Die Dame kümmerte sich nicht um
die Leute, die ihr folgten, singend
und lachend torkelte sie durch die
Rue Pigalie, wo sich endlich zwei
Polizisten ihrer erbarmten und sie
in eine benachbarte Station führten/'
„Kaben Sie auch Aufnahmen von
dieser Person?" fragte nachts drei
Ahr der Chef, als die vierte Ko-
lonne zurückkam.
„Ja."
„Wir haben schon vier Aufnahmen
hier. Sie bringen die fünfte."
„And wir die sechste," trat eine
neue Kolonne in das Büro.
„Die Dame nächtigt in Station 87,"
fuhr der Chef fort, „ich habe bereits
einen Kerrn Posten fassen lassen,
der sic hierher führen soll. In-
zwischen bitte ich Sie, die Ne-
gative schnell zu entivickeln und zu
kopieren."
Cs war sieben Ahr morgens, als
die Dame hereingeführt wurde.
Sie schien sehr zerschlagen und
weinte in ihr Taschentuch.
„Gnädige Frau," meinte der Kerr
in Schwarz, „wir ivcrden Ihne» jetzt
Ihre Aufnahme vorführen. Wir
möchten Sie gern überzeugen, wie
unwürdig es einer so schönen und
scharmanten Frau ist, zu trinken."
Das Licht verlosch. Ein Surren
kain von hinten.
Auf der Leinwand sprang ein Film
auf. Zeigte die junge Frau in den
nächtlichen Straßen von Paris,
zeigte sie in allen ihren gro-
tesken Bewegungen, oft sogar i»
kurzen Großaufnahmen, wo die
Schönheit ihres Gesichts zur Gel-
tung kam. Aber immer wieder ver-
wischte sie ein bachantisches Lachen,
eine tolle Grimasse, ein plötzliches
Entsetzen. Man sah sie an einer
Wand zusammenbrechen, von be-
ZeidinuHg von Lothar Reiz
„Und die kleinen Küken sind alle
künstlich ausgebrütet worden?“
„Jawohl, Fräulein!“
„Fabelhaft! Sie sehen genau aus
wie echte!“
Zeichnung \ cm I , i c h S laug e
Wörtlich genommen
„Was baust du denn da für Bücherberge zusammen!‘‘
„Der Lehrer hat gesagt, ich soll mich hinter die
Bücher setzen, wenn ich versetzt werden will!“
mode/alon 1011^
Zeichnung von H e r m a n n G rot h
Gut gesteuert
„Famos, Fred, famos! Just den Mantel da habe ich
mir schon immer gewünscht!“
lustigten Passanten mühsam wieder emporgehoben.
Die Dame tveinte leise vor sich hin. „Mein
Gott," schluchzte sie beschämt, „was soll aus mir
werden? Ich bin eine haltlose Frau. Ein Glas
Portwein, ein zweites daheim, so beginnt es
immer. Kelsen Sic mir! Retten Sie mich! Geben
Sie mir den Film mit, ich ivill ihn stets als
ivarncndes, als abschreckendes Bild vor Augen
haben."
„Der Streifen kommt in unser Archiv, gnädige
Frau," bedauerte der Kerr, „wir können keine
Ausnahme machen."
„Dann bin ich verloren. Ich beschwöre Sie, mein
Kerr, cs ist die einzige Möglichkeit, mich zu retten,"
schluchzte sie immer Heftiger.
Man besprach sich in der Brüder-
schaft. Schließlich, da man noch
nie eine so tiefe Reue erlebt Hatte,
beschloß man, ihr den Film aus-
zufolgen. Weinend, in tiefster Zer-
knirschung und mit schamhaftem
Dank nahm ihn die Dame in
Empfang, verbarg ihr Gesicht in
den Kragen des Pelzmantels und
ging.
„Sie?" sah erstaunt der Auf-
nahmeleiter der Pathüfilmgesell-
schaft auf, „aber ich habe Ihnen
doch schon wiederholt gesagt, daß
ich Sie nicht brauchen kann! Sie
mögen schön sein. Sie sind elegant,
aber ich glaube niemals an Ihr
Talent. Sie haben als Frau aus
bürgerlichem Milieu viel zu viel
Kemmungen, Ihre Bewegungen
sind zu begrenzt, Ihr Gesicht für
die Kamera tot."
Die Dame lachtet
„Ich bringe Ihnen den Beweis
des Gegenteils!"
„Den Beweis?"
„Ja. Probeaufnahmeii. Die Alko-
holgegner haben mich gestern ge-
filmt. Eifrigst. Den ganzen Abend,
als trunkene Traute. So nüchtern
ivar ich selten, wie gestern nacht.
Kier sind die Aufnahmen."
Interessiert nahm sie der Re-
gisseur.
„Das sind Sie?" staunte er.
„Das bin ich. And meint Sie
jetzt noch an Kcmmungen, Talent-
losigkeit glauben, so fragen Sie
bei diesen Leuten an. Die Trunkene
zu spielen, war nicht schwer. Von
Polizisten abgeftthrt zu werden,
tvar nur peinlich. Aber heute früh
die reuige GctnS zu mimen und
den Film herauslocken, das, mein
Kerr, war meine schwerste und
beste Leistung."
Zeichnung von H eim. Peter
„Los, ausziehen! Und ’n bisken dalli!“
„Ich muß Ihnen aber vorher sagen,
meine Herren, ich fühle mich eigent-
lich ganz gesund!“
10
die Leute, die ihr folgten, singend
und lachend torkelte sie durch die
Rue Pigalie, wo sich endlich zwei
Polizisten ihrer erbarmten und sie
in eine benachbarte Station führten/'
„Kaben Sie auch Aufnahmen von
dieser Person?" fragte nachts drei
Ahr der Chef, als die vierte Ko-
lonne zurückkam.
„Ja."
„Wir haben schon vier Aufnahmen
hier. Sie bringen die fünfte."
„And wir die sechste," trat eine
neue Kolonne in das Büro.
„Die Dame nächtigt in Station 87,"
fuhr der Chef fort, „ich habe bereits
einen Kerrn Posten fassen lassen,
der sic hierher führen soll. In-
zwischen bitte ich Sie, die Ne-
gative schnell zu entivickeln und zu
kopieren."
Cs war sieben Ahr morgens, als
die Dame hereingeführt wurde.
Sie schien sehr zerschlagen und
weinte in ihr Taschentuch.
„Gnädige Frau," meinte der Kerr
in Schwarz, „wir ivcrden Ihne» jetzt
Ihre Aufnahme vorführen. Wir
möchten Sie gern überzeugen, wie
unwürdig es einer so schönen und
scharmanten Frau ist, zu trinken."
Das Licht verlosch. Ein Surren
kain von hinten.
Auf der Leinwand sprang ein Film
auf. Zeigte die junge Frau in den
nächtlichen Straßen von Paris,
zeigte sie in allen ihren gro-
tesken Bewegungen, oft sogar i»
kurzen Großaufnahmen, wo die
Schönheit ihres Gesichts zur Gel-
tung kam. Aber immer wieder ver-
wischte sie ein bachantisches Lachen,
eine tolle Grimasse, ein plötzliches
Entsetzen. Man sah sie an einer
Wand zusammenbrechen, von be-
ZeidinuHg von Lothar Reiz
„Und die kleinen Küken sind alle
künstlich ausgebrütet worden?“
„Jawohl, Fräulein!“
„Fabelhaft! Sie sehen genau aus
wie echte!“
Zeichnung \ cm I , i c h S laug e
Wörtlich genommen
„Was baust du denn da für Bücherberge zusammen!‘‘
„Der Lehrer hat gesagt, ich soll mich hinter die
Bücher setzen, wenn ich versetzt werden will!“
mode/alon 1011^
Zeichnung von H e r m a n n G rot h
Gut gesteuert
„Famos, Fred, famos! Just den Mantel da habe ich
mir schon immer gewünscht!“
lustigten Passanten mühsam wieder emporgehoben.
Die Dame tveinte leise vor sich hin. „Mein
Gott," schluchzte sie beschämt, „was soll aus mir
werden? Ich bin eine haltlose Frau. Ein Glas
Portwein, ein zweites daheim, so beginnt es
immer. Kelsen Sic mir! Retten Sie mich! Geben
Sie mir den Film mit, ich ivill ihn stets als
ivarncndes, als abschreckendes Bild vor Augen
haben."
„Der Streifen kommt in unser Archiv, gnädige
Frau," bedauerte der Kerr, „wir können keine
Ausnahme machen."
„Dann bin ich verloren. Ich beschwöre Sie, mein
Kerr, cs ist die einzige Möglichkeit, mich zu retten,"
schluchzte sie immer Heftiger.
Man besprach sich in der Brüder-
schaft. Schließlich, da man noch
nie eine so tiefe Reue erlebt Hatte,
beschloß man, ihr den Film aus-
zufolgen. Weinend, in tiefster Zer-
knirschung und mit schamhaftem
Dank nahm ihn die Dame in
Empfang, verbarg ihr Gesicht in
den Kragen des Pelzmantels und
ging.
„Sie?" sah erstaunt der Auf-
nahmeleiter der Pathüfilmgesell-
schaft auf, „aber ich habe Ihnen
doch schon wiederholt gesagt, daß
ich Sie nicht brauchen kann! Sie
mögen schön sein. Sie sind elegant,
aber ich glaube niemals an Ihr
Talent. Sie haben als Frau aus
bürgerlichem Milieu viel zu viel
Kemmungen, Ihre Bewegungen
sind zu begrenzt, Ihr Gesicht für
die Kamera tot."
Die Dame lachtet
„Ich bringe Ihnen den Beweis
des Gegenteils!"
„Den Beweis?"
„Ja. Probeaufnahmeii. Die Alko-
holgegner haben mich gestern ge-
filmt. Eifrigst. Den ganzen Abend,
als trunkene Traute. So nüchtern
ivar ich selten, wie gestern nacht.
Kier sind die Aufnahmen."
Interessiert nahm sie der Re-
gisseur.
„Das sind Sie?" staunte er.
„Das bin ich. And meint Sie
jetzt noch an Kcmmungen, Talent-
losigkeit glauben, so fragen Sie
bei diesen Leuten an. Die Trunkene
zu spielen, war nicht schwer. Von
Polizisten abgeftthrt zu werden,
tvar nur peinlich. Aber heute früh
die reuige GctnS zu mimen und
den Film herauslocken, das, mein
Kerr, war meine schwerste und
beste Leistung."
Zeichnung von H eim. Peter
„Los, ausziehen! Und ’n bisken dalli!“
„Ich muß Ihnen aber vorher sagen,
meine Herren, ich fühle mich eigent-
lich ganz gesund!“
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