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— 39

Die Not der Mümmelstädter Presse
und ihr Ende

halbainerikanische Groteske von Alfred Venter

In der zehnten Stunde kam ich auf die Re-
daktion. Es war alles im vollsten Hochbetrieb,
^ie Reinemachefrau kniete zwischen zwei Ei-
nern und zog um sich ihre feuchten Halbkreise.
4uf dem Hocker, wo in der Kriegszeit der
"achtredakteur gethront hatte, saß der Packer

schnitt sich einen frischen Priem ab. Am
uenstersitz schrieb einer.

»Störe ich den Leitartikel?"

»Leitartikel? tut mir leid, wird hierzulande
9ar nicht verlangt. Im übrigen stören Sie
9ar nicht. Ich schrieb nur an meine Schwä-
Lerin wegen der Kartoffeln."

»Ich habe einen Brandbericht!"

»Du lieber Gott!" seufzte der Pseudo-Leit-
artikler. „Ich dachte schon, Sie brächten But-
*et, Fette, Öle. Sie kennen doch die Not der
Presse! Dort hinten sitzt der .Lokale'!"

Ich stieß aber auf den Jnseraten-Maun. Er
-schnitt" wie sich's gehört. Aber er schnitt
Ailderboqen für seine Nichte, die morgen Ge-
burtstag hatte.

„Die Inserate stehen wohl schon?" fragte ich.
„Für heute haben wir schon eins, gestern
hatten wir sogar zwei. Verkauf: Ein Paar
alte Schuhe. Kauf: Ein Kalb. Angebot und
Nachfrage halten sich ungefähr die Wage, wie
Tie sehen. Wir können leben."

Wenn's Kalb auf dem Teller läge, dann
wohl, dachte ich. Mir begann unheimlich zu
werden. „Ich habe einen Brandbericht, funkel-
bagelneu," bemerkte ich. „Glänzend! Das wäre
°twas für unseren Sportler, das heißt wenn
er da ist." O weh, dachte ich, wenn der Sport-
berichtsmensch nichts zu tun hat, dann muß
es schlimm stehen.

^ Mit einem Male bekam ich einen feuchten
Schlag gegen meine unteren Körperpartien;
ein Lappen schlang sich um mich, der mich zur
Laokoongruppe zu machen drohte. Die Scheuer-
srau war bis zu mir vorgedrungen. Sie zeigte
sich von allen Vorgängen am besten orientiert
ünd verriet mir, daß Herr Oswald, der Sport-
ler, — klebe. Im „Braunen Roß" klebt er
Ȋmlich.

Ich irrte weiter, noch immer in der Linken
ben Hut, in der Rechten den Brandbericht
haltend, im Lokale umher, bis ich endlich an
«wer Seitenpforte mit dem „Lokalen" zusam-
wenprallte. „Ich habe gesessen," sagte er ent-
schuldigend, „eine überaus peinliche Sitzung,
Zusammen mit dem Zeutralausschuß unserer
Austrägerinnen. Sie hatten die Anweisung
erhalten, recht schnell nach Abgabe der Zei-
tung die Treppe hinunter zu rennen, damit
keine Abbestellung von seiten der Abonnenten
erfolgen könne, dabei hat sich unsere Seniorin
bei, Fuß verstaucht und trotzdem versucht,
den Klageweg gegen uns zu beschreiten."

Ich wollte eben mein Bedauern dar-
über aussprechen, als es einen dumpfen
Fall gab. „Gott!!" sagte die Reine-
wachsrau, „hat er's endlich ausgestan-
den!" „Wer?" „Sehen Sie ihn nicht
kiegen? Das ist Manuel Pappelbaum."

Es war erschütternd. Auf der Schwelle
tag ein Mann, blaß und
abgehärmt, wie ein deut-
scher Dichter sein muß. Seit
sechs Jahren war er von
seiner Dachkammer bis zu
der Redaktion mit Manu-
skripten unterwegs. We-
gen „Mangel an Raum"
konnte er nie etwas an-
bringen. So starb der letzte

Das Quartett des Hexenmeisters

Lyriker von Mümmelstädt an Entkräftung. —
Schließlich dachte ich doch wieder an mich;
denn ich hatte immernoch meineil Brandbericht
in der Hand unkt hielt ihn empfehlend hin.

„Zu spät!" tönte es mir entgegen, „wir hat-
ten ihn gestern bereits fertig."

„Aber es hat doch erst heutefrüh gebrannt!!"

„War doch vorauszusehen, da gestern Feuer-
wehrball war," lächelte der gewiegte Lokale.

„Gestatten Sie mir eine Frage, eh ich ent-
fliehe! Können Sie überhaupt noch einen Setzer
beschäftigen?"

„Wozu? Wir bringen nur noch die beiden
Schlußfolgen unseres Romans, dann machen
auch mir Schluß. Den Roman liest nur noch
die Frau Oberamtmann Rießbnch."

„Die Not der Presse! Entsetzlich!" glaubte
ich sagen zu müssen.

„Also auch Sie werden dem Moloch er-
liegen?"

„Werden Sie um Gotteswillen nicht poe-
tisch, das gestatten wir uns nur an den drei
hohen Festen, allenfalls noch am Johannis-
tag; lachen Sie mit uns, wir sind nun frei,
frei von den Stimmen des Publikums, frei
von den Peitschenhieben der sensationslüster-
nen Menge. Sie wissen wohl noch nicht, daß
unser .Unternehmen- an ein amerikanisches
Konsortium übergegangen ist?"

Ich konnte nichts Besseres tun, als bestürzt
zu sein. „Da erscheint also die Zeitung künf-
tig in englischer Sprache?" stotterte ich.

„Zeitung, ich höre immer Zeitung? Eine
Nudelfabrik wird aus uns gemacht!"

Ich mußte mich festhalten.„Und die Rotations-
maschine, die schöne Seele des Betriebes?"

„Gerade die bleibt in Gang, sie druckt auf
den Nudelteig die Reklame der Firma. Die
Fabrik liefert täglich rund 40 Millionen Nu-
del», und auf jede Nudelschlange wird 40mil-
lionenmal aufgedruckt: ,Echt amerikanische Ori-
noko-Nudel'. Diese Reklame wird der brave
Bürger mit jedem Löffel ungefähr zehnmal
verschlingen. So etwas muß doch wirken!"

Ich verließ fluchtartig die Katakombe deut-
schen Geistes, warf im Vorübergehen meinen
Brandbericht in den offenen Rachen des Pa-
pierkorbes, stieg über den Leichnam des letzten
Lyrikers Manuel Pappelbaum, warf die Tür
ins Schloß und schöpfte Atem.

Dann suchte ich in meinen Taschen, ob ich
auch etwas an Amerika verkloppen könnte. —

Italienische Politik

f\n der Ruhr, sprach wullolini,
war auch ich gern — einerseits,
flndrerleits verstimmt das meine
freunde mit dem Hakenkreuz.

Orauk und los!

Is... kamos.

Mit der schönsten der Parolen
hält' ich meine gern vereint:

Orabt die ttohlen,

Ihr Pistolen!

Fiber — Hitler ift mein Freund.

Politik das heilst: sich winden
Mie die Schlange durch den Strauch,
wurde hapern erft fafziftifcb.

Liebt mich Preußen schließlich auch,
freudig leh id):
fester lieh ich,

wir» du, Deutschland, mir nicht kremd.
frankreid) bringt dir leider, leider
Trauerkleider.

Fiber ich, als hehrer Schneider,

Näh dir nur das lchwarze Hemd. t>.

Solidarität

Als die Direktoren im Ruhrrevier verhaftet
wurden, forderten die Bergarbeiter ihre Frei-
lassung und stellten die Arbeit ein. Infolge-
dessen will Thyssen kein Wort mehr gegen den
Achtstundentag sagen, und ein anderer Direktor
äußerte: „Kapital verpflichtet. Wir werden den
Arbeitern in ihrer noblen Auffassung nicht
nachstehen. Beim nächsten Streik revanchiere
ich mich. Ich werde zwar nicht bewilligen, aber
ich werde mich mit meinen Arbeitern solidarisch
erklären und auch nischt tun."

Nix daitsch!

Der französische Kommandant ließ den Bür-
germeister von Bochum, ivo Poiueare den ersten
glorreichen Sieg über den 16jährigen Joseph
Birwe errang, zu sich kommen. „Ich finde",
sagte er, „daß Sie meine Befehle nach-
lässig ausführen lassen. Von den ver-
langten Adressen der örtlichen Arbeiter-
verbände fehlt die Adresse der Spitzen-
organisatiou,von derdas gestrige „Volks-
blatt" schreibt. Wieviel Arbeiter beschäf-
tigt die hiesige Spitzenindustrie?" Als
der Bürgermeister unwillkürlich lächeln
mußte, brauste Mosjö auf:
„Was, Sie lachen noch?
Frechheit! Verlassen Sie
mich, bitte, das Weitere
wird sich finden!" Erst tags
darauf gelaug's dem Bür-
germeister, den General zu
belehren, welche Bewandt-
nis es mit einer Spitzen-
organisation hat. Kali

Zum Maskenball

„Wißt ihr schon, Minna hat sich als Entente kostllmiert."
„Nanu? Wie macht sie denn das?"

„Sehr einfach. Ihr Kostüm — geht auseinander."
 
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