Ernst Hoferichter:
^Bayerische Kleinstadt
Da liegt unten im Tale eine bayerische Kleinstadt, lieblich
wie ein mit Waschzettel zurückgesandtes Gedicht, und sinn-
reich eingebettet, gleich dem Reiseaufsah im Inseratenteil der
Bäderzeitung, der vor kurzem über dieses Glück im Winkel
geschrieben wurde.
Eine Straßentafel läßt ein Idyll ahnen: „Auf diesem Wege
ist das Reiten, Fahren und Betteln im Trab und erst recht
i>n Galopp verboten! Der Bürgermeister."
Den geographischen und tvirtschaftlichcn Mittelpunkt der Stadt
bildet die Gefangcncnanstalt. Zur Zeit werden darin die sicben-
»nddreißig Messerstiche und dreiundzwanzig Abreibungen des
ganzen Bezirksamtes abgebüßt.
An, Marktplatz schiebt sich die hängebusige Käsehändleri»
Kinkel in den Fensterrahmen und zählt durch Striche die Zu-
gänge und Austritte der Anstalt ab, deren Lieferantin sie seit
Martini geworden ist. Auf diese Weise beherrscht sic die krimi-
nelle Statistik lind hält das Lager im Limburger laufend.
Mein Freund, der Maler B., hat i» der Glaswarenhandlung
Benno Bierlinger die Umgegend bis zu den Amtsgcrichts-
grenzen in Ol ausgestellt. Ick will darüber im Wochenblatt
„Das Dampfboot am Znir" eine künstlerische Würdigung
schreiben. So ersuche ich Herrn Bierlinger, mir die Aus-
stellung, die öffentlich ist und sich im Stcingutlager befindet,
zu zeigen.Bedauernd zuckt er die Achsel: „Dö kann i Gahna net
zoag'n, benn i Hab scho an Kritiker, der darüber schreiben werd .."
2ch trete beimBuchhändlerBorbeitner ein. TheodorKörner, den
das Warenhaus HermannTietz zum wohlfeilen Klassiker gemacht
hat, begrüßt mich in Goldschnitt. Ich bitte um die Erlaubnis, telc-
fonicren zu dürfen. „Nuar zua ....!" gestattet der Buchhändler.
Als ich am Apparat die Nummer siebzehn verlange, schreit
er: „Na einhänga . . .! Dö Nummer erlaube i net.. .!
Mit dem Saubazi führ' i an Beleidigungsprozeß. - Der
hat mi an ,Lautsprecher" g'hoaßen!"
3n der Stadtpfarrkirchc besuche ich die berühmte holzgeschnitzte
Krippe, in der zu dieser Zeit der Kindermord des Herodes
ausgestellt ist. Zur Linken ziehen die heiligen Drei Könige ab.
Zeichnungen von Lili Reihi
deren Kamele mit Kaugummipäckchen und Vasclinschachteln
beladen sind. In der Mitte knien im Moos die Mütter mit
ihren Kindern, über denen die Schwerter der herodesianischcn
Leibgarde blitzen. Aber unter dieser mordenden Reiterei sehe
ich eine Figur, die mich aus aller tragischen Versenkung reißt -
und die nur vielleicht deshalb in dieses Bild gesetzt wurde,
tveil sie eine Stiftung darstellt, die verwendet werden mußte.
Da steht hoch zu Roß und kriegsmäßig, mit Feldflasche,
Schwert, Karabiner rind Lanze versehen, — ein bayerischer
Chevauleger. Lind die bethlehemitischen Mütter reichen ihm die
Kinder zum Morde hin. Da denke ich über das Glück nach,
daß hier so leicht kein Belgier auf Sommerfrische kommt; deim
sonst würden die Schauermärchen von Anno vierzehn noch ein-
mal aufgetischt. Dem bayerischen Schwelle wäre das sauwurscht,
denn er lächelt holzgeschnitzt iiber Judäa hin . . .
Abends sitze ich im Flößerbräu. Über der Ofenbank fährt König
Ludwig II. seit vierzig Iahrcit Schlitten — in der Richtung
zur Küche, aus der es nach Kartoffelsalat riecht. Daruittcr
hockt heut Abend der dreiundneunzigjährige Salzstößler Peter
Anzensberger, der schon in einer Illustrierten abgebildet war.
Neben ihm sitzt sein Sohn, Allst und patscht gedanken-
verloren der Kellnerin das Winterquartier.
„Eham schatigt's oa . . . Er aa schon .. brummt der Vater.
„D'Mari is do a zünftige .Henna . . .!" entschuldigt sich der
einundsiebzigjährige Sohn, dem der Vater anttvortet:
„Fang ma mit dö Weiber net z'vuil on, Alisi. . .! Luader
sand's alle . . . Lind du werst's schon mal selber sehg'n, wennst
älter wirst. . .!"
Vom Fenster her grüßt mich der Brücker Franzel. Der ist
erster Vorstand vom Oberbayerischen Trachtenverein „Gams-
bart". Er hat jetzt noch einen kleinen Vereinsgang ehrenhalber
zu machen. Ich begleite ihn. Draußen sind die Berge wie
Theaterdekorationen schwarz gegen den .Himmel gestellt als
wollte jeden Augenblick die Bauernkomödie beginnen, in der
ein Großbauer seinen Sohn mit dem von-der-Wand-geriffenen
Stutzen von Haus und .Hof treibt, abschießt und zum Glück
und Aktschluß auf den Firmungstaler trifft.
O
^Bayerische Kleinstadt
Da liegt unten im Tale eine bayerische Kleinstadt, lieblich
wie ein mit Waschzettel zurückgesandtes Gedicht, und sinn-
reich eingebettet, gleich dem Reiseaufsah im Inseratenteil der
Bäderzeitung, der vor kurzem über dieses Glück im Winkel
geschrieben wurde.
Eine Straßentafel läßt ein Idyll ahnen: „Auf diesem Wege
ist das Reiten, Fahren und Betteln im Trab und erst recht
i>n Galopp verboten! Der Bürgermeister."
Den geographischen und tvirtschaftlichcn Mittelpunkt der Stadt
bildet die Gefangcncnanstalt. Zur Zeit werden darin die sicben-
»nddreißig Messerstiche und dreiundzwanzig Abreibungen des
ganzen Bezirksamtes abgebüßt.
An, Marktplatz schiebt sich die hängebusige Käsehändleri»
Kinkel in den Fensterrahmen und zählt durch Striche die Zu-
gänge und Austritte der Anstalt ab, deren Lieferantin sie seit
Martini geworden ist. Auf diese Weise beherrscht sic die krimi-
nelle Statistik lind hält das Lager im Limburger laufend.
Mein Freund, der Maler B., hat i» der Glaswarenhandlung
Benno Bierlinger die Umgegend bis zu den Amtsgcrichts-
grenzen in Ol ausgestellt. Ick will darüber im Wochenblatt
„Das Dampfboot am Znir" eine künstlerische Würdigung
schreiben. So ersuche ich Herrn Bierlinger, mir die Aus-
stellung, die öffentlich ist und sich im Stcingutlager befindet,
zu zeigen.Bedauernd zuckt er die Achsel: „Dö kann i Gahna net
zoag'n, benn i Hab scho an Kritiker, der darüber schreiben werd .."
2ch trete beimBuchhändlerBorbeitner ein. TheodorKörner, den
das Warenhaus HermannTietz zum wohlfeilen Klassiker gemacht
hat, begrüßt mich in Goldschnitt. Ich bitte um die Erlaubnis, telc-
fonicren zu dürfen. „Nuar zua ....!" gestattet der Buchhändler.
Als ich am Apparat die Nummer siebzehn verlange, schreit
er: „Na einhänga . . .! Dö Nummer erlaube i net.. .!
Mit dem Saubazi führ' i an Beleidigungsprozeß. - Der
hat mi an ,Lautsprecher" g'hoaßen!"
3n der Stadtpfarrkirchc besuche ich die berühmte holzgeschnitzte
Krippe, in der zu dieser Zeit der Kindermord des Herodes
ausgestellt ist. Zur Linken ziehen die heiligen Drei Könige ab.
Zeichnungen von Lili Reihi
deren Kamele mit Kaugummipäckchen und Vasclinschachteln
beladen sind. In der Mitte knien im Moos die Mütter mit
ihren Kindern, über denen die Schwerter der herodesianischcn
Leibgarde blitzen. Aber unter dieser mordenden Reiterei sehe
ich eine Figur, die mich aus aller tragischen Versenkung reißt -
und die nur vielleicht deshalb in dieses Bild gesetzt wurde,
tveil sie eine Stiftung darstellt, die verwendet werden mußte.
Da steht hoch zu Roß und kriegsmäßig, mit Feldflasche,
Schwert, Karabiner rind Lanze versehen, — ein bayerischer
Chevauleger. Lind die bethlehemitischen Mütter reichen ihm die
Kinder zum Morde hin. Da denke ich über das Glück nach,
daß hier so leicht kein Belgier auf Sommerfrische kommt; deim
sonst würden die Schauermärchen von Anno vierzehn noch ein-
mal aufgetischt. Dem bayerischen Schwelle wäre das sauwurscht,
denn er lächelt holzgeschnitzt iiber Judäa hin . . .
Abends sitze ich im Flößerbräu. Über der Ofenbank fährt König
Ludwig II. seit vierzig Iahrcit Schlitten — in der Richtung
zur Küche, aus der es nach Kartoffelsalat riecht. Daruittcr
hockt heut Abend der dreiundneunzigjährige Salzstößler Peter
Anzensberger, der schon in einer Illustrierten abgebildet war.
Neben ihm sitzt sein Sohn, Allst und patscht gedanken-
verloren der Kellnerin das Winterquartier.
„Eham schatigt's oa . . . Er aa schon .. brummt der Vater.
„D'Mari is do a zünftige .Henna . . .!" entschuldigt sich der
einundsiebzigjährige Sohn, dem der Vater anttvortet:
„Fang ma mit dö Weiber net z'vuil on, Alisi. . .! Luader
sand's alle . . . Lind du werst's schon mal selber sehg'n, wennst
älter wirst. . .!"
Vom Fenster her grüßt mich der Brücker Franzel. Der ist
erster Vorstand vom Oberbayerischen Trachtenverein „Gams-
bart". Er hat jetzt noch einen kleinen Vereinsgang ehrenhalber
zu machen. Ich begleite ihn. Draußen sind die Berge wie
Theaterdekorationen schwarz gegen den .Himmel gestellt als
wollte jeden Augenblick die Bauernkomödie beginnen, in der
ein Großbauer seinen Sohn mit dem von-der-Wand-geriffenen
Stutzen von Haus und .Hof treibt, abschießt und zum Glück
und Aktschluß auf den Firmungstaler trifft.
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