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Die fromme Niederhoferin
Von Alfred Venter
In den sächsischen Bergmannsdörfern hat
es seit alters Leute gegeben, die man die
„Leiligen" nennt. In Lüttengrün hat
neuerdings der Römmler-Franz die Schäslein
eingefangen. Der hatte i» der letzten Zeit
große Offenbarungen. !lm sich von ihnen zu
befreien, stellt er sich auf einen Tisch, predigt
und weissagt von großen Erdbeben, Stürmen
und neuen Erschütterungen unter den Völkern.
Weil nun im Menschen die Neugier nach
dem Zukünftigen nicht totzukriegen ist, hat er
großen Zulauf. Die Baldaufs-Lermine, die
bei jeder Lundehochzeit dabei sein muß, hat
durch die Ebersbrunner Zwirnfrau auch davon
erfahren. Sie wohnt zwar drin in Zwickau
und hat die alte Katharinenkirche bald auf
der Nase sitzen, aber sie kann nicht hinein.
Der eine Pastor hatte ihr die Stimme
nicht klar genug, der andere wieder guckte
sie zu scharf mit der Brille an. Zn der
Frühkirche paßten ihr die stolzen Stadt-
weiber nicht. Drum versuchte sie's einmal
mit einer kleinen Gemeinde. ,,S' gefällt mir
ganz gut beim Römmler!" sagte sie zu ihrer
Stuhlnachbarin, „wenn mich's Reißen nicht
so sehr plagt, komm ich's nächste Mal wieder."
Nur das Beten hatte der Römmler-Franz
zu sehr in die Länge gezogen, und wie sie so
langsam heim trabte, bekam sie trotz der
geistigen Stärkung ein recht irdisches Gefühl
— im Magen. Daheim lauerten Salzerd-
äpfel und trockenes Brot auf sie. Da kam
ihr aus einmal der Gedanke: „Du bist hier auf
dem Lande, und wo Land ist, sind auch
Bauern, und wo's Bauern gibt, gibts auch
was Gutes zu essen, der Lerr Jesus wird
dirs wohl nicht übel nehmen, wenn du ein-
mal nachfragst."
In den Läufern, an denen sie grade vorbei-
ging, sah's freilich nicht nach Butter und
Speck aus, und davor saßen blaffe, krumm-
beinige Kinder. Aber als sie über den Bach
hinüber aufs Feld kam, hörte sie durch die
Sonntagsstille Kettengerassel. Da muß doch
Milchvieh dran hängen, dachte sie. Die hei-
ligen Gedanken in ihrem Innern waren schon
eingeschlafen, als sie nach der Tür griff.
Sie war von innen angekettet.
Die nächste wurde ihr vor der Nase wieder
zugeworfen. Auf einem dritten Fleck stand
der Knecht davor. Der nahm seine Tabaks-
pfeife aus dem Mund, spuckte aus und zeigte
mit seinem großen Daumen nach der Stube.
In dem Lausflur wurde sie von einem rie-
sigen Köter angefahren, und da dachte sie:
,,S' ist am Ende doch unrecht, was du tust"
und ging. Da sah sie eine Frau in das
Niederhof-Gut hineingehen, die ein Gesang-
buch in der Land trug. Die Baldauf-Lermine
hinterdrein.
„Weiß schon, ihr habt allemal, wenn ihr
bettelt, sieben kleine Kinder zu Laus und
obendrein noch einen gefräßigen Mann; wir
haben heut nichts, gar nichts, die ganze Milch
hat heut vormittag der Mühlenkater aus-
gesoffen." Damit ging die Bäuerin ans
Fenster und wollte ihr Gebetbuch in die
Truhe legen.
Aber wie sie so von der Seite das Gesicht
streifte, sah sie, daß es ihre Stuhlnachbarin
aus der Gemeinde war. „I nu sowas, nu
sowas, sie seis! Das kunnte se doch gleich
soogen. Lom se dä kaa Milchkrügle mit?"
Verdächtiger Schwur
„Ich schwöre Dir, Dich zu heiraten, sobald
die Bauern mit den Preisen heruntergehen!"
Aber 's Baldauf-Lerminel hatte nur ihre
Zwirnschachtel bei sich, worin ihr Stück trok-
kenes Brot lag. „No da will ich se nur
en Glitsch Ouark drauf gehn, weil der Römm-
lersch-Franz so schön gepredigt hat."
Aber die fromme Niederhoferin hatte nicht
nur Gottesfurcht, sie schien noch mehr Respekt
vor den Menschen zu haben. Wie nämlich
die alte Baldaufen gehen wollte, gab ihr die
Bäuerin eine sehr eindringliche Mahnung
mit auf den Weg: „Wir haben dahier einen
scharfe» Gendarm, der spannt, ob die Leute
Bauernware ausführen. Verraten je unsere
Adreff' nicht, gute Frau!"
„Was soll ich aber sagen, wenn er nun
wissen will, wo ich den Quark herhabe, fragte
ganz verängstigt die Alte."
„Sagt meinetwegen, na was denn gleich,
sagt, das hat mir der Engel Gabriel geschenkt".
S' Baldauf-Lerminel nickte mit dem Kopf,
dann aber stutzte sie wieder und meinte:
„Wenn er aber nun fragt, wo der Engel
Gabriel wohnt, 's wär doch am Ende möglich?"
„Na, da sprecht, das gttt eich en Dreck an!"
Der reingewaschene Stinnes
„Am Ende glaube ich noch selber, daß ich
so harmlos bin wie meine Maske."
Vom Landein
Du kannst »och so brav an deinem Mit-
menschen handeln, wenn du nicht mit etwas
handelst, wirst du nie vorwärts kommen.
Mit der Land hat handeln nichts zu
tun, es genügt ein Telephon.
Wenn einer sagt, er habe etwas an der
Land, so dauert es nicht lange und er hats
in der Brieftasche.
Kant sagt: „Ländle so, daß dein Wille
stets Grundlage einer allgemeinen Gesetz-
gebung sein kann". — Man sieht, der Mann
ist nie auf die Börse gekommen.
Eine blau angestrichene Käsespitze wird
noch zum Saphir, wenn lange genug damit
gehandelt worden ist.
Landein und nicht verzweifeln! Wenn du
etwas neunmal verschiebst, gehts auch ein
zehntes Mal
Das Christentum stößt die Ländler
und Wechsler aus dem Tempel, die Kirche
läßt sie von hinten wieder herein.
Früher hieß es: „Der schöne Karl, der
lustige Lerr Bock"; heute heißts: Karl Müller,
Telegramm-Adresse: Kohlen-Müller; llnter-
jacken-Bock. r.
*
Der Nagel
Kleinrentner (zum ungeratenen Sohn):
„Adolf, Adolf, du bist der Nagel zu meinem
Pappsarge!"
Mit 30 Jahren — umgetallft!
30 Jahre lang ging die Lohenzollernstraße
vom Post- zum Georgenplatz. Jedermann
war stolz drauf und hatte eitel Freude daran.
Nun sollte es auf einmal anders werden.
Die Geister schieden sich. Die einen waren
noch viel verliebter in ihre Straße, und die
anderen meinten: Die Lohenzollern sind nicht
mehr, sie haben den deutschen Staub von den
fürstlichen Pantoffeln geschüttelt und sind in
Lolland hochselig geworden, darum streichen
wir sie mit Recht aus dem Buch der Deut-
schen. In einer wenig feierlichen Versamm-
lung der Stadtväter ward beschlossen: Sie soll
fortan Bebelstraße heißen.
Als am folgenden Tage das Morgenblätt-
chen erschien, fiel wieder eine erkleckliche Zahl
von Zipfelmiitzen vom Kopfe. Vom Postplatz
aber bis zum Georgenplatz ertönte ein einziger
Schrei. Kommerzienrat Blochmann, der Nr. I
bewohnte, bekam einen Schlaganfall, der ihm
9 Wochen Baden-Baden kostete. Feldmanns
waren außer sich; sie waren immer glücklich
gewesen, auf der durch große Traditionen
geheiligten Straße zu wohnen. Was sollten
bloß die Verwandten sagen? Professor
Waßner wurde tiefsinnig und sprach nur noch
Sanskrit und Alt-Türkisch in seinen lichten
Augenblicken. Die berühmten Stimmen aus
dem Publikum wurden laut in den Zeitungen,
man hielt Protestversammlungen ab und
sammelte Unterschriften zu einer Gegenaktion.
Es half nichts. Die Taufe ward vollzogen.
In aller Stille. Nicht allzu feierlich. Schlicht,
neudeutsch, ohne allen Prunk. Ein paar kräftige
Männer des Baugewerbes bemächtigten sich
mit Zärtlichkeit der Straßenschilder und er-
setzten sie durchneue. DierechtsseitigeLähmung
des Volkskörpers, die man befürchtete, blieb
aus. And bis jetzt hat auch noch kein Erd-
beben die Straße mit dem fürchterlichen
Namen vom Erdboden vertilgt. Es geht an-
scheinend auch so.
*
Die fromme Niederhoferin
Von Alfred Venter
In den sächsischen Bergmannsdörfern hat
es seit alters Leute gegeben, die man die
„Leiligen" nennt. In Lüttengrün hat
neuerdings der Römmler-Franz die Schäslein
eingefangen. Der hatte i» der letzten Zeit
große Offenbarungen. !lm sich von ihnen zu
befreien, stellt er sich auf einen Tisch, predigt
und weissagt von großen Erdbeben, Stürmen
und neuen Erschütterungen unter den Völkern.
Weil nun im Menschen die Neugier nach
dem Zukünftigen nicht totzukriegen ist, hat er
großen Zulauf. Die Baldaufs-Lermine, die
bei jeder Lundehochzeit dabei sein muß, hat
durch die Ebersbrunner Zwirnfrau auch davon
erfahren. Sie wohnt zwar drin in Zwickau
und hat die alte Katharinenkirche bald auf
der Nase sitzen, aber sie kann nicht hinein.
Der eine Pastor hatte ihr die Stimme
nicht klar genug, der andere wieder guckte
sie zu scharf mit der Brille an. Zn der
Frühkirche paßten ihr die stolzen Stadt-
weiber nicht. Drum versuchte sie's einmal
mit einer kleinen Gemeinde. ,,S' gefällt mir
ganz gut beim Römmler!" sagte sie zu ihrer
Stuhlnachbarin, „wenn mich's Reißen nicht
so sehr plagt, komm ich's nächste Mal wieder."
Nur das Beten hatte der Römmler-Franz
zu sehr in die Länge gezogen, und wie sie so
langsam heim trabte, bekam sie trotz der
geistigen Stärkung ein recht irdisches Gefühl
— im Magen. Daheim lauerten Salzerd-
äpfel und trockenes Brot auf sie. Da kam
ihr aus einmal der Gedanke: „Du bist hier auf
dem Lande, und wo Land ist, sind auch
Bauern, und wo's Bauern gibt, gibts auch
was Gutes zu essen, der Lerr Jesus wird
dirs wohl nicht übel nehmen, wenn du ein-
mal nachfragst."
In den Läufern, an denen sie grade vorbei-
ging, sah's freilich nicht nach Butter und
Speck aus, und davor saßen blaffe, krumm-
beinige Kinder. Aber als sie über den Bach
hinüber aufs Feld kam, hörte sie durch die
Sonntagsstille Kettengerassel. Da muß doch
Milchvieh dran hängen, dachte sie. Die hei-
ligen Gedanken in ihrem Innern waren schon
eingeschlafen, als sie nach der Tür griff.
Sie war von innen angekettet.
Die nächste wurde ihr vor der Nase wieder
zugeworfen. Auf einem dritten Fleck stand
der Knecht davor. Der nahm seine Tabaks-
pfeife aus dem Mund, spuckte aus und zeigte
mit seinem großen Daumen nach der Stube.
In dem Lausflur wurde sie von einem rie-
sigen Köter angefahren, und da dachte sie:
,,S' ist am Ende doch unrecht, was du tust"
und ging. Da sah sie eine Frau in das
Niederhof-Gut hineingehen, die ein Gesang-
buch in der Land trug. Die Baldauf-Lermine
hinterdrein.
„Weiß schon, ihr habt allemal, wenn ihr
bettelt, sieben kleine Kinder zu Laus und
obendrein noch einen gefräßigen Mann; wir
haben heut nichts, gar nichts, die ganze Milch
hat heut vormittag der Mühlenkater aus-
gesoffen." Damit ging die Bäuerin ans
Fenster und wollte ihr Gebetbuch in die
Truhe legen.
Aber wie sie so von der Seite das Gesicht
streifte, sah sie, daß es ihre Stuhlnachbarin
aus der Gemeinde war. „I nu sowas, nu
sowas, sie seis! Das kunnte se doch gleich
soogen. Lom se dä kaa Milchkrügle mit?"
Verdächtiger Schwur
„Ich schwöre Dir, Dich zu heiraten, sobald
die Bauern mit den Preisen heruntergehen!"
Aber 's Baldauf-Lerminel hatte nur ihre
Zwirnschachtel bei sich, worin ihr Stück trok-
kenes Brot lag. „No da will ich se nur
en Glitsch Ouark drauf gehn, weil der Römm-
lersch-Franz so schön gepredigt hat."
Aber die fromme Niederhoferin hatte nicht
nur Gottesfurcht, sie schien noch mehr Respekt
vor den Menschen zu haben. Wie nämlich
die alte Baldaufen gehen wollte, gab ihr die
Bäuerin eine sehr eindringliche Mahnung
mit auf den Weg: „Wir haben dahier einen
scharfe» Gendarm, der spannt, ob die Leute
Bauernware ausführen. Verraten je unsere
Adreff' nicht, gute Frau!"
„Was soll ich aber sagen, wenn er nun
wissen will, wo ich den Quark herhabe, fragte
ganz verängstigt die Alte."
„Sagt meinetwegen, na was denn gleich,
sagt, das hat mir der Engel Gabriel geschenkt".
S' Baldauf-Lerminel nickte mit dem Kopf,
dann aber stutzte sie wieder und meinte:
„Wenn er aber nun fragt, wo der Engel
Gabriel wohnt, 's wär doch am Ende möglich?"
„Na, da sprecht, das gttt eich en Dreck an!"
Der reingewaschene Stinnes
„Am Ende glaube ich noch selber, daß ich
so harmlos bin wie meine Maske."
Vom Landein
Du kannst »och so brav an deinem Mit-
menschen handeln, wenn du nicht mit etwas
handelst, wirst du nie vorwärts kommen.
Mit der Land hat handeln nichts zu
tun, es genügt ein Telephon.
Wenn einer sagt, er habe etwas an der
Land, so dauert es nicht lange und er hats
in der Brieftasche.
Kant sagt: „Ländle so, daß dein Wille
stets Grundlage einer allgemeinen Gesetz-
gebung sein kann". — Man sieht, der Mann
ist nie auf die Börse gekommen.
Eine blau angestrichene Käsespitze wird
noch zum Saphir, wenn lange genug damit
gehandelt worden ist.
Landein und nicht verzweifeln! Wenn du
etwas neunmal verschiebst, gehts auch ein
zehntes Mal
Das Christentum stößt die Ländler
und Wechsler aus dem Tempel, die Kirche
läßt sie von hinten wieder herein.
Früher hieß es: „Der schöne Karl, der
lustige Lerr Bock"; heute heißts: Karl Müller,
Telegramm-Adresse: Kohlen-Müller; llnter-
jacken-Bock. r.
*
Der Nagel
Kleinrentner (zum ungeratenen Sohn):
„Adolf, Adolf, du bist der Nagel zu meinem
Pappsarge!"
Mit 30 Jahren — umgetallft!
30 Jahre lang ging die Lohenzollernstraße
vom Post- zum Georgenplatz. Jedermann
war stolz drauf und hatte eitel Freude daran.
Nun sollte es auf einmal anders werden.
Die Geister schieden sich. Die einen waren
noch viel verliebter in ihre Straße, und die
anderen meinten: Die Lohenzollern sind nicht
mehr, sie haben den deutschen Staub von den
fürstlichen Pantoffeln geschüttelt und sind in
Lolland hochselig geworden, darum streichen
wir sie mit Recht aus dem Buch der Deut-
schen. In einer wenig feierlichen Versamm-
lung der Stadtväter ward beschlossen: Sie soll
fortan Bebelstraße heißen.
Als am folgenden Tage das Morgenblätt-
chen erschien, fiel wieder eine erkleckliche Zahl
von Zipfelmiitzen vom Kopfe. Vom Postplatz
aber bis zum Georgenplatz ertönte ein einziger
Schrei. Kommerzienrat Blochmann, der Nr. I
bewohnte, bekam einen Schlaganfall, der ihm
9 Wochen Baden-Baden kostete. Feldmanns
waren außer sich; sie waren immer glücklich
gewesen, auf der durch große Traditionen
geheiligten Straße zu wohnen. Was sollten
bloß die Verwandten sagen? Professor
Waßner wurde tiefsinnig und sprach nur noch
Sanskrit und Alt-Türkisch in seinen lichten
Augenblicken. Die berühmten Stimmen aus
dem Publikum wurden laut in den Zeitungen,
man hielt Protestversammlungen ab und
sammelte Unterschriften zu einer Gegenaktion.
Es half nichts. Die Taufe ward vollzogen.
In aller Stille. Nicht allzu feierlich. Schlicht,
neudeutsch, ohne allen Prunk. Ein paar kräftige
Männer des Baugewerbes bemächtigten sich
mit Zärtlichkeit der Straßenschilder und er-
setzten sie durchneue. DierechtsseitigeLähmung
des Volkskörpers, die man befürchtete, blieb
aus. And bis jetzt hat auch noch kein Erd-
beben die Straße mit dem fürchterlichen
Namen vom Erdboden vertilgt. Es geht an-
scheinend auch so.
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