Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— 95

Nackte Welt

Der Gouverneur von Neuguinea hat den
Eingeborenen verboten, Kleider zu tragen.
Aus gesundheitlichen Gründen. Es gibt zwar
auch dort Wasser, aber es nützt nichts, wenn
es nicht angewendet wird. Darum soll die
Sonne das nötige besorgen. Die Missionare
haben entrüsteten Protest gegen das Nackt-
gebot eingelegt; sie wissen, daß die Zivili-
sation in der Hauptsache darin besteht, alle
Dinge zu verschleiern und zu verhüllen.

"Allerdings hat der liebe Gott die ersten
Menschen ohne Badehose in die Welt gesetzt,
aber der liebe Gott war eben auch kein
Missionar, und überhaupt war damals die
Kultur noch etwas zurück.

Einige europäische Damen sind entzückt von
der neuen Verordnung und beabsichtigen, eine
entsprechende Petition in den Parlamenten
einzureichen, um auch ein hygienisches Leben
führen zu können. Vielleicht erleben wir noch
einen nackigte» Demonstrationszug der obere»
Zehntausend. Einige werden allerdings lieber zu
Lause bleiben. Teils dieserhalb, teils außerdem.

Die Lerren sind auch nicht einer Meinung.
Wenn man sich Roßhaar unter die Laut
stopfen könnte und die Muskeln sich wattieren
ließen, dann allenfalls ja. Aber mit einem
Schieberbauch allein läßt sich nicht viel Staat
machen. Vor allem jedoch: eine Verwischung
der Standesunterschiede wäre die notwendige
Folge. Kleider machen Leute — und wenn
man ihnen die Kleider nimmt, sind sie keine
Leute mehr, d. h. Leute, die etwas bedeuten.
Ihr Ansehen ist nach Maß angefertigt.

Die Textilindustriellen werden übrigens
die Ausbreitung der Nackigkeit zu verhindern
wissen; sie sind für Sittlichkeit und Kultur
und haben alle gcrechtdenkenden Schneider
und Konfektionssirmen auf ihrer Seite. p.

Lasset die Kindlein zu mir kommen!

Der Unterschied

Besucher des Reichstags wissen, daß ein
bekannter sozialistischer Parlamentarier die
Gepflogenheit hat, mit den Länden in den
Losentaschen zu sprechen. Sie wissen auch,
daß sein erklärter Gegner von der Rechten,
Lerr L., seine Reden in ostentativ korrekter
Körperhaltung zu verzapfen pflegt.

Ein Arbeiter wurde aus diesen Unterschied
aufmerksam gemacht.

„Ja, sehen Sie", sagte er, „der L., der hat
seine Lände eben in anderer Leute Taschen!"

W.

*

„Der Kerl muß bauen!"

Es ist eine nicht abzuleugnende Tatsache,
daß im Lande der Dichter und Denker heut
von der Wohnungsnot mehr gesprochen wird
als von Emanuel Kant, obgleich die Woh-
nungsnot eigentlich so alt ist wie die Welt.
Schon bei der fatalen Ausquartierungaus dem
Paradies trat sie in Erscheinung und wurde in
besonderem Maße aktuell, als die ganzeMensch-
heit samt allem, was kriecht und fliegt in die
Arche Noah zusammengepfercht wurde.

An derWohnungsnot muß natürlich jemand
schuld sein. Leute, die schnell fertig sind mit
dem Wort, sagen kurz und bündig: die Re-
volution. Mit solchen, die den Krieg als den
Vater alles Guten und die. Revolution als
Großmutter alles Schlechten ansehen, mit
Mensche», die Grund und Folge verwechseln,
kann man natürlich nicht über die Wohnungs-
frage reden.

Tiefe Denker behaupten, daß die Wohnungs-
not beendet werden, amtlich ausgedrückt „be-
hoben" werden n>uß. Wenn eine Sache aber
einmal in amtlichen Länden ist, dann steht
es schlimm uni sie. DerWeisheit letzter Schluß
ist: die Wohnungsnot kommt daher, daß es

>—o—-o--o—o—o--a~-v-~a—-o~-

keine Wohnungen gibt, eine Neuauflage des
alten Fritz Reuterschen Wortes: die Armut
kommt von der Powerteh. Lange blieb diese
Weisheit unangetastet, bis die berühmte
Stimme aus dem Publikum ertönte, die darauf
hinwies, daß neue Wohnungen nur geschaffen
werden könnten, wenn — gebaut würde.

Es muß einfach „Land angelegt" werden,
dann geht's schon. Kann das vielleicht nie-
mand? Ich meine, gerade das ist kräftig
geübt worden. Außer beim Schinkenkloppen
haben wiv's draußefl in der frischen, fröhlichen
Kasernenluft alle gelernt, leider zumeist nur —
an den ersten Mützenrand, aber systematisch
und unentwegt bis der Krieg verloren war.
Doch das hals nicht zum Aufbau.

Gibts vielleicht keine Baumeister, keine
Maurer, keine Bauschulen, keine Fuhrleute
mehr oder gar kein Material? Nu», das Zen-
tralproblem der Wohnungsnot ist: Bauen
kostet Geld, schrecklich viel Geld, und weil
niemand für Dinge, die sich nicht lohnen, Geld
ausgeben will, wird nicht gebaut.

Man glaube nicht, daß es solche Zeiten
nicht schon gegeben habe. So wars vorzeiten
in Berlin, als ein Lohenzoller — nicht gerade
der beliebteste, aber einer der tüchtigsten —
mit dem Stocke umherging, etwelche» Leuten
auf den Rücken klopfte und dazu de» Aus-
spruch tat: „Der Kerl muß bauen!" Von den
vielen Lohenzollernworten — es ist wirklich
kein Mairgel daran — ist dieses vielleicht das
beste. Es ist tausendmal kolportiert worden,
steht in allen Geschichtsbüchern und doch denkt
heute kein Mensch daran, daß es wieder
modern geworden ist. Nur handelt es sich
noch um eine Kleinigkeit. Es müßte heute
einer im Lande umhergehen, den Kerl suchen
und auch den — Mut haben, es ihm zu lagen.

Aber wehe, wenn der Kerl dann ein neues
Bankhaus bauen würde! A V.
 
Annotationen