbe?"

Da philosophiert Schieber Retzlafs: „Na, für
uns wär's doch egal, wohin wir kämen. Für
unsereinen wäre doch auch der Aufenthalt im
Himmel, wo wir nicht mehr schieben dürften,
eine Strafe." ____

Das Wort des Tages

Emil Wuhlke hat seinen Geburtstag so
„feuchtfröhlich" gefeiert, daß er spät abends
hilflos im Rinnstein liegt. Bald umsteht ihn
eine Gruppe von Passanten. Jemand meint:
„Wir müssen versuchen, den Mann wieder auf
die Beine zu bringen." Da antwortet ein an-
derer: „Jawohl, bilden wir eine Stabili-
sierungskommission!"

Drastisch aber zutreffend

Schieber: „Gestern war ich zur Beichte."

Bekannter: „Aha, Seele ausgemistet."

Lebensziel

Schieber: „Weißt du. Alte, eine letzte Mil-
lion will ich noch machen; dann setzen wir uns
zur Ruhe und — schimpfen auf die Schieber."

Aus der Zeit

A. (in der Buchhandlung): „Könnte ich viel-
leicht einen Drohbriefsteller kriegen?"
 
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