Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Segen der Not

Nun lasst die Not in euren Seelen hämmern.
Dass eure Herzen hart ivie Eisen werden,
Und harrt in Demut, bis die Tage dämmern,
Da krönen euch die Leiden und Beschwerden.

Noch schreiten wirdurchNacht und Finsternisse
Und mühen tastend uns um Weg und Ziel,
Als seien aller Erden Bitternisse
Uns zugedacht in Wahn und wirrem Spiel.

Und wissen doch, es werden Rosen blühen
Aus Dornen, die uns schmerzlich eingedrückt,
Und auch die tiefsten Tale werden glühen,
Wenn hoch die Mittagsonne in sie blickt.

Und zwingen Geissei uns und Sklavenketten,
Wir gehn den Weg der Treue und der Pflicht
Und wissen uns in einen Zorn zu betten,

Der die Tyrannis wie ein Glas zerbricht.

Nun glauben wir und harren jener Stunden,
Da wilder Wahn wie wirre Spreu verweht
Und aus den Tränen und den blufgen Wunden
Der Geist der Freiheit und des Rechts ersteht!

Wilhelm Lennemann

Ein gestählter Seelenhirt

Einer wahren Begebenheit nacherzählt
Von Ferdinand Madlingcr

Ja ja, es ist schon auffallend, wie das „Stahl-
bad" des Krieges die Moral des Volkes ge-
stählt hat. Und zwar nicht nur bei der Stadt-
bevölkerung, sondern auch beim Bauernstand,
dem man immer so gern das Attribut „bieder"
zuerteilt. Hat sich was mit der Biederkeit.

Mein ehemaliger Schulfreund, der Pfarr-
verweserSchmälzle, kann ein Lied davon singen.
Ihm ivar von der Behörde mitgeteilt worden,
daß seine Bauern es ganz toll trieben mit
Papiergeldhamsterei, Milchwucher, Schnaps-
brennerei und Steuerhinterziehung. Man sah
auch deutlich genug die Anzeichen eines neuen
Wohlstandes im Dorfe. Die Häuser wurden
schmuck verputzt und geweißt. Viele erhielten
ein weiteres Stockwerk. Es entstanden neue
Schuppen und Ställe. Und wenn man die vielen
neuen Fahrräder betrachtete, mit denen die
Burschen aufs Feld und die Mädchen in die
Zigarrenfabrik radelten, dann hatte man schon
den richtigen Einblick in die Not der Land-
ivirtschast.

Diese wurde durch ein Ereignis klärlich illu-
striert. Eines nachts ivurde beim Riegelbauern
eingebrochen. Außer Schinken, Würsten und
Zigarren zeigte der Bestohlene auch den Ver-
lust von 100000 Mark Papiergeld an. Die
Gendarmerie förderte nichts zutage. Kurze Zeit
nachher wurde aber dem Riegelbauern einePost-
amveisung auf 100000 Mark von auswärts zu-
gesandt. Auf dem Abschnitt stand: „Da, du
Schwindler! Du sollst deine 100000 Mark wie-
der haben."

Den Leuten fiel der sonderbare Edelmut der
Täter auf, und sie kamen auf den Gedanken,
daß dem Riegelbauern viel mehr Geld gestohlen
sein mußte, so viel, daß er den ivahren Be-
trag gar nicht zu nennen wagte wegen der
Steuerbehörde. Desivegen konnten die Täter
auch die 100000 Mark so leicht zurückgeben.

Der Pfarrverweser Schmälzle erhielt den
Auftrag, in seinen Predigten das Unwesen in
der Gemeinde zu geißeln. Und er tat es mit
dem heiligen Feiereifer eines jungen Theologen.
Er stauchte von der Kanzel herunter seine Sipp-
schaft zusammen, daß die Kerle rote Köpfe be-
kamen und eine deutliche Unruhe in den Bank-
reihen entstand. Er sagte ihnen, mit dem ge-
hamsterten Papiergeld werde ihnen einmal die
Hölle geheizt iverden, wenn sie darin brieten.

— - • ° 48 • —-

Wenige Tage später saß der Pfarrveriveser
Schmälzle in einem Cass in der Stadt und
hörte der Zigeunerkapelle zu. Dort traf ich ihn,
und wir begrüßten uns als alte Schulfreunde.
Als ich ihn fragte, wieso er sich hier befinde
und nicht in der Seelsorge bei seiner geliebten
Christengemeinde, erzählte er mir die ganze
Geschichte mit seinen Bauern und von seiner
Predigt.

„Un was mooinscht, Madliugerle, was die
Kerl g'macht hent? In der Nacht hent se mir
zehn Revvlverkugle in mei' Studierstub nei-
g'schosse. Des Lumpepack, des gottverdammt!
Guet, daß i net drin g'west bin!"

Ich beglückwünschte ihn zu dem glücklichen
Ausgang des Attentats, und wir sprachen noch
iveiter über den Rückgang der Volksmoral, der
sich hier darin zeigte, daß diese Bauern sogar
auf ihren Seelenhirten schossen.

„Sie hent's nadierlich draus im Feld g'lernt,"
erwiderte Schmälzle, „do koscht nix mache. So
ischt es halt emol!"

Schmälzle hatte sofort Urlaub genommen,
denn es war ihm auch sonst unterderhand ge-
droht worden mit „Kaltmachen" und solchen
kitzligen Sachen, wenn er sich 'noch in der
Gemeinde sehen ließe. Er reiste deshalb so-
fort ab und war eben auf der Durchreise zu
seinen Eltern. —

Zwei Wochen später begegnete ich dem Pfarr-
verweser ivieder. Diesmal hatte er es eilig, an
die Bahn zu kommen. Er teilte mir nur kurz
mit, er sei versetzt und wolle jetzt seine Hab-
seligkeiten in seinem Dorf holen.

„Ja, hast du denn keine Angst vor deinen
Bauern?"

Er klopfte blinzelnd auf seine Rocktaschen
und ließ mich hineinsehen. In jeder Tasche
lagen zwei Eierhandgranaten.

„Ja, Mensch, du willst doch nicht . . .?"

„Worum net? I han's doch au g'lernt im
Feld draus. I wollt, daß die Dondersapperinent
ivas anfanget mit mer. Die kannten was er-
lebe!"

Damit ging er und ließ mich kopfschüttelnd
stehe». Ich stellte Betrachtungen an über diesen
erbosten Gottesmann, der mit Handgranaten
in der Tasche zu seiner geliebten Gemeinde fuhr.
Ist es nicht ein wahres Wort, das Schiller ge-
schrieben hat:

„Ein furchtbar wütend Schrecknis ist der Krieg,

Die Herde schlagt er und den Hirten"?

Ein Nachruf

.Der bekannte Bibliophile Lugo Lahn ist einem
schweren Lungerleiden erlegen...."

Fünf Zeilen standen in der Zeitung.
Papier ist teuer, Platz ist rar.

Man las in kühler Zubereitung
Von einem, der verhungert war.

Die Wissenschaft war seine Stärke
And seine Lust des Geistes Flug:

Er liebte Bücher und schrieb Werke;
Doch aß er leider nicht genug.

Fatal. Nur macht davon kein Wesen!
And manchen schien es wohl genug,
Daneben spaltenlang zu lesen
Das Hohelied vom Dollarflug.

Er stieg — hurra! — in stolzem Streben
Froh himmelan. Man war entzückt....
Mein Freund, er hatte dich im Lebe»
And hat dich noch im Tod erdrückt. Pan

Entlarvt!

Die Sozialdemokratie ist wieder einmal ent-
larvt; ihre angebliche Vaterlandsliebe ist
Heuchelei. Beweis: Genosse Scheidemann
hat das Angebot eines amerikanischen Ver-
lages, ihm zwölf Millionen für einige Tage-
buchkapitel zu zahlen, abgelehnt. Mit tiefster
Empörung stellen Wilhelm, Ludendorss und
die andern Memoirenschreiber die antipatrio-
tische Haltung des Sozialdemokraten fest. Ein
wahrer Vaterlandsfreund hat die verfluchte
Pflicht und Schuldigkeit, die Finanzen der
ehemaligen Feinde nach Strich und Faden zu
schröpfen und damit ihre Widerstandsfähig-
keit zu schwächen. Wer da nicht nimmt, was
er kriegen kann, ist ein Hochverräter und ge-
hört an den Galgen! >>.

Schlechtes Gewissen

Nach der Geburtstagsfeier bei Majors.
Überall Frohsinn und Freude. Plötzlich sagt
der Hausherr: „Nur gut, daß Majestät im
Exil nicht sehen kann, daß wir uns auch in
der Republik manchmal ganz wohl füh-
len können." _M_

Im Schiebercafe

„Je ernster die Zeit, desto mehr muß für
gute Späße gesorgt werden, schon aus Ge-
sundheitsrücksichten." Das ist der Standpunkt
meines Freundes Rudi. „Was hast du vor?"
fragte ich neugierig, denn seine Scherze ent-
behrten nie der Originalität und eines gewissen
psychologischen Feingehalts.

Rudi kaufte sich ein druckfrisches Abendblatt.
Dann begaben wir uns ins Cafs, wo er es
hastig entfaltete. „Der Dollar auf 3000
gefallen!" rief er, plötzlich aufspringend.

Sie meinen nun, da wären mit einem
Schlage alle glücklich gewesen? Weit gefehlt!
Allgemeine Erregung, die sich in Zahlungs-
gelüsten äußerte. DaS mollige Büfettfräulein,
das sich, wie Rudi wußte, in Wollaktien fest
gelegt hatte, erbleichte. Die Miene des Obers,
der soeben eine Eisbowle verübertrug, er
starrte, und der gestern mit einem Dollar re
nommierende Pikkolo wurde bei einem Selbst
Mordversuch im Lift ertappt. Die arme alte
Betty, die mit Streichhölzern en ckölail von
Tisch zu Tisch ging, war die erste, die deni
drohenden geschäftlichen Niedergang erlag.
Kein Mensch'kaufte vor Wut.

„Sichst du," sagte Rudi, „die ganze Bande
hier drin hat Devisen und Aktien, und das
wollte ich nur ivissen!"
 
Annotationen