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Zeidmung von Georg Wilk

Brief öes pg. Paul flachulke ln Berlin an öen Vsaf Aöolf Hitler Ln München.

Verehrter Vsaf!

Der, wo Ihnen heute schreibt, als wie icke, is een einfacher Mann
und Volksjenosse, und bin ick seit einem halben Jahr in einer
Berliner Sturmabteilung, und wir haben Keilerei jehabt mit
die Reichsbannerjungs und Keilerei mit die Kommunisten
und ooch der Pg. Goebbels wäre um een Laar an die Reihe
jckommen — dct war damals, wo Sie hier waren, wenn ick
Ihnen erinnern derf. Ick kann Ihnen sagen, verehrter Osaf,
wir haben allerhand Klamauk jemacht, jeschricn haben wir und
jeschoffen und sind dabei jestanden bei die vielen Versamm-
lungen und bei die Wahllokale, und warum haben wir det alles
jemacht? Weil Sie haben det Kapital abschaffcn wollen und
die Zinsknechtschaft und die Arbeitslosigkeit und die Tribute
und die Korruption! Leil Litler! haben wir jebrüllt, ejal
Leil Litler! und Deutschland erwache! weil wir jedacht haben:
nu wird dies alles abjeschafft und nu wird alles jut sinn.
Aber nu frage ick Ihnen: wat is denn jetzt und wat wird nu
und is nu allens jut? Ick bin dabei jewcsen, wie sie sind
injezogen, unsere 107 Mann in den Reichstag. Mächtig jefreut
haben wir uns, wie sie sind jekommen in unsere verbotenen
braunen Lemden, die wo man nich so oft waschen braucht,
und det sicht kleidsam aus und wie die Leute selber aussehen,
dafür können sie nich. Denn habe ick oben jeseffen uff die
Tribüne und Hab mir jedacht, nu werden sie die Kapitalisten
rausschmeißen und die Landesverräter und sie werden sich
natzjonal erheben und die Macht erjreifen. Ick Hab die janze Zeit
da oben uff die Revolution jewartet, aber ick Hab nischt davon
jesehn! Ick Hab nur jesehn, wie der Pg. Frick dem Lergt hat
die Land jedrückt und dem Ianuschauer ooch, und denn wollten
sie den Scholz zum Präsidenten machen, und der Lugenberg
hat ihnen zujewinkt. Lind da bin ick rausjejangen, da wo sie
die Fensterscheiben zerschlagen hatten — und nu ist dies schon
eine janze Zeit her, und ick weeß immer noch nich, ob denn
nu alles jut is.

Verehrter Osaf, ick bin een janz einfacher Volksjcnoffe und ick
verstehe nischt wie deutsch — und deshalb bin ick ja bei euch
- Natzjonalsozjalisten. Aber wozu wir nu den janzen Rummel
mit die Wahlen jemacht haben und wozu wir die hundertsiem
Männeken im Reichstag zu sitzen haben — also det verstehe

Berlin, im November 1930

ick nich. Sehen Sie, verehrter Osaf, da Hab ick Bekannte, die
sind bei die Sozjalisten, und zu denen Hab ick jlcich nach die
Wahl jesagt: nu wird alles anders, nu paßt uff, nu jibts
keene Banken und Börsen mehr, und die Schieber fliesen raus,
und mit denr Ausland det hört uff, und mehr als fünf Prozent
Zinsen zahlen wir alle nich mehr. Da haben die jemeent:
fünf Prozent wären ooch noch jenug — aber det sind eben
sone beschiffene Marxisten, die sehen eben mehr uff die Zahlen
als auf den Zeist, nich wahr, aber wenn sie mich jetzt aus-
lachen von wejen unsere Erfolje, wat soll ick ihnen denn sagen?
Bloß sich jejenseitig in die Freffc schlagen, det is doch nu ooch
nischt, meenc ick. Also darum schreibe ick an Sie, weil ick det
alles nich verstehe.

Sehen Sie, was unser Pg. Straffer is, der hat laut und
deutlich im Reichstag jesagt: sein Wort kann man brechen,
det is bloß een politisches Mittel und weiter jarnischt. And Sie,
der Osaf selber, Sic haben da ufft Reichsjericht in Leipzig
wat von der Lejalität jeschworen — also wir sind ja von der
SA., nich wahr, wir wiffen da ja Bescheid. And nu möchte
ick von Sie wiffen: is det Wortbrechen bei uns bloß een
politisches Mittel jejen die Iejner oder auch untereinander?
Also wenn da die Parteijenoffen Goebbels und Goering haben
erzählt von Arbeiterpartei und Freiheit und Brot und Auf-
hören der Zinsknechtschaft und wat sie sonst noch alles machen
werden — is det vielleicht ooch bloß een politisches Mittel
jewesen?

Ansereener möchte doch nu endlich jern wissen, wat los is.
Wir haben nu lange jenug Klamauk jemacht und für det Jeld,
watSie uns zahlen,wars allerhand. And denn haben wirdochbei
die Wahlen jesiegt und dann sind unsere Leute in den Reichstag
jegangen — aber was sich nu jebeffert hat, also nich det ick
wüßte. Ansereener schreit schon im Schlafe: Deutschland er-
wache! And nu möchte ick wiffen: schreien Sie un die Ienoffen
Abjeordneten det ettva ooch schon im Schlaf?

Indem ick die Land ^
erjebenst als

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