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Geizhälse
Lumoreske von Alfred Venter
Es ist schon lange Streit darüber, wo das
achte Weltwunder steht. Die einen sagen:
Es ist die Erdachse, die gerade am Pausaer
Rathaus herausguckt, die andern meinen, es
wäre die Gittengrüner Dose. Wer recht hat,
soll hier nicht ausgemacht werden; auf jeden
Fall aber scheint es noch gar nicht allgemein
bekannt zu sein, daß in Gittengrün aus dem
Stammtisch vom„Lamm"eineüberalle Maßen
große Schnupftabaksdose steht. Eine größere
hat selbst der Vorstand, der weit in der Welt
herumgekommen ist, sogar bis ins Nieder-
schlesische, noch nicht gesehen, und zwei Ber-
liner Reisende — das will was heißen —
sollen von dem Anblick die Maulsperren be-
kommen haben.
Sonst war im „Lamm" weiter nicht viel zu
bestaunen. An der Wand, von der der Kalk
sanft herabblätterte, hingen ein paar Bock-
bierbilder aus der guten alten Zeit, über dem
Sofa war ausgcstopftes Raubzeug zu sehen,
ein lahmes Billard in der Mitte bat un>
stilles Beileid, auf dem Stammtisch aber stand
die berühmte Dose. Man mußte es dem
Lammwirt laßen, eine feine Mischung war
darin: Nodschidodschi zweite Sorte, echt
Pariser Zusatz, wie er sich ausdrückte, und
ein wenig Ablaufbier, damit er sich hübsch
feucht hielt.
Ein so „spezielles Aroma", das so kribbelnd
in die Nase stieg, war nirgends zu finden.
Darum war die Dose auch wie ein großer
Magnet, der alles auzog, was gern schnupfte.
Dabei kamen gute Gedanken und frischer
Durst. Der erste Abendgast war der Wagler-
Bauer. Der stellte sich gewöhnlich schon zur
Dämmerstunde ein, um zu Lause Licht und
Lolz zu sparen. Er hatte seinen Platz am
Ofen, und sein erster Griff war nach der
Dose.
Nach einer Weile kam der Schmied
herübergehumpelt. Von seinen Leidenschaften
war nur das — Schnupfen übriggeblieben.
Der Bauer griff nach jedem Schluck in die
Dose, der Schmied nur, wenn das Bedürfnis
zum Schnupfen sich einstellte, und das ließ
ihn kaum vier Minuten in Ruhe. Schlag
6 Ahr kam der Schuster, der ewig Pech an
den Fingern kleben hatte und darum immer
ein paar Brösel mehr erwischte als die
anderen. Deshalb machte er auch einen der-
artigen Gebrauch von dem Freitabak, daß
er ständig verstopfte Nasenlöcher hatte. Das
ging so lange, bis drin eine Revolution aus-
brach und das ganze liebe Gut mit acht bis
zehn kräftigen Latschies wieder herausflog,
daß das ganze bißchen Gaststube in ihren
Grundfesten erzitterte.
Aber der Schuster war hier in der Runde
eine notwendige Person. Wenn einer eine
Geschichte erzählte, die keiner glauben wollte,
dann hieß es immer: „Der Schuster hats
„benoffen", da muß es wahr sein". Wenn
er dann etliche Revolutionen hinter sich hatte,
dann sagte der Lammwirt in der Regel:
„Wie wärs denn, wenn wir einen Doppel-
köpf machten?" Er dachte dabei im stillen:
Es wird Zeit, daß der Kerl von der Dose
wegkommt, vielleicht kann ich meinen Tabak
wiedergewinnen. Doch das machte oft große
Mühe, der Wagler-Bauer spielte selten aus-
wärts, damit das Geld hübsch in der Familie
bliebe, und wenn der Schuster am Tag vor-
her zwei Groschen verspielt hatte, ging er
schwer an den Speck.
Im Kriege war der Tisch mit der großen
Dose der Mittelpunkt der hohen Politik.
Dahin zog es alle Arlauber. Der Barthel-
Karl, der viermal an der Somme lag, machte
es am Tisch allemal vor, wie die Granaten
draußen einschlugen. Große Rathäuser und
Kirchen sind davon eingefallen, aber die Dose
blieb unerschütterlich.
Allein mit dem Niedergange der deutschen
Lerrlichkeit ging Schritt für Schritt der
Niedergang des deutschen Durstes, oder
bester gesagt der Kraft, die im deutschen
Biere lag. Von den alten, guten Säusern
starb einer nach dem andern weg, und von
denen, die drei Stunden lang an einem Glas
saßen und dabei zehnmal nach dem Schnupf-
tabak langten, konnte der Lammwirt nicht
fett werden.
Unter Erstklassigen
Eines Tages saß er mutterselig allein in
seiner Gaststube, 's muß schlimm stehen,
wenn nicht mal die Dose mehr zieht, dachte
er. Die ganze Woche durch wars Geschäft
faul, aber wie die Wirtin gerade mit dem
Scheuern anfangen wollte, stand auf einmal
die ganze Stube voll Zylinderleute. Man
konnte nicht gerade sagen, daß es die feinste
Rasse gewesen wäre. Die meisten Lüte
sahen aus wie Katzen, denen man das Fell
verkehrt gestrichen hatte, aber es waren
wenigstens wieder einmal Gäste da.
Natürlich scharten sie sich alle rings um
die große Dose. Ein paar hatten schon den
Daumen drin, ehe sie Bier bestellt hatten.
„La, Wirt, ich dächte, man müßte recht tief
greifen, eh man was erwischt", sagte der
Barbier und dabei rutschte ihm der Zylinder
ins Genick, daß er aussah, wie ein Linter-
haus mit einer verbogenen Esse.
In diesem Augenblick kam der Schuster
zur Tür herein und machte sich mitten unter
die Trauerleute. „Eigentlich wollt ich gar
nichts trinken, ich wollt nur sehen, ob mein
böser Traum ausgegangen ist. s' hat mir
geträumt, der Lammwirt hätte seine große
Dose an die Entente abliefern müssen. Gott
sei Dank, sie steht noch da!" und. Habei fuhr
er schon mit seinen großen Schusterdaumen
hinein. „Nu? Mas ist denn das für Sache?
Es ist doch gar nichts drin?"
„And 's kommt auch nichts mehr hinein",
schrie der Lammwirt außer sich vor Wut
und bekam eine Ader auf der Stirn wie
eine Leberwurst. „Schnaps trinkt Ihr nicht
mehr, Bier trinkt Ihr nicht, wo soll ich denn
da das Geld für den Tabak hernehmen?
Man kann doch kaum noch seinen Bandwurm
ernähren."
So eine lange Rede hatte er in seinem
Leben noch nicht gehalten, und die Gäste
saßen da, als hätten sie eins mit dem
Lämmer auf den Lut bekommen. Der
Schuster aber nahm seine Mütze und sagte:
„Da seht Ihrs, dem alten Geizhals guckt die
Labsucht aus allen Knopplöchern. Der ist
noch geiziger wie die Rippendorfer Bauern,
die die Klöße mit der Land essen, daß sie
die Gabeln sparen. Nein, so eine Welt!"
„In der Republik jibts bloß zwei Feiertage im Jahr: Den
„e-md das auch wirklich rassereine Tiere? I. Mai - fui Deibel! - und den Verfassungstag - igitt igitt!, -
„Iawoll, Lerr Iraf, det sind alles echte Antisemiten." Da bleiben unsereins bloß die übrigen Tage zum' Feiern . . ."
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Geizhälse
Lumoreske von Alfred Venter
Es ist schon lange Streit darüber, wo das
achte Weltwunder steht. Die einen sagen:
Es ist die Erdachse, die gerade am Pausaer
Rathaus herausguckt, die andern meinen, es
wäre die Gittengrüner Dose. Wer recht hat,
soll hier nicht ausgemacht werden; auf jeden
Fall aber scheint es noch gar nicht allgemein
bekannt zu sein, daß in Gittengrün aus dem
Stammtisch vom„Lamm"eineüberalle Maßen
große Schnupftabaksdose steht. Eine größere
hat selbst der Vorstand, der weit in der Welt
herumgekommen ist, sogar bis ins Nieder-
schlesische, noch nicht gesehen, und zwei Ber-
liner Reisende — das will was heißen —
sollen von dem Anblick die Maulsperren be-
kommen haben.
Sonst war im „Lamm" weiter nicht viel zu
bestaunen. An der Wand, von der der Kalk
sanft herabblätterte, hingen ein paar Bock-
bierbilder aus der guten alten Zeit, über dem
Sofa war ausgcstopftes Raubzeug zu sehen,
ein lahmes Billard in der Mitte bat un>
stilles Beileid, auf dem Stammtisch aber stand
die berühmte Dose. Man mußte es dem
Lammwirt laßen, eine feine Mischung war
darin: Nodschidodschi zweite Sorte, echt
Pariser Zusatz, wie er sich ausdrückte, und
ein wenig Ablaufbier, damit er sich hübsch
feucht hielt.
Ein so „spezielles Aroma", das so kribbelnd
in die Nase stieg, war nirgends zu finden.
Darum war die Dose auch wie ein großer
Magnet, der alles auzog, was gern schnupfte.
Dabei kamen gute Gedanken und frischer
Durst. Der erste Abendgast war der Wagler-
Bauer. Der stellte sich gewöhnlich schon zur
Dämmerstunde ein, um zu Lause Licht und
Lolz zu sparen. Er hatte seinen Platz am
Ofen, und sein erster Griff war nach der
Dose.
Nach einer Weile kam der Schmied
herübergehumpelt. Von seinen Leidenschaften
war nur das — Schnupfen übriggeblieben.
Der Bauer griff nach jedem Schluck in die
Dose, der Schmied nur, wenn das Bedürfnis
zum Schnupfen sich einstellte, und das ließ
ihn kaum vier Minuten in Ruhe. Schlag
6 Ahr kam der Schuster, der ewig Pech an
den Fingern kleben hatte und darum immer
ein paar Brösel mehr erwischte als die
anderen. Deshalb machte er auch einen der-
artigen Gebrauch von dem Freitabak, daß
er ständig verstopfte Nasenlöcher hatte. Das
ging so lange, bis drin eine Revolution aus-
brach und das ganze liebe Gut mit acht bis
zehn kräftigen Latschies wieder herausflog,
daß das ganze bißchen Gaststube in ihren
Grundfesten erzitterte.
Aber der Schuster war hier in der Runde
eine notwendige Person. Wenn einer eine
Geschichte erzählte, die keiner glauben wollte,
dann hieß es immer: „Der Schuster hats
„benoffen", da muß es wahr sein". Wenn
er dann etliche Revolutionen hinter sich hatte,
dann sagte der Lammwirt in der Regel:
„Wie wärs denn, wenn wir einen Doppel-
köpf machten?" Er dachte dabei im stillen:
Es wird Zeit, daß der Kerl von der Dose
wegkommt, vielleicht kann ich meinen Tabak
wiedergewinnen. Doch das machte oft große
Mühe, der Wagler-Bauer spielte selten aus-
wärts, damit das Geld hübsch in der Familie
bliebe, und wenn der Schuster am Tag vor-
her zwei Groschen verspielt hatte, ging er
schwer an den Speck.
Im Kriege war der Tisch mit der großen
Dose der Mittelpunkt der hohen Politik.
Dahin zog es alle Arlauber. Der Barthel-
Karl, der viermal an der Somme lag, machte
es am Tisch allemal vor, wie die Granaten
draußen einschlugen. Große Rathäuser und
Kirchen sind davon eingefallen, aber die Dose
blieb unerschütterlich.
Allein mit dem Niedergange der deutschen
Lerrlichkeit ging Schritt für Schritt der
Niedergang des deutschen Durstes, oder
bester gesagt der Kraft, die im deutschen
Biere lag. Von den alten, guten Säusern
starb einer nach dem andern weg, und von
denen, die drei Stunden lang an einem Glas
saßen und dabei zehnmal nach dem Schnupf-
tabak langten, konnte der Lammwirt nicht
fett werden.
Unter Erstklassigen
Eines Tages saß er mutterselig allein in
seiner Gaststube, 's muß schlimm stehen,
wenn nicht mal die Dose mehr zieht, dachte
er. Die ganze Woche durch wars Geschäft
faul, aber wie die Wirtin gerade mit dem
Scheuern anfangen wollte, stand auf einmal
die ganze Stube voll Zylinderleute. Man
konnte nicht gerade sagen, daß es die feinste
Rasse gewesen wäre. Die meisten Lüte
sahen aus wie Katzen, denen man das Fell
verkehrt gestrichen hatte, aber es waren
wenigstens wieder einmal Gäste da.
Natürlich scharten sie sich alle rings um
die große Dose. Ein paar hatten schon den
Daumen drin, ehe sie Bier bestellt hatten.
„La, Wirt, ich dächte, man müßte recht tief
greifen, eh man was erwischt", sagte der
Barbier und dabei rutschte ihm der Zylinder
ins Genick, daß er aussah, wie ein Linter-
haus mit einer verbogenen Esse.
In diesem Augenblick kam der Schuster
zur Tür herein und machte sich mitten unter
die Trauerleute. „Eigentlich wollt ich gar
nichts trinken, ich wollt nur sehen, ob mein
böser Traum ausgegangen ist. s' hat mir
geträumt, der Lammwirt hätte seine große
Dose an die Entente abliefern müssen. Gott
sei Dank, sie steht noch da!" und. Habei fuhr
er schon mit seinen großen Schusterdaumen
hinein. „Nu? Mas ist denn das für Sache?
Es ist doch gar nichts drin?"
„And 's kommt auch nichts mehr hinein",
schrie der Lammwirt außer sich vor Wut
und bekam eine Ader auf der Stirn wie
eine Leberwurst. „Schnaps trinkt Ihr nicht
mehr, Bier trinkt Ihr nicht, wo soll ich denn
da das Geld für den Tabak hernehmen?
Man kann doch kaum noch seinen Bandwurm
ernähren."
So eine lange Rede hatte er in seinem
Leben noch nicht gehalten, und die Gäste
saßen da, als hätten sie eins mit dem
Lämmer auf den Lut bekommen. Der
Schuster aber nahm seine Mütze und sagte:
„Da seht Ihrs, dem alten Geizhals guckt die
Labsucht aus allen Knopplöchern. Der ist
noch geiziger wie die Rippendorfer Bauern,
die die Klöße mit der Land essen, daß sie
die Gabeln sparen. Nein, so eine Welt!"
„In der Republik jibts bloß zwei Feiertage im Jahr: Den
„e-md das auch wirklich rassereine Tiere? I. Mai - fui Deibel! - und den Verfassungstag - igitt igitt!, -
„Iawoll, Lerr Iraf, det sind alles echte Antisemiten." Da bleiben unsereins bloß die übrigen Tage zum' Feiern . . ."