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Die große passion

i.

^^ie passionsdarstellungen nehmen im Norden einen ungeheuren Raum ein.

wenn vürer sagen will, wozu die Malerei gut sei, so nennt er zwei Oinge:
daß sie das bildnis des INenschen über seinen Tod hinaus aufbewahre — der
uralte Kuhm der bildenden Runst — und dann, daß sie die passion des herrn zu
vergegenwärtigen imstande sei?) wie undenkbar wäre ein solches Urteil in
venedig oder Florenz! Uber es ist wahr, noch heute sind es die venkmäler der
passion, die einem in Uürnberg auf Schritt und Tritt begegnen, in den Uirchen
und auf den Gassen, da ein Zchmerzensmann, dort ein Gekreuzigter, ein Gebet
am Dlberg oder eine Ureuztragung. wan hatte das vedürfnis, die Folge der
Situationen nachzuerleben, Stunde um Stunde des großen Leidensdramas sich vor
Uugen zu stellen. vas volksgemüt konnte sich nicht ersättigen am Kührenden.
Vie peiniger konnten nicht gefühllos genug, Christus und seine wutter nicht er-
barmungswürdig genug dargestellt werden. vie Passionsspiele gehen hierin noch
viel weiter als die bildende Uunst. ven biblischen Cext ganz hinter sich lassend,
versuchen sie alle Ciefen des witleiderregenden zu erschöpfen und andrerseits üen
Haß gegen die jüdischen Schergen zu schärfen, indem die Gualen lang und grau-
sam geschildert werden. wenn daneben das vurleske auch sich eindrängt, so emp-
findet man das fast als eine vefreiung, als einen Vkt der Selbsterhaltung, den
der gesunde volksinstinkt verlangt.

Vie bildende Kunst, wie gesagt. unterscheidet sich in der Stimmung von dem
Äon dieser Passionsspiele, aber eine Neigung zum Rührseligen und zur Über-
treibung des Grausamen wird man doch im ganzen 15. vahrhundert bemerken.
Nun hatte die graphische Runst die Nufgabe, bildliche Erbauungsbücher für das
Haus zu liefern und auf diesem boden ist der schönste passionszyklus vor Oürer
erwachsen, die Rupferstichfolge des wartin Schongauer. Lr geht nicht immer
tief, allein er hat deutlich den willen, das (bemeine und Criviale zu verdrängen
durch eine edlere Varstellung, und in der Regie der Szenen, da wo nun der
Mnstler im besonderen spricht, ist er allen weit überlegen. Um vürers passion
zu beurteilen, ist die vergleichung mit Schongauer unerläßlich.

') In den Entwürfen zur Linleitung des großen Runstbuches. bi?. 29b, 297.
 
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