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40 —

Auf dem politischen Treideldamm

Neue Kaiserhymne

kZetkungsnachricht: Der ehemalige Kaiser hat seine
neueste Photographie an eine amerikantsche Firma
für eine hohe Dollarsumme verkauft.)

Jüngst ging ein Photograph
Nach Doorn und knipste brav
ILN und auch SIS.

Das Bild hipp, hipp, Hurra!

Ging nach Amerika
Für schweres, blankes Gold
Ucmr la patrie!

Besternt, beringt, bewehrt.

Gestützt aufs „Sieges"schwert,

Leidet S. M.

Die Landesmutter steht
Neben der Majestät
Im Diamantenschmuck.

<Beide: Plemm, plemm!)

Ein Trost in schwerer Not
Ist jedem Patriot
Dies Konterfei.

Wenn auch des Franzmanns Faust
In deutschen Landen haust.

Wenn auch das Volk verkommt —
Was ist dabei?!

Leil dir, du eitler Tropf,

Stroh ist in deinem Kopf
!lnd Perfidic.

Noch höher steigt dein Ruhm
Beim deutschen Spießertum,

Schenkst du ihn, deine Phot--

Photographie! Viktor KaUnowskt.

Schrecklicher Traum

In Angstschweiß gebadet erwacht Poincarö
eines Morgens und stöhnt: „Hatte ich einen
entsetzlichen Traum: Deutschland hätte alle
Bedingungen des Friedensvertrags erfüllt und
mir jeden Vorwand zur Ruhrbesetzung ge-
nominen!" ___

Der Gemütsathlet

Poincarö hört von den Deutschen, die im
besetzten Gebiet erschossen worden seien. „Aon
Dieu“, sagt der große Raymond, „jeder Boche
sollte doch zufrieden sein, wenn wir ihn aus
den, trüben deutschen Diesseits ins bessere
Jenseits befördern."

Verneinung

Im Ruhrgebiet. Schüsse knallen. Ein fran-
zösischer Offizier fragt einen Posten, was los sei,
ob Menschen erschossen worden seien. „Non,“
kautet die grinsende Antwort, „keine Menschen,
bloß Deutsche."

Laus

Von Friedrich Wendet

„Sie werden doch det Kind „ich wechjeben,
Beelitzen?" hatte die Portierfrau gesagt, „det
Kind wechjeben, nee, det kriegt' ick nich fertig,
lieber macht' ick sonst wat!"

Aber was sie sonst zu machen imstande sein
könne, blieb ihr Geheimnis. Und so mußte es
denn wohl dabei bleiben, daß die Aufwarte-
frau Boelitz, die ihren Mann im Krieg und
zwei Finger der rechten Hand bei der Arbeit
in der Munitionsbude verloren hatte, ihr Kind,
einen Jungen von acht Jahren, weggeben
mußte. Die Adoptiveltern, reiche Leute aus dem
Vorderhanse, drangen auf baldigen Entschluß.

„Ick könnt' et nich," bekräftigte die Portiersche
noch einmal und strich dem Hans über den
Kopf. Der Junge saß über sein Lesebuch ge-
beugt, die Fäuste an die Wangen gestemmt
und blickte nicht auf.

Nachmittags um fünf kam die neue Mutti.
Sie brachte einen ganz, ganz großen Ball und
eine Tafel Sahnenschokolade mit. Sie tat sehr
zart, machte Madonnenaugen und sagte diplo-
matisch: „Nun geht Hansematz ein bißchen mit
dem Ball spielen, nicht? Auf die Straße oder
die Anlagen nebenan, nicht?"

Hans ging zu seiner Mutter und faßte sie
zärtlich um die Knie: „Willst du, daß ich gehen
soll, Mutti?"

Die Mutter kämpfte die Tränen hinunter.
Sie wollte nicht schwächer erscheinen als ihr
Junge und sagte: „Ja, geh' man, Hans!"

Das Kind ging, seine 'Mutter setzte sich still
an den Tisch und wartete auf das, was jetzt
kam. Was die Dame sprach, war die bare Ver-
nunft, hundertmal in schlaflosen Nächten und
auf müdem Trott durch die Straßen hatte sie
es sich selbst gesagt. Daß es nicht mehr inög-
lich war, durchzukommen. Daß die Laufereien
zu Behörden und privaten Wohltätern, um da
ein Paar billige Stieselchen und da einen ab-
gelegten Anzug zu bekommen, mehr Zeit weg-
nahm als die ganze Geschichte wert war. Daß,
wenn sie des Kindes sich entäußere, dieses
wenigstens versorgt, und zwar gut versorgt
sei. Daß es immer satt zu essen haben und
eine gute Erziehung und eine gute Schule be-
kommen würde. Daß die Adoptiveltern an-
ständige und, wie man hörte, sehr gutherzige
Leute seien, bei denen der Hans auch gut auf-
gehoben sei.

„Sie müssen das alles einsehen, Frau Boelitz.
Ich weiß, ich weiß. Sie bringen ein Opfer, o,
wir Frauen wissen um solche Opfer, aber be-
denken Sie, daß Sie das Opfer für das Kind
bringen!"

Eie bedachte es. Und trat ihr Kind ab.

Die Dame fuhr mit dem Spitzentaschen-
tüchelchen über die Augen, drückte ihr die
Hand und legte in anmutig aufwallendem
Gefühl die schöne Stirn an die eckige Schulter
der Aufwartefrau.

„Sind wir doch alle Glieder eines Volkes,
wie mein Mann immer sagt, gehören wir doch
alle einer großen Familie an! Wir müssen ein-
ander helfen! Und nun noch eins, liebe Frau
Boelitz: mein Mann, Gott, er denkt an alles,
hat Ihnen eine Wohnung in der ... straße
besorgt! Sie verstehen ... es wäre für Sie
schmerzlich und für den Hans schmerzlich und
uns peinlich, wenn Sie sich dauernd sehen
würden. Sie verstehen, liebe Frau Boelitz-"

Sie verstand. Sie verstand, daß in dem Ge-
triebe dieser dreimal verfluchten Gesellschaft
auch eine an sich honorige Regung des Reichen
zur verletzenden Tat werden muß.

Sie verstand und muckte nicht.

Erleichtert fuhr die Dame fort: „Und dann
noch eins, liebe Frau Boelitz. Mein Mann —
Männer sind immer so furchtbar praktisch,
nicht wahr —, mein Mann wünscht nicht, daß
Sie vorab, für die erste Zeit, wissen Sie, sagen
wir mal für die ersten fünf, sechs Jahre den
Hans besuchen oder mit ihm in Verbindung
treten. Das muß den lieben kleinen Kerl irri-
tieren, nicht wahr doch?"

Sie schluckte auch das.

Die Dame ging.

Hans kam zurück. Die Mutter legte den Arm
vor die Augen, und Hans hörte sie stöhnen,
tief, tief, aus wundestem Herzen.

Da langte er sein Schulränzel vom Nagel,
trat still zur Mutter und sagte: „Laß man,
Mutti, laß man ... ach, laß doch, Mutti...!"

Sie blickte ihn an und sah sein Bündel.

„Willst'n schon gehen?"

Er schwieg ein kleines Weilchen. Dann: „Ich
Hab' doch woll jetzt schon eine neue Mama?"

„... es geht nich anders, Hans!"

Und so ging er.

Draußen auf dem Hof war, „zufällig" natür-
lich, war die Portiersche beschäftigt. „Na, wat,
Hans Boelitz, wa'tn nu?"

„Ich muß es Muttern leicht machen," sagte
der Achtjährige, nickte und ging ins Vorder-
haus. Sehr ernsthaft, mit ruhigen, ein wenig
großen Augen, über denen eine seltsame Stiril
stand.

Eine Mutter hatte ihr Kind verloren. Ein
Kind hatte die erste Herzwunde weg. Die kann
vernarben, man stirbt nicht an ihr, das Leben
ist anders, als es in schlechten Romanen be-
schrieben steht. Aber der holde Garten Jugend
land, über ihn war der Frost gekommen, und
die bunten Blumen waren dahin.
 
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