Skizzen aus deutscher Zukunft
Alfred Venter
I.
Frankes große Reise
Sie staunen und sind versucht zu lachen.
Weitgefehlt! Lerr Franke kann lachen,
denn er hat einen Onkel in Partenkirchen und
außerdem als Reichseisenbahner freie Fahrt.
Wir gönnen ihm beides. Darum konnte er
auch im Jahre 1930 von Meißen nach Parken-
kirchen fahren.
Es ist fast überflüssig zu erzählen, daß es
in den Bergen 1930 ganz anders aussah als
1923. Sie sind zu einer sranzösisch-amerika-
nischenKolonie geworden. DeutscheundOester-
reicher wurden dort mit einer Neugier be-
trachtet, wie etwa um die Jahrhundertwende
ein Japaner in Mittwcida.
Frank als Zentraldeutscher mit seinem ge-
mütlich-fächstschen Dialekteinschlag galt als
eine ganz besonders seltene Type. Einen der
Amerikaner, denen es bekanntlich an über-
originellen Einfällen nie mangelt, machte
sogar den Vorschlag, ihn auf einem silbernen
Tablett durch die Lenny-Porten-Street of
Partenkirchen zu tragen.
In seiner Leimat wurde der Mann, der
nach Partenkirchen gefahren und dort3Wochen
lang kostenlos gewohnt hatte, auf dem Bahn-
hof stürmisch begrüßt.
Stimmen aus dem Publikum äußerten sich
bald dahin, daß Frank der Weitgereiste, einen
Vortrag über seine Erlebnisse halten möge.
Er gab dem allgemeinen Wunsche statt. Der
Saal war überfüllt.
Die Alten nickten mit dem grauen Laupt.
Bilder aus glücklichen Jahren wurden wach,
und die Jungen bekamen Robinsongefühle.
Ein hochwciser Mann aber sagte: „Jeder
Muhammedaner muß in seinem Leben ein-
mal nach Mekka gefahren sein", der Sachsen
Sehnsucht aber ist der Fichtelberg. „Glücklich
der, der das erschwingen kann".
II.
Das große Ereignis
„Gehen Sie mit?"
Natürlich Schmidts und Nouberts gehe»
auch. Das muß man gesehen haben, ehe man
alt und gebrechlich wird.
Die Zeitungen (es gab 1930 immer »och
einige) hatten rechtzeitig auf das Ereignis
hingewiesen. Schon am frühen Morgen be-
wegte sich ein breiter Menschenstrom nach
der Westvorstadt. Am Mittag waren sämt-
liche Bäckerläden des Viertels ausverkauft.
Was war los? Wollte die Völkerschau einem
sportlichen Ereignis ersten Ranges beiwohnen?
Beileibe nicht. Es war ein Laus gebaut
worden! Ein richtig stehendes Laus mit
Türen und Fenstern, und auf dem Dache stand
der Liebebaum, geschmückt mit den verschiedenen
Neichsflaggen, um allen Gesinnungen Rech-
nung zu tragen. Väter hoben ihre Kinder
hoch, um ihnen das Wunder zu zeigen.
„Kommt auch ein Dach darauf?" fragten die
Pessimisten. „Wenn der Dollar will, warum
nicht?" meinten die Optimisten.
Diese Art Leute sind nicht totzukriegen.
III.
Die letzte Steuerquelle
Bei Müllers war Kaffee, d. h. es gab
deutschen Tee mit den mit Recht so un-
beliebten Laferslockentörtchen, und dazu las
man von „Leberecht Lühnchen", dem großen
Anspruchslosen aus den heiterglücklichen Tagen
deutscher Vergangenheit, wie ihn Leinrich
Seidel so sinnig schildert. Kein Klavier stört
die Andacht der Lesenden. Denn diese In-
strumente der Wonne waren schwer versteuert
oder schlummerten noch in den polnischen
Kieferwäldern.
Plötzlich klopfte es kurz, aber energisch,
und in der Türfüllung erschien eine geschwollene
Allonmappe in Begleitung eines Vollstrek-
lungsbeamten.
„Lier ist gelacht worden! Die Lerrschaften
haben lODollarVerguügungssteuerzu zahlen!"
Humor des Auslands
(De Notenkraker, Amsterdam.)
Drei stille Teilhaber an der Entente.
Irrfahrten.
„Lange war Odysseus, der göttliche Dulder,
auf Irrfahrten, ehe er nach Lause fand."
„Da hat er wohl eine militarisierte Strecke
im Ruhrgebiet benützt?"
*
Nepp-Couplet
Die Großßadt pennt. Die Schneppe (Iricht,
Jeknulfch, Je[töhn bei Ampeliicht.
Die Scheine raus. Wer hält die Bank ?
Det jroße Losl Die Bank if’ blank.
Der Zocker schreit. Das Meder blitzt.
Die Lampen aus und wegjeßitzt.
Die Pulle kommt und flößt dich roh
Zur Türe raus, aufs Lastauto,
Die Kasse futsch, det Ooje blau —
flockst du im Loch. Dir if janz flau
Jeneppt, jeneppt
Nach dem ßezept:
Die Dummen werden niemals alle.
Sie gehen immer in die Palle.
Das Buch ist gut. Die Kritik lobt s,
’s wird nich geköpft, denn kecna jloobt s.
Der Autor pu(t fein Leben aus.
Jesichte blau. Die Zunge raus.
Der Film bringt Jeld. Die Diva lacht,
fheater voll. Jefchäft jemacht.
Und von der Spree bis zu der Panke
Herrscht nur een eenziger Jedanke:
Die Pola sehn. Die Prau if jroß.
Del Publikum if fassungslos.
Jeneppt, jeneppt
Nach dem ßezept:
Die Dummen werden niemals alle.
Sie gehen immer in die Palle.
Der Mob if! los. Der Mob ist frei.
Die Linden lang. Und Keilerei.
Jeblök im Baß und im Soprane.
Janz vorne hängt ’ne Pahne.
Die Brüste raus. Die Neefe hoch,
fallt bloß nich in een Afphallloch.
Musik, Jetratfeh, Allotria.
Gr kommt! Cr kommtI Hurra, hurraI
Man steht ’ne blaue Brille.
Det janze Volk if knille.
Jeneppt, jeneppl
Nach dem ßezept:
Die Dummen werden niemals alle.
Sie gehen immer in die Palle.
hardy Worin (Berlin]
Alfred Venter
I.
Frankes große Reise
Sie staunen und sind versucht zu lachen.
Weitgefehlt! Lerr Franke kann lachen,
denn er hat einen Onkel in Partenkirchen und
außerdem als Reichseisenbahner freie Fahrt.
Wir gönnen ihm beides. Darum konnte er
auch im Jahre 1930 von Meißen nach Parken-
kirchen fahren.
Es ist fast überflüssig zu erzählen, daß es
in den Bergen 1930 ganz anders aussah als
1923. Sie sind zu einer sranzösisch-amerika-
nischenKolonie geworden. DeutscheundOester-
reicher wurden dort mit einer Neugier be-
trachtet, wie etwa um die Jahrhundertwende
ein Japaner in Mittwcida.
Frank als Zentraldeutscher mit seinem ge-
mütlich-fächstschen Dialekteinschlag galt als
eine ganz besonders seltene Type. Einen der
Amerikaner, denen es bekanntlich an über-
originellen Einfällen nie mangelt, machte
sogar den Vorschlag, ihn auf einem silbernen
Tablett durch die Lenny-Porten-Street of
Partenkirchen zu tragen.
In seiner Leimat wurde der Mann, der
nach Partenkirchen gefahren und dort3Wochen
lang kostenlos gewohnt hatte, auf dem Bahn-
hof stürmisch begrüßt.
Stimmen aus dem Publikum äußerten sich
bald dahin, daß Frank der Weitgereiste, einen
Vortrag über seine Erlebnisse halten möge.
Er gab dem allgemeinen Wunsche statt. Der
Saal war überfüllt.
Die Alten nickten mit dem grauen Laupt.
Bilder aus glücklichen Jahren wurden wach,
und die Jungen bekamen Robinsongefühle.
Ein hochwciser Mann aber sagte: „Jeder
Muhammedaner muß in seinem Leben ein-
mal nach Mekka gefahren sein", der Sachsen
Sehnsucht aber ist der Fichtelberg. „Glücklich
der, der das erschwingen kann".
II.
Das große Ereignis
„Gehen Sie mit?"
Natürlich Schmidts und Nouberts gehe»
auch. Das muß man gesehen haben, ehe man
alt und gebrechlich wird.
Die Zeitungen (es gab 1930 immer »och
einige) hatten rechtzeitig auf das Ereignis
hingewiesen. Schon am frühen Morgen be-
wegte sich ein breiter Menschenstrom nach
der Westvorstadt. Am Mittag waren sämt-
liche Bäckerläden des Viertels ausverkauft.
Was war los? Wollte die Völkerschau einem
sportlichen Ereignis ersten Ranges beiwohnen?
Beileibe nicht. Es war ein Laus gebaut
worden! Ein richtig stehendes Laus mit
Türen und Fenstern, und auf dem Dache stand
der Liebebaum, geschmückt mit den verschiedenen
Neichsflaggen, um allen Gesinnungen Rech-
nung zu tragen. Väter hoben ihre Kinder
hoch, um ihnen das Wunder zu zeigen.
„Kommt auch ein Dach darauf?" fragten die
Pessimisten. „Wenn der Dollar will, warum
nicht?" meinten die Optimisten.
Diese Art Leute sind nicht totzukriegen.
III.
Die letzte Steuerquelle
Bei Müllers war Kaffee, d. h. es gab
deutschen Tee mit den mit Recht so un-
beliebten Laferslockentörtchen, und dazu las
man von „Leberecht Lühnchen", dem großen
Anspruchslosen aus den heiterglücklichen Tagen
deutscher Vergangenheit, wie ihn Leinrich
Seidel so sinnig schildert. Kein Klavier stört
die Andacht der Lesenden. Denn diese In-
strumente der Wonne waren schwer versteuert
oder schlummerten noch in den polnischen
Kieferwäldern.
Plötzlich klopfte es kurz, aber energisch,
und in der Türfüllung erschien eine geschwollene
Allonmappe in Begleitung eines Vollstrek-
lungsbeamten.
„Lier ist gelacht worden! Die Lerrschaften
haben lODollarVerguügungssteuerzu zahlen!"
Humor des Auslands
(De Notenkraker, Amsterdam.)
Drei stille Teilhaber an der Entente.
Irrfahrten.
„Lange war Odysseus, der göttliche Dulder,
auf Irrfahrten, ehe er nach Lause fand."
„Da hat er wohl eine militarisierte Strecke
im Ruhrgebiet benützt?"
*
Nepp-Couplet
Die Großßadt pennt. Die Schneppe (Iricht,
Jeknulfch, Je[töhn bei Ampeliicht.
Die Scheine raus. Wer hält die Bank ?
Det jroße Losl Die Bank if’ blank.
Der Zocker schreit. Das Meder blitzt.
Die Lampen aus und wegjeßitzt.
Die Pulle kommt und flößt dich roh
Zur Türe raus, aufs Lastauto,
Die Kasse futsch, det Ooje blau —
flockst du im Loch. Dir if janz flau
Jeneppt, jeneppt
Nach dem ßezept:
Die Dummen werden niemals alle.
Sie gehen immer in die Palle.
Das Buch ist gut. Die Kritik lobt s,
’s wird nich geköpft, denn kecna jloobt s.
Der Autor pu(t fein Leben aus.
Jesichte blau. Die Zunge raus.
Der Film bringt Jeld. Die Diva lacht,
fheater voll. Jefchäft jemacht.
Und von der Spree bis zu der Panke
Herrscht nur een eenziger Jedanke:
Die Pola sehn. Die Prau if jroß.
Del Publikum if fassungslos.
Jeneppt, jeneppt
Nach dem ßezept:
Die Dummen werden niemals alle.
Sie gehen immer in die Palle.
Der Mob if! los. Der Mob ist frei.
Die Linden lang. Und Keilerei.
Jeblök im Baß und im Soprane.
Janz vorne hängt ’ne Pahne.
Die Brüste raus. Die Neefe hoch,
fallt bloß nich in een Afphallloch.
Musik, Jetratfeh, Allotria.
Gr kommt! Cr kommtI Hurra, hurraI
Man steht ’ne blaue Brille.
Det janze Volk if knille.
Jeneppt, jeneppl
Nach dem ßezept:
Die Dummen werden niemals alle.
Sie gehen immer in die Palle.
hardy Worin (Berlin]