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Wölfflin, Heinrich [Hrsg.]; Dürer, Albrecht [Ill.]
Handzeichnungen — München, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.28841#0013
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Die geschichtliche Bedeutung Dürers als Zeichner liegt darin, daß er auf der
Basis der modernen dreidimensionalen Wirklichkeitsdarstellung einen rein
linearen Stil ausgebildet hat.

Alle Zeichnung bewegt sich zwischen den zwei Polen eines Ausdrucks in Linien
und eines Ausdrucks in Flecken oder Massen, wo die Linie zwar nicht aufgehoben
zu sein braucht, aber doch als solche nicht zur Geltung kommt. Rembrandt hat die
Feder auch benutzt, aber der einzelne Federstrich steht nicht da als ein Letztes, das
für sich wirken soll, sondern als ein Element, das im Eindruck des Ganzen untergeht.
Man folgt nicht dem Zug der einzelnen Linie und kann ihm nicht folgen, denn die
Linie setzt alle Augenblicke aus und wirft den Blick ab oder sie verwirrt sich zu
völliger Unübersichtlichkeit: die Massen sollen sprechen, nicht das Liniengerüst an
sich. Umgekehrt ist bei Dürer die Zeichnung ein kristallklares Gebilde, wo jeder
Strich, zu reiner Sichtbarkeit gebracht, nicht nur seine formbezeichnende Funktion
hat, sondern eine ornamentale Schönheit für sich besitzt. Man hat nicht genug gesagt,
wenn man die Schlagkraft der Dürerschen Linie rühmt und daß aller Ausdruck den
großen, zusammenhängenden, gleichmäßig führenden Linienzügen zugeleitet ist: was
dazukommt, ist die Ausbildung des Strichs als Element einer dekorativen Gesamtfigur.

Nicht von Anfang an ist dieser Stil da. Das 15. Jahrhundert hat ihn noch nicht
besessen, und es gibt Frühzeichnungen Dürers, die „malerischer« aussehen als die
späteren klassischen Zeichnungen. Es ist denkbar, daß die moderne Sympathie jene
Jugendblätter sogar bevorzugt, das ändert aber nichts an der Tatsache, daß es der
reine Linienstil gewesen ist, der die Dürersche Zeichnung zum Eckstein der Kunst
des 16. Jahrhunderts gemacht hat. —
 
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